Klimaschutz und „Jernheste“

Kopenhagen will weltweit die erste klimaneutrale Hauptstadt werden. Noch bleibt den Dänen gut vier Jahre Zeit dafür.
von Bernd Hauser · 3. November 2020
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Rush Hour in Kopenhagen, das bedeutet einen Strom von Menschen auf Rädern. In den Sätteln sitzen Männer – die Laptop-Taschen über die Schulter geschnallt. Frauen radeln im Kostüm, an den Füßen Sneakers – die hochhackigen Schuhe liegen im Korb vor dem Lenker. Immer wieder rollen dreirädrige Lastenräder vorbei, jeder zwölfte Haushalt in Kopenhagen besitzt eines. Häufig sitzen mehrere Kinder in der Ladekiste.

Das beliebte „Eisenpferd“

Freie Fahrt für freie Bürger: In Kopenhagen gilt das für die Reiter der „Jernheste“, der „Eisenpferde“, wie Dänen Drahtesel nennen. Kopenhagen ist Vorreiter der Radmobilität, und diese ist auch einer der Ansatzpunkte für das ganz große Ziel, mit dem die Stadt sich und ihre Bürger herausfordert: Kopenhagen will bis 2025 klimaneutral werden – als weltweit erste Hauptstadt. Dabei dreht die Stadt an vier Stellschrauben: Verkehr, Energieverbrauch, Energieproduktion und kommunale Betriebe, die klimafreundliche Innovationen vorantreiben sollen.

Dass Kopenhagen dabei große Vorteile hat, liegt an einer Kultur des Umweltschutzes einerseits und des Effizienzstrebens andererseits, die seit Jahrzehnten gewachsen ist. So forderten bereits in der Ölkrise Anfang der 1970er Jahre Aktivisten von der Stadt, sich wieder stärker auf Muskelkraft zu besinnen. Die ersten zusammenhängenden Fahrradwege entlang der Hauptachsen durch die Stadt wurden geschaffen. Inzwischen sind sie auf 385 Kilometer Länge angewachsen.

Primat des Rad- und öffentlichen Verkehrs

Statistisch kommen auf jeden Einwohner 1,1 Fahrräder, aber nur 0,2 Autos. Gemessen an der Zahl der zurückgelegten Kilometer ist der Radverkehr in den vergangenen zehn Jahren um fast ein Fünftel gestiegen. Der Autoverkehr sank dagegen um zwei Prozent. 44 Prozent der Einwohner fahren mit Muskelkraft zur Schule oder Arbeit – nicht (nur) aus ökologischem Bewusstsein, sondern vor allem weil es am schnellsten ist.

Die Infrastruktur wird konsequent am Primat von Rad- und öffentlichem Verkehr ausgerichtet. Die Brücke Inderhavnsbroen beispielsweise schlägt seit 2016 eine Verbindung zwischen der Innenstadt und dem Stadtteil Christianshavn – aber nur für Fußgänger und Radfahrer. Zweispurige Fahrbahnen werden rückgebaut auf Kosten von Busspuren und Fahrradwegen. Gewöhnlich sind die Radstreifen leicht erhöht und durch einen Randstein von der Fahrbahn getrennt. Das vermindert die Gefahr erheblich, von einem Auto erfasst zu werden. Die S-Bahnen haben selbstverständlich Waggons mit ausreichend Fahrradstellplätzen. Die Mitnahme der Räder in der Bahn ist gratis, viele Kopenhagener nehmen die Bahn und radeln das letzte Stück zum Arbeitsplatz.

Vorreiter bei der Energieversorgung

Auch bei der Energieversorgung hat Kopenhagen eine Poleposition: 98 Prozent aller Wohnungen sind an ein zentrales Fernwärmenetz angeschlossen. Wenn 600.000 Kopenhagener in der Herbstkühle die Thermostate ihrer Heizkörper aufdrehen, kommt die Wärme dafür aus dem Biomasse-Kraftwerk Amagerværket. Dieses hat Ende August 2020 von fossilen Brennstoffen komplett auf Holzpellets und Hackschnitzel umgestellt, die auch aus deutschen Wäldern stammen: Kopenhagen kauft minderwertiges Holz von Bäumen, die Dürre und Borkenkäfer zum Opfer fielen.

Trotz dieser und weiterer Initiativen ist es fraglich, ob Kopenhagen sein ehrgeiziges Ziel erreicht. Nach neuen Berechnungen wird die Stadt 2025 doch noch 430.000 Tonnen CO2 emittieren. Das ist kein Pappenstiel: Man geht davon aus, dass der gesamte Autoverkehr in der Stadt für den Ausstoß von 370.000 Tonnen CO2 jährlich verantwortlich ist. Dies liegt auch daran, dass die Zahl an Autos nicht im prognostizierten Umfang abnahm. Nicht alles kann die Stadt allein bestimmen, viele Rahmenbedingungen setzt das nationale Parlament, beispielsweise hatten die bürgerlichen Vorgänger der jetzigen sozialdemokratischen Regierung die Kfz-Steuer gesenkt.

„Neue Offshore Windparks“

Um trotzdem erfolgreich ins Ziel zu kommen, will der sozialdemokratische Bürgermeister Frank Jensen nun neue Offshore-Windparks initiieren. Vor allem sei es auch nötig, „zu härteren Maßnahmen“ gegen die Autofahrer zu greifen. Beispielsweise verlangt die Stadt eine jährliche Gebühr für Anwohner, die ihre Verbrenner im öffentlichen Raum parken wollen. Vor einigen Jahren lag diese Gebühr noch bei 100 Euro. Momentan müssen die Besitzer alter Karossen mit hohem Benzin- oder Dieselverbrauch 536 Euro pro Jahr blechen. Elektroautos sind von der Gebühr befreit.

Autor*in
Bernd Hauser

ist freier Journalist und lebt in Kopenhagen.

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