Investitionsstau belastet Kommunen

Wie selten zuvor sind Städte und Gemeinden gezwungen, über einen langen Zeitraum finanziell auf Sicht zu fahren. Jurist Uwe Zimmermann und Volkswirt Harald Riedel erklären im Interview, welche Unterstützung jetzt vor Ort benötigt wird.
von Carl-Friedrich Höck · 30. Mai 2022
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DEMO: Wir haben mehr als zwei Jahre ­Corona-Pandemie hinter uns und nun einen Krieg in der Ukraine. Wie wirkt sich das auf die Finanzlage der Kommunen aus?

Uwe Zimmermann (U. Z.): Die Corona-Krise hat im ersten Jahr einen historischen Einbruch bei den Steuereinnahmen verursacht – in einem Umfang, wie er selbst während der Bankenkrise 2008 nicht zu verzeichnen war. Allein die Gewerbesteuer ist im ersten Krisenjahr um mehr als elf Milliarden Euro eingebrochen. In dieser schwierigen Situation haben die Länder und insbesondere der Bund im Rahmen des Konjunkturpaketes sehr geholfen. Dadurch haben sich die Einnahmen der Städte und Gemeinden rascher erholt, als wir das zunächst befürchten mussten. Trotzdem haben die Kommunen deutlich weniger ­Steuern eingenommen, als vor der Krise erwartet worden war. Für das Jahr 2021 konnte das Statistische Bundesamt sogar einen Überschuss präsentieren.

Das klingt doch gut…

U. Z: Das freut uns, wir wissen aber auch, dass diese Überschüsse teuer erkauft sind. Die kommunalen Investitionen bleiben deutlich hinter dem zurück, was notwendig wäre. Wir haben einen Investitionsstau von 150 Milliarden Euro.

Insgesamt ist die Finanzsituation der Kommunen nach wie vor sehr heterogen. Es gibt Städte, die stehen relativ gut da, andere haben nach wie vor ein großes Problem mit sogenannten Altschulden. Ob und wie sich der Ukraine-Krieg in den kommunalen Kassen abbilden wird, kann man im Augenblick noch nicht sagen, aber es gibt erhebliche ­Risiken. Energie wird teurer, die ­Inflation steigt und der Wirtschaft droht eine ­Krise. Allein der Gaspreis ist für kommunale Kunden um 50 Prozent gestiegen.

Harald Riedel (H. R.): Schon im Oktober vorigen Jahres – vor dem Ukraine-Krieg – haben die kommunalen Spitzenverbände darauf hingewiesen, dass die Jahre 2022 bis 2024 noch viel schwieriger werden. Wir haben damals das Defizit der Kommunen auf 24 Milliarden prognostiziert. Das liegt unter anderem an steigenden Personalkosten, steigenden Sachkosten, steigenden Sozialausgaben, aber auch an den Investitionen, die wir für die großen Herausforderungen unserer Zeit wie Klimawandel, Energiewende, Verkehrswende oder Digitalisierung brauchen.

Stichwort kommunale Altschulden: Olaf Scholz hat schon als Bundesfinanzminister versucht, eine Regelung zu finden, ist aber an den Ländern gescheitert. Wie optimistisch sind Sie, dass es zu einer schnellen Lösung kommt?

H. R: Das Thema steht im Koalitionsvertrag. Olaf Scholz hat sich klar positioniert, dass er da tätig werden will. Aber es wird sicher noch etwas dauern. Darüber hinaus braucht es Schritte, damit solche Schulden nicht mehr neu entstehen können. Das heißt zum Beispiel, dass Kommunen weiter von Sozialausgaben entlastet und ihre Einnahmesituation stabilisiert werden müssen.

U. Z: Die kommunale Altschuldenfrage zu lösen, bleibt eine schwierige Aufgabe. Es gibt sehr unterschiedliche Schuldenstände und sehr unterschiedliche Anstrengungen auf Ebene der Länder, die kommunalen Altschulden abzubauen. Das führt zu Interessenkonflikten. Aber es ist wichtig, die Altschuldenfrage zu lösen, um Gleichwertigkeit und Chancengerechtigkeit in allen Teilen des Landes zu erreichen oder wiederherzustellen.

Die Gewerbesteuer ist für Kommunen eine besonders wichtige Einnahmequelle. Doch es wird kritisiert, dass gerade finanzschwache Kommunen den Wettbewerb um Unternehmensansiedlungen oftmals verlieren, weil sie sich keine niedrigen Steuersätze leisten können. Wie lässt sich hier mehr Chancengleichheit schaffen?

H. R.: Kommunale Spitzenverbände und Kommunen sehen die Gewerbesteuer als wichtigste Steuereinnahmequelle für den eigenen Etat an, die in der Verfassung verankert ist. Wir wollen die Gewerbesteuer in der jetzigen Form erhalten. Gerade in der Krise des vorigen Jahres hat sich gezeigt, wie sehr wir die Gewerbesteuer brauchen. Insgesamt hat der kommunale Steuerwettbewerb funktioniert: In der Regel nehmen die größeren Kommunen etwas höhere Hebesätze, die Kommunen ­drumherum etwas niedrigere. Die Gewerbesteuer schafft außerdem eine starke ­Verbindung gibt zwischen Kommunen und der ansässigen Wirtschaft. Dieses enge Band bleibt auch in der Zukunft wichtig.

U. Z.: Es gibt immer wieder mal Probleme, was die sogenannten Steueroasen angeht. Das sind aber Einzelfälle, wenn man es im Großen und Ganzen betrachtet. Es ist richtig zu diskutieren, wie man diese Steueroasen trockenlegen könnte. Das ist aber kein Argument gegen die Gewerbesteuer als solche.

