Mut zur Nachhaltigkeit
Das Markenzeichen von Eschweiler bei Aachen sind die Kühltürme des Braunkohle-Kraftwerks Weisweiler, aus dem gewaltige weiße Wolken steigen. Wolkenmaschine hieß das Kraftwerk früher. In gigantischen Kesseln wird Kohle verfeuert, um so aus fossiler Energie Elektrizität zu gewinnen, eine Technik, die absehbar zu Ende geht. Jetzt hat Eschweiler den hochkarätigen Deutschen Nachhaltigkeitspreis 2018 erhalten. Die Braunkohlestadt habe sich als „Stadt mittlerer Größe“ besonders erfolgreich den Herausforderungen des Strukturwandels gestellt, so die Jury.
Auf dem Weg zur nachhaltigen Kommune
Eschweiler hat es als Industriestandort nicht leicht. Die Stadt, in der 60.000 Einwohner leben, liegt im Norden der Eifel, in unmittelbarer Nähe zum Dreiländereck Deutschland-Niederlande-Belgien. Die multikulturelle Kommune, in der 110 Nationen leben, boomt. Trotz angespannter Haushaltslage wird „größter Wert auf die Wahrung des sozialen Friedens gelegt: Dazu gehört, Arbeitsplätze für alle Qualifizierungsstufen zu schaffen“, begründete die Jury den mit 30.000 Euro dotierten Preis. „Wir bemühen uns seit Jahren, eine global nachhaltige Kommune zu werden. Umweltschutz war anfangs sicher nicht mit Braunkohle übereinzubringen, das bedurfte in der Politik und bei den Menschen vor Ort viel Überzeugungsarbeit“, sagt Rudi Bertram (63). Seit 20 Jahren führt er für die SPD die Stadtverwaltung, auch in dieser Wahlperiode wieder mit absoluter Mehrheit. Der Lokalpolitiker gehört mit zum Zweckverband Region Aachen und hat als Bürgermeister von Eschweiler eine Macht, wie sie selbst in Nordrhein-Westfalen (NRW) nur noch selten ist, schreibt die ZEIT.
Bis 2030 gehen im Kraftwerk Weisweiler und im Tagebau Inden bis zu 4.000 Arbeitsplätze verloren. Um als Wirtschaftsstandort zu überleben, setzt der Netzwerker Bertram auf Zusammenarbeit: „Wenn die Kommunen ihren bisherigen Konkurrenzkampf weiter pflegen, ist das rheinische Revier auf der Verliererstraße. Das müssen alle begreifen.“ Sein Credo, für dass der überzeugte Sozialdemokrat gebetsmühlenartig auf Landes- und Bundesebene sensibilisiert: „Wir wollen Energiestadt bleiben. Weg vom Kirchturmdenken – hin zum regionalen Denken.“
Interkommunales Industriegebiet als Vorzeigeobjekt
Vorzeigeprojekt des Verwaltungschefs ist das neue interkommunale Industriegebiet von Eschweiler und Inden. Der Standort in sehr guter Lage, gleich neben dem Kraftwerk Weisweiler am Grachtweg, ist eines der größten industriellen Entwicklungsareale in NRW und ein wichtiger Baustein für den erfolgreichen Strukturwandel. Das Gewerbegebiet liegt je zur Hälfte auf Eschweiler Gebiet und dem der Gemeinde Inden. Insofern teilen sich beide Kommunen die Gewerbesteuereinnahmen. „Wir brauchen neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze mit Perspektive, das hat Priorität“, sagt Rudi Bertram.
Unter dem Label „Industriedrehkreuz Weisweiler/Stollberg“ soll das Gewerbegebiet ein Knotenpunkt für Waren aus aller Welt werden. Zu den fast vollständig vermarkteten 30 Hektar, wo sich auch die Aachener Kosmetikfirma Babor niederlässt, sollen noch 15 Hektar dazukommen. Die Aachener Spedition Hammer baute auf dem Gelände direkt an der Autobahn A4 eine 90.000 Quadratmeter große Logistikhalle. Das Unternehmen setzt nicht zuletzt auf die zentrale Lage zwischen Rotterdam und der Rhein/Ruhr-Schiene. Damit verbunden sind 350 neue Arbeitsplätze.
„Zum „Industriedrehkreuz“ gehört auch eine Kooperation von Eschweiler mit Stolberg, die ihren Güterbahnhof weiterentwickeln wollen. Insgesamt rechnet man mit etwa 700 Jobs, die bis zum Jahr 2027 auf dem Areal zwischen Eschