Kleingärten sind Stadtgrün

Kleingärten erleben einen Imagewandel viele Neupächter streben nach einem Schrebergarten. In der Corona-Krise sind die grünen Oasen besonderns wertvoll.
von Karin Billanitsch · 11. Mai 2020
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Das traditionelle Ostereiersuchen auf dem Gelände des Klein­gartenvereins Kolonie ­Abendruh im Südwesten von Berlin musste in diesem Jahr ausfallen. Die Kinder der Berliner Hobbygärtner durften nur innerhalb der eigenen vier Zäune nach Nestern und Schokohasen Ausschau halten – schön auf Abstand zu den anderen ­Familien. Dennoch ist in Zeiten allgemeiner Ausgangsbeschränkungen wegen der Corona-Pandemie eine eigene Laube ein besonderes Gut. „Es ist ein absolutes Geschenk, gerade jetzt in dieser Zeit einen Schrebergarten zu haben“, sagt Sylvia Brinkmann (Name geändert). In ihrem Garten blühen derzeit Tulpen und Narzissen, Stauden und Gemüsebeete umranden die Rasenflächen. In wenigen Tagen werden die Obstbäume in voller Blüte stehen.

„Man kann vor die Tür gehen in ein anderes Zuhause, wo man Platz hat, sich bewegen kann und an der frischen Luft ist.“ Die Wahlberlinerin kommt mit den zwei Töchtern im Teenageralter jetzt jeden Tag hierher, es ist eine Zerstreuung im Alltag von Homeoffice und -schooling. „Es ist eine Abwechslung für die Kinder und für die ganze Familie, und man hat das Gefühl, dass das Leben normal weitergeht“, beschreibt Sylvia Brinkmann die Gründe. Man fühle sich nicht so beschränkt, weil man in dieses Grün gehen könne. Seit ein paar Jahren baut die Familie im fußläufig gelegenen Garten Erdbeeren und Rhabarber, Himbeeren und Zucchini an – und nutzt das Fleckchen Erde zur Entspannung.

Renaissance der Lauben

Nicht erst seit der Corona-Pandemie ­bewerben sich immer mehr jüngere Menschen und Familien für einen Schrebergarten. Harken und Jäten ist im Trend. Etwa eine Million Pächter von Kleingärten gibt es in Deutschland, die über Vereine, Landes- und Regionalverbände unter dem Dach des Bundesverbands deutscher Gartenfreunde (BDG) vereint sind. Dass die Neupächter jünger und oft Familien mit Kindern sind, hat auch BDG-Geschäftsführer Stefan Grundei beobachtet: „Bei den Anmeldungen der Neuinteressenten sehen wir ganz deutlich diesen gesellschaftlichen Trend. Auch die Zahlen der Studie ‚Kleingärten im Wandel‘ des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) belegen das.“ Das Durchschnittsalter liegt demnach bei 56 Jahren, mit der Tendenz nach unten.

Kleingartenanlagen wie die Kolonie Abendruh, die 2019 ihr 100-jähriges Bestehen feierte, spielen eine wichtige Rolle für die grüne Infrastruktur der Städte. Nach der Studie des BBSR sind die meisten ganz oder teilweise öffentlich zugänglich. Stefan Grundei bestätigt, dass „das ganz klar ein Anspruch ist, der Standard sein sollte. Die Kleingarten­areale sind Bestandteil des öffentlichen Grüns, die Gemeinschaftsflächen sollten frei zugänglich sein und im Optimalfall in das städtische grüne Wegenetz eingebunden sein.“ Und so auch einen großen Mehrwert für das ganze Stadtquartier bieten, auch für die Leute, die nicht Mitglied im Kleingärtnerverein sind. Er ist überzeugt: „Nur diejenigen, die das umsetzen, die es schaffen, dass Kleingartenflächen Mehrwert für die ganze Stadtgesellschaft haben, werden sich auf Dauer in verdichteten Innenstadtbereichen halten können. Alles andere wäre auf Dauer schwer zu vermitteln.”

Reserve-Flächen für den Wohnungsbau

Denn es gibt begehrliche Blicke auf die Kleingartenflächen: Die Städte brauchen mehr Platz für dringend benötigten Wohnungsbau. „Im Moment muss man froh sein, wenn die Flächen gehalten werden können“, sagt Grundei. Bislang musste etwa Berlin diese wertvollen Reserven nicht in großem Stil angreifen. Nun sollen ab diesem Jahr laut vorliegendem Kleingartenentwicklungsplan (KEP) nach und nach fast 14 Hektar, das sind mehr als 430 Parzellen, bebaut werden. Die Kolonie Abendruh ist nicht bedroht: Sie ist durch den Bebauungsplan als dauerhaft gesichert eingestuft. „Man kann uns also nicht so leicht von hier vertreiben“, sagte der Vorsitzende des Kleingartenvereins Hans-Wolfgang Koch.

Grundei betont, dass das Kleingartenwesen zur sozialen Gerechtigkeit beiträgt, was sich während der Krise besonders bestätigt: „Wir sehen gerade jetzt in der Corona-Pandemie, wie wichtig es ist, dass die Gärten fußläufig zu erreichen sind und sie wirklich einen Erholungswert für die Menschen haben. Kleingärtner besitzen ja im Regelfall ­keinen Balkon oder eigenen Garten und haben so einen Erholungsausgleich.“

Es treffen sich in so einer Siedlung Junge und Alte, Familien, Studierte und Nichtakademiker, Menschen im Berufsleben ebenso wie Arbeitslose und Rentner – eine bunte Mischung. „Das ist das Schöne dabei“, findet Sylvia Brinkmann. Man feiert – in coronafreien Zeiten – gemeinsame Feste auf Festplatz und Spielplätzen für die Gemeinschaft und die Nachbarn. Fast drei Jahre hat die ­Familie auf den Garten gewartet, so lang sind die Wartelisten in Berlin. Worauf sich Brinkmann in dieser Jahreszeit besonders freut, ist der erste Rhabarber-­Kuchen mit Obst aus Eigenanbau. Ein Stück Normalität in einer Zeit der Krise.

 

Autor*in
Karin Billanitsch

ist Redakteurin beim vorwärts-Verlag und schreibt für die DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik.

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