Sie haben den Investitionsrückstand von 150 Milliarden Euro erwähnt. Wie lässt sich das aufholen – zumal das Bauen derzeit immer teurer wird?

H. R.: Der Schlüssel ist immer die Einnahmesituation. Deswegen haben wir in den vergangenen guten Wirtschaftsjahren den Investitionsstau ein Stück weit reduzieren können. Ich befürchte, dass die aktuellen Entwicklungen – die ­Corona-Krise, der Ukraine-Krieg und die Baukosten- und Energiepreissteigerungen – diese gute Entwicklung wieder zunichtemachen. Deshalb müssen wir mit Bund und Ländern in diesem Jahr noch einmal darüber reden, wie wir die Kommunen mit Blick auf Zukunftsinvestitionen finanziell besser ausstatten können. Es geht ja nicht nur darum, Bestehendes zu sanieren, sondern um enorme ­Herausforderungen beim Thema Energie- und Verkehrswende sowie Klimaschutz. Ich habe das mal als Kämmerer für Nürnberg ausgerechnet. Wir brauchen in den nächsten zehn Jahren mehr als zwei Milliarden Euro allein für diese Bereiche. Und dann kommen noch sechs Milliarden konventionelle Investitionen in die Infrastruktur obendrauf.

Ich hoffe auch, dass die neue Bundesregierung nicht zu viele kleinteilige Förderprogramme aufsetzt, sondern dass wir direkte Mittel bekommen, die wir unbürokratisch für diese Ziele einsetzen können. 

Wie könnte das aussehen?

H. R.: Wir haben alle Masterpläne in unseren Schubladen und wissen, was wir vor Ort tun müssen. Denkbar wäre zum Beispiel ein gemeinsamer Klimapakt, mit dem wir Kommunen bis 2035 oder 2040 einen erhöhten Anteil an der Umsatzsteuer ­bekommen, damit wir diese Aufgaben – Klimaschutz, Verkehrs- und Energie­wende – bewältigen können. 

U. Z.: Statt Fördertöpfen brauchen wir langfristige Investitionssicherheit, auch um verlässliches Personal für diese Aufgaben zu finden. Außerdem sind viele Förderinstrumente sehr komplex und bürokratisch. Kleine Städte und Gemeinden sind damit administrativ völlig überfordert. Das ist einer der Gründe, warum jedes Jahr Milliardenbeträge liegenbleiben – bei den Landesprogrammen, den Bundesprogrammen und bei Fördertöpfen der Europäischen Union. Sogar manche Unternehmen verzichten auf öffentliche Aufträge, weil ihnen die Vergabeverfahren zu aufwendig sind. Der bürokratische Aufwand ist nicht mehr verhältnismäßig. Wir brauchen mehr Pauschalierungen und auch mehr Beinfreiheit der Städte vor Ort. 

Kennen Sie gute Ideen von Kommunen, um Einnahmen zu steigern, ­ohne dass Bund und Land Geld ­dazugeben?

U. Z.: Es gibt einige Möglichkeiten, zum Beispiel mit Modellen von Sponsoring oder Crowdfunding oder mit dem Hebesatzrecht die Einnahmen zu steigern. Aber das passiert erstens eher im kleineren Bereich, zweitens kann man damit einen städtischen Haushalt, der in der Krise ist, nicht aus der Krise herausführen. Hier sehen wir den Gesetzgeber, vorweg die Bundesebene, in der Pflicht. Mindestens genauso wichtig ist aber, dass uns auf der Ausgabenseite nicht neue kostenträchtige Aufgaben übergebürdet werden. 

H. R.: Was aus meiner Sicht in den nächsten Jahren wichtiger werden wird: Wir brauchen neue Einnahmemöglichkeiten im Verkehrsbereich. Der öffentliche Nahverkehr ist massiv unterfinanziert. Und wir tun uns damit schwer, das Thema Verkehrswende voranzutreiben, weil uns die Finanzmittel fehlen. Da brauchen wir entsprechende Förderungen. Aber ich glaube, dass wir auch sogenannte Drittnutzer-Finanzierungsmodelle brauchen, die im Moment breit diskutiert werden. Und wir müssen über eine City-Maut sprechen, wenn wir den Individualverkehr zurückdrängen und den öffentlichen Nahverkehr ausbauen wollen. Es gibt europäische Städte, die dieses Instrument erfolgreich eingeführt haben. 

Gibt es auf der Ausgabenseite Bereiche, in denen Kommunen in Zukunft Geld einsparen können, beispielsweise durch mehr Digitalisierung?

H. R.: Ja, aber es wird noch etwas dauern. Im Moment müssen wir investieren, natürlich auch in die Digitalisierung. Das kostet Geld und Personal. Wahrscheinlich wird es so sein, dass wir durch die Digitalisierung irgendwann weniger Personal brauchen werden – was uns helfen wird, den Fachkräftemangel zu kompensieren, wenn die Babyboomer-Generation in den Ruhestand geht.

U. Z.: Wenn man überlegt, wo im kommunalen Bereich noch Schätze zu heben sind, würde ich das Thema interkommunale Zusammenarbeit ansprechen. Da ist schon viel passiert. Gesetzgeberisch könnte man das noch weiter vereinfachen, zum Beispiel mit Blick auf die Umsatzbesteuerung von interkommunaler Zusammenarbeit. Auf der anderen Seite sind die Einsparpotenziale in vielen Bereichen schon weitgehend erreicht. Grundsätzlich ist die freiwillige Selbstverwaltung in den Städten effektiv und hochwertig. 

Autor*in
Porträtfoto Mann mit Brille und dunkelblonden Haaren
Carl-Friedrich Höck

ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.

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