Integrationsbeauftragte: „Die Kommunen sind heute besser aufgestellt”
DEMO: Im vergangenen Jahr sind mehr als eine Million Menschen aus der Ukraine nach Deutschland gekommen. Nach dem Kriegsausbruch war in der Bevölkerung eine große Solidarität mit den Geflüchteten zu beobachten. Spüren Sie die immer noch?
Reem Alabali-Radovan: Ja, die ist da. Aber mittlerweile machen sich in Deutschland mehr Menschen Sorgen um ihre Zukunft, weil der Krieg auch für sie spürbare Folgen hat: Inflation, Energiekrise, steigende Gaspreise. Dennoch nehme ich weiterhin eine große Solidarität mit Geflüchteten wahr, auch im Alltäglichen.
In den Jahren 2015 und 2016 haben die Städte, Gemeinden und Landkreise schon einmal eine größere Fluchtbewegung nach Deutschland erlebt. Damals lief die Erstaufnahme teilweise chaotisch ab, heute scheint es geregelter zu funktionieren. Was hat sich geändert?
Wir haben viel gelernt aus den Jahren 2015 und 2016. Gerade die Kommunen sind heute besser aufgestellt. Sie haben Erfahrungen gesammelt, wie die Aufnahme, Unterbringung und Integration besser gelingt. Viele Menschen helfen mit, die schon 2015 haupt- oder ehrenamtlich dabei waren. Sie engagieren sich wieder in beeindruckender Weise und bringen ihre Expertise ein. Ohne die vielen Ehrenamtlichen, die vor Ort innerhalb weniger Tage wieder mobilisiert wurden, hätte das alles nicht funktioniert.
Es sind also neue Strukturen entstanden?
Ja. Wenn wir uns die Integrationskurse anschauen und andere Integrationsprojekte vor Ort, die vom Bund, von den Ländern und Kommunen gefördert werden, wird deutlich: Da sind Strukturen gewachsen, die jetzt sehr hilfreich sind. Wir sehen aber auch, dass wir noch viel mehr tun müssen, damit Integration von Anfang an gelingt.
Geflüchtete treffen in Deutschland auf einen angespannten Wohnungsmarkt, besonders in den großen Städten, wo bereits eine ukrainische Community lebt.
Das stimmt und wegen der sogenannten Massenzustrom-Richtlinie auf EU-Ebene haben wir das erste Mal eine Gruppe von Menschen, die sofort privat wohnen konnten und nach einer Registrierung auch im jeweiligen Bundesland bleiben dürfen. Das ist ein Unterschied im Vergleich zu Asylsuchenden. Die Richtlinie hat dazu geführt, dass ukrainische Geflüchtete eher in die Städte gehen, wo es vielleicht Verwandte oder Freunde gibt. Das ist eine Herausforderung, weil wir sehen, dass es im ländlichen Raum noch Unterbringungsmöglichkeiten gibt, die Menschen aber lieber in urbanen Räumen wohnen. Der Wohnungsmangel war vor dem Krieg schon da. Das Thema bewegt uns als Bundesregierung sehr und mit Bundesbauministerin Klara Geywitz gehen wir es auch an. Der Krieg und seine Folgen erschweren jetzt die Situation.
Gibt es einen Lösungsansatz?
Zum einen ist wichtig, dass wir die Maßnahmen für mehr Wohnungsbau, die wir 2021 im Koalitionsvertrag verabredet haben, weiter angehen. Das macht Ministerin Geywitz mit großem Einsatz. Mittelfristig sollen pro Jahr 400.000 neue Wohnungen gebaut werden, davon 100.000 Sozialwohnungen. Da liegt noch eine gute Strecke vor uns, auch wegen Fachkräftemangel und steigenden Baupreisen. Zum anderen stellt die Bundesregierung den Ländern und Kommunen nicht nur 4,25 Milliarden Euro zusätzlich, sondern auch rund 400 bundeseigene Liegenschaften bereit. Denn der Bund muss in dieser Situation den Ländern helfen.
Dass Ukrainerinnen und Ukrainer, die vor einem Krieg fliehen müssen, die Nähe zu vertrauten Menschen suchen, ist nachvollziehbar. Wie lässt sich vermeiden, dass aus ukrainischen Communities sogenannte Parallelgesellschaften werden?
Vor allem sind Begegnungsmöglichkeiten, Deutschkurse, Zugang zu Arbeit und Beschulung wichtig. Integration findet vor Ort statt, also in Kommunen. Darum ist mir als Integrationsbeauftragte des Bundes wichtig, mit kommunalen Akteuren im Gespräch zu bleiben. Klar ist: Integrationsprojekte helfen und da spielt der ehrenamtliche Bereich eine wichtige Rolle: Sport- und andere Vereine, Musik-, Kunst- und Kulturangebote. Hier trifft und begegnet man sich, hier können geflüchtete oder zugewanderte Menschen mit der einheimischen Einwohnerschaft zusammenkommen.
Es fehlen nicht nur Wohnungen, sondern auch Kitas und Schulplätze. Wie kann der Bund den Kommunen da weiterhelfen?
