Eine Brücke zwischen Kehl und Straßburg schlagen
Eric Bauer hat es vor drei Jahren von der Spree an den Rhein verschlagen. Der Unterschied zwischen der Hauptstadt Berlin und der Kreisstadt Kehl kann größer nicht sein. Was sind schon die 36.000 Einwohner im Vergleich zu den 242.000 Einwohnern des kleinsten Berliner Bezirks Spandau? Metropole gegen Provinz, in der um 21 Uhr die letzten Linienbusse unterwegs sind? Dass der 30-Jährige fernab des Großstadttrubels seine neue Heimat wertschätzt, zeigt sich nicht zuletzt im Engagement für seine Partei, die SPD. Seit Januar ist der Vater von drei Kindern an der Spitze des Ortsvereins. Einstimmig gewählt.
Trinationale Metropolregion Oberrhein
Was die Kleinstadt Kehl so besonders macht, sieht man am Foto der Internetseite, auf der sich der Ortsverein vorstellt: Es zeigt keine typische Stadtansicht, sondern eine Fußgängerbrücke über den Rhein, der Deutschland von Frankreich trennt. Das elegante Bauwerk schlägt eine Brücke zwischen Kehl und der Elsass-Metropole Straßburg mit ihren 280.000 Einwohnern. Das Europäische Parlament ist fast in Sichtweite.
Die Bewohner der Region schätzen die Nähe zueinander. Auch die Schweiz ist nicht weit.
Im Jahr 2010 haben sich die regionalen Regierungen zur Trinationalen Metropolregion Oberrhein zusammengeschlossen. Viele Verwaltungsstrukturen in der Region sind miteinander verknüpft. Kehl ist Sitz der deutsch-französischen Wasserschutzpolizeistation. Die Agentur für Arbeit vermittelt Jobs europaweit.
Straßenbahn verbindet die Städte
Wenn der Wahl-Kehler gefragt wird, was er besonders schätzt, kommt als erste Antwort: „Die anderen Kulturen.“ Die zweite ist ebenfalls typisch für die Menschen hier: „Dass keine Grenzen mehr da sind, ist schon etwas Besonderes.“ Er mag die bunte Mischung aus Deutschen und Franzosen. Seit April 2017 verkehrt zwischen den Städten eine Straßenbahn im Viertelstundentakt. Die Innenstädte sind noch näher gerückt. Bei genauerer Beobachtung stellt man allerdings fest, dass Deutsche und Franzosen die Offenheit und die gemeinsame Währung zwar schätzen, aber sich am Ende des Tages gerne ins eigene Viertel zurückziehen. Mitte Mai treffen sich Gemeinderäte aus Straßburg und Kehl zur nächsten ihrer regelmäßig stattfindenden Sitzungen. Ein Tagesordnungspunkt wird die Einführung eines grenzüberschreitenden Mediatheks-ausweises sein. Unter Verschiedenes wird erörtert, welchen Nutzen der Elysée-Vertrag den Partnerstädten bringen kann. Treffen sind anlassbezogen – auch auf Parteiebene. Einen Austausch mit den französischen Sozialisten auf der anderen Rheinseite gibt es nicht, stellt Bauer fest.
Auf französischer Seite hat Wertschätzung für die deutsche Seite nicht zuletzt auch mit Geld zu tun: In Kehl parken vor Discountern und Drogeriemärkten fast mehr Autos mit französischem Kennzeichen. Die wenigen Sätze, die man mit Kunden tauscht, spricht das Verkaufspersonal in Französisch. Die Deutschen, wie auch Eric Bauer, schätzen wiederum die französischen Supermärkte vor allem wegen der Qualität der Lebensmittel. Wenn es auch teurer ist: „Baguette und Käse haben schon eine ganz andere Qualität“, schwärmt er.
Netzwerk für berufliche Mobilität
Laura Maillard von EURES-T Oberrhein meint, dass die Beziehungen in der Grenzregion selbst nach Jahrzehnten der politischen Pflege keine Selbstläufer geworden sind. EURES steht für European Employment Services. Die Organisation, die der Agentur für Arbeit in Baden-Württemberg angegliedert ist, war gegründet worden, um die grenzüberschreitende berufliche Mobilität zu beflügeln.
Laut Maillard könne man inzwischen von einem gemeinsamen Arbeits- und Ausbildungsmarkt in der Region sprechen. Aber das sei mit harter Projektarbeit verbunden. Im vergangenen Jahr vermittelte EURES 86 Ausbildungsverträge über die Grenzen. Wobei kaum ein junger Deutscher nach Frankreich in die Ausbildung geht. Überhaupt ist das Verhältnis der Grenzgänger unausgewogen: Laut einer Statistik fahren 1.000 Arbeitnehmer aus Baden werktäglich über den Rhein. Umgekehrt sind es 22.700 Elsässer.
„Echtes Sprachenproblem bei den Jüngeren“
Das könnte sich allerdings ändern, erwartet Maillard. Nur noch Elsässer über 50 sprechen nach ihrer Beobachtung ausreichend Deutsch. Die Jüngeren hätten ein echtes Sprachenproblem – auf beiden Seiten. Zudem entwickle sich in Frankreich ein Facharbeitermangel, und in der gegenseitigen Anerkennung von Berufsabschlüssen liefe es nicht rund. Europa kann auch mühsam sein.
Am Ende sind die Menschen in der Grenzregion zwar keine Berufs-, dafür aber begeisterte Freizeiteuropäer und europäische Verbraucher. „Die offenen Grenzen will hier keiner missen“, sagt Bauer. Das wirke sich auf das Wählerverhalten aus. Im Vorfeld zur Europawahl sei von der AfD wenig zu spüren.
ist freier Journalist. Er ist Mitglied im Verein Deutsches Institut für Normung und dort im Redaktionskreis für eine DIN Einfache Sprache. Webseite: leichtgesagt.eu