Mobilität ganzheitlich denken

Wie Osnabrück mit dem preiswürdigen Mobilitätskonzept und einem Masterplan Verbesserungen für alle erreichen will.
von Maicke Mackerodt · 3. Juli 2020
placeholder

Osnabrück ist nicht nur eine der geschichtsträchtigsten Städte Niedersachsens, mit mittelalterlichem Dom und spätgotischem Rathaus, in dem einer der wichtigsten Friedens­verträge der europäischen Geschichte verhandelt wurde, der „Westfälische Friede“. Jetzt ist die Friedensstadt auf dem Weg zu einer klimafreundlichen Stadt, dafür wurde ihr der Titel „Deutschlands nachhaltigste Großstadt 2020“ verliehen. Ausgezeichnet wurde die Universitätsstadt als eine von drei Städten für ihren Masterplan Innenstadt und ihr Mobilitätskonzept.

Die aufstrebende Stadt verzeichnete zuletzt Rekordwerte bei der Zuwanderung. Der Masterplan sieht deshalb neben einer dichteren Bebauung und der Schaffung von Grünflächen ein praxisnahes Mobilitätskonzept vor. Dazu gehört in der Innenstadt die Reduzierung des Autoverkehrs, weniger Platz für den motorisierten Nahverkehr. Radschnellwege sollen ausgebaut, die Bus-Flotte auf Elektrobetrieb umgestellt werden. Klingt nachhaltig, könnte aber zu Konkurrenz unter den Verkehrsteilnehmern führen. Nach dem Motto: Wem gehören die Straßen von Osnabrück?

Doch die Stadt hat einen interessanten Weg gefunden, den Verkehrsmix zu bewerkstelligen: Es gibt kein preisverdächtiges Flaggschiffprojekt, stattdessen viele unterschiedliche Maßnahmen, von denen einige nicht unumstritten sind. „Die SPD will vor allem die Mobilitätsformen, ­Autofahrer und Fußgänger, vom ÖPNV bis zum Radverkehr zusammenfügen und so für alle Osnabrücker Verbesserungen erreichen“, sagt die stellvertretende SPD-Fraktions­vorsitzende Susanne Hambürger dos Reis. „Seit Jahren fordern wir, die Mobilität in Osnabrück ganzheitlich zu denken.“

Eine Herausforderung ist vor allem die von Überlandlastern vielbefahrene, mehrspurige Ringstraße. Diese Bundesstraße 68 kann nicht umgeleitet werden, trotzdem soll ein Radverkehrsplan das ­Radeln sicherer machen. Dafür sollen stückweise Parkplätze abgebaut und in separate Bike-Lanes umgewidmet werden, was nicht allen Anwohnern gefällt. „Der LKW- und Durchgangsverkehr müssen aus der Innenstadt und den Wohnquartieren heraus“, so Susanne Hambürger dos Reis. „Dafür braucht es Alternativen, die angenommen werden.“ In ­Wohngebieten möchte die SPD ein Pilotprojekt mit Quartiersgarage ausprobieren, „um den ­Parkdruck aus Wohngebieten zu nehmen“. Autofreie Wohnquartiere, inklusive Car-Sharing sind für die verkehrspolitische Sprecherin wichtige Bausteine, um die Konflikte zu lösen.

„Aus unserer Sicht bringt es nichts, in unterschiedlichen Strategiepapieren die Verkehrsträger gegeneinander auszuspielen. Lärmaktionsplan, Radverkehrsplan, Nahverkehrsplan und Beschlüsse zu einzelnen Straßenabschnitten, berücksichtigen nicht alle Verkehrsmöglichkeiten, und vor allem nicht stadtweit“, erläutert Heiko Panzer (SPD). Der Verkehrspolitiker wirbt dafür, die ganze Stadt Osnabrück in den Blick zu nehmen. In der nächsten Ratssitzung will die SPD „einen konkreten, umfangreichen Mobilitäts-Maßnahmenkatalog vorlegen, der auch das Parken und alternative Routen mitdenkt. Wir möchten, dass die Mobilität über die Stadtgrenzen hinaus zukunftsweisend bestimmt wird“, so der SPD-Politiker.

Keine herumliegenden E-Scooter

Inzwischen wurden erste kostenlose Fahrradabstellanlagen an Bushaltestellen und in der Innenstadt freigegeben. Zur Ergänzung der Verkehrsinfrastruktur gehören auch die E-Scooter. Die Stadtwerke hatten sich bemüht, ein Konzept zu erarbeiten, damit nicht unkoordiniert überall E-Scooter herumliegen und den öffentlichen Raum verunzieren. Nun geht es Heiko Panzer darum, bei dieser eher kritisch zu betrachtender Variante der ­E-Mobilität, wie er es nennt, Spielregeln zu vereinbaren, die ein wenig Nachhaltigkeit sichern. Wegen der Corona-Pandemie wurden die Angebote der Verleiher vorübergehend eingestellt.

Ehrgeizig ist die Idee des Sun-Gliders, zu Deutsch Sonnengleiters. Das neue Konzept ist gerade in engen Straßen willkommen und wurde von einem Osnabrücker Unternehmer entwickelt. Im Kern handelt es sich um ein 250 Kilometer langes, sternförmiges, solarbetriebenes Schwebebahnnetz. Es würde nahegelegene Orte an Osnabrück anbinden und durch die Stadt in konzentrischen Kreisen laufen. Den Strom bezieht das System aus seiner mit Fotovoltaik überdachten Terrasse, selbst E-Bikes würden Strom aus den Solarzellen des Gliders beziehen. Stadtrat, Stadtwerke und das Land Niedersachen kooperieren. Eine Machbarkeitsstudie ist beauftragt, in fünf Jahren könnte eine Teststrecke entstehen. „Der Glider verspricht ein in sich nachhaltiges Transportsystem, eine Wertschöpfungskette ist in Europa vielleicht ­sogar regional möglich“, so Heiko Panzer zu dieser „wunderbaren Idee“.

Autor*in
Maicke Mackerodt

ist Journalistin, Audio-Biographin und Coach. Lebt in Troisdorf bei Köln, arbeitet seit 1996 frei für den Öffentlich-Rechtlichen Hörfunk (WDR5) und schreibt regelmäßig für die DEMO. Homepage: www.rhein-reden.de

0 Kommentare
Noch keine Kommentare