Der Bund hat zugesagt, die Länder und Kommunen weiter bei der Integration und Aufnahme von Geflüchteten finanziell zu unterstützen. Das ist das A und O, diese Zusage gilt. Darum war es richtig, dass wir im November erstmalig beschlossen haben, die Finanzierung zu verstetigen. Wir müssen also nicht immer wieder neu diskutieren, ob der Bund Geld gibt. Wichtig ist, dass die Länder dieses Geld den Kommunen zur Verfügung stellen. Zudem haben wir das Kita-Qualitätsgesetz beschlossen, mit dem der Bund vier Milliarden Euro in 2023 und 2024 für die Länder bereitstellt.
Auch aus anderen Ländern als der Ukraine kommen wieder mehr Menschen nach Deutschland. Im vergangenen Jahr wurden 244.132 Asylanträge gestellt, die meisten Menschen sind aus Syrien, Afghanistan und der Türkei. Die Bundesregierung verspricht „Integration von Anfang an“. Worauf kommt es dabei gerade auf lokaler Ebene besonders an?
Dazu gehört zum Beispiel die Öffnung der Integrationskurse, die nicht mehr vom Aufenthaltsstatus abhängig sein dürfen. Wir wollen nicht, dass Menschen einfach in ihren Unterkünften herumsitzen und nur auf den Ausgang ihres Asylverfahrens warten müssen – das dauert im Schnitt acht Monate. In dieser Zeit können sie Deutsch und unsere Werteordnung lernen, im Integrationskurs. Und das ist wichtig, denn egal, wie lange die Menschen bleiben: Sie sollen auch kommunizieren und sich orientieren können. Wir haben auch vereinbart, Beschäftigungsverbote für Asylsuchende und Geduldete abzuschaffen. Das ist mir ein großes Anliegen. Denn der Zugang zum Arbeitsmarkt ist für die Integration ebenso wichtig.
Ein weiteres Ziel der Bundesregierung lautet: Man will Asylverfahren beschleunigen. Wie kann das gelingen, ohne dass Wesentliches dabei verloren geht?
Wir haben das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz verabschiedet. Damit wurden mehrere Maßnahmen getroffen. Zum Beispiel gibt es jetzt per Gesetz eine unabhängige Asylverfahrensberatung. Das erleichtert die Verfahren, weil viel mehr Asylsuchende von Anfang an wissen, wie gut oder schlecht ihre Chancen sind. Manchmal führt es auch dazu, dass Menschen sagen, sie kehren freiwillig zurück, bevor sie sich überhaupt diesem Prozess stellen. Außerdem haben wir die Asylverfahren vereinfacht, indem bestimmte Prozesse gestrichen wurden, bei denen die Erfahrung gezeigt hat, dass sie nicht notwendig waren. Zum Beispiel war es bei der Anerkennung des Fluchtstatus üblich, die Menschen nach drei Jahren wieder in die Einrichtung einzuladen und dort noch einmal Gespräche zu führen.
Die Zugewanderten treffen in Deutschland oft auf Behörden, in denen die Bevölkerung mit Migrationshintergrund deutlich unterrepräsentiert ist. Betrachten Sie das als ein Problem?
Der entscheidende Punkt ist aus meiner Sicht gar nicht, wer dort auf wen trifft, sondern unter welchen Bedingungen und mit welcher Einstellung man sich begegnet. Die Ausländerbehörden zum Beispiel sind sehr ausgelastet, seit Jahren gibt es dort einen immensen Arbeitsanstieg und gleichzeitig eine schlechte Personalsituation. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gebührt großer Respekt für das, was sie seit Jahren leisten. Aber wir müssen da ran und die Situation verbessern. Nur so können wir dort eine Willkommenskultur schaffen, die zurzeit oft noch fehlt.
Das Jahr begann mit Silvesterkrawallen und einer Integrationsdebatte, die teilweise auch von Ressentiments geprägt war. Welche Schlüsse ziehen Sie aus den Diskussionen für Ihre Arbeit?
Für mich ist es vor allem eine gesamtgesellschaftliche Debatte, die wir da führen müssen: über Jugendgewalt, über soziale Herausforderungen in bestimmten Stadtteilen und darüber, wie wir Jugendliche erreichen können, die sich anscheinend nicht mehr zugehörig fühlen und zu so einer Gewalt bereit sind. Wenn wir verhindern wollen, dass so etwas wieder passiert, müssen wir das sachlich diskutieren. Das war leider in den vergangenen Wochen nicht immer der Fall.
Zu Integration gehört auch politische Teilhabe, nicht zuletzt auf kommunaler Ebene. Politiker mit Migrationsgeschichte sind häufiger Anfeindungen und Hasskriminalität ausgesetzt sind. Was kann man dagegen tun?
Da müssen wir solidarisch sein und die Kommunalpolitikerinnen und -politiker unbedingt unterstützen, ob mit oder ohne Migrationshintergrund. Ich habe gerade ein Modellprojekt auf den Weg gebracht: In zehn Kommunen bauen wir Allianzen gegen Rassismus und Hass auf, wir unterstützen dabei gezielt kommunalpolitisch aktive Menschen. (Mehr Infos: integrationsbeauftragte.de – Red.)
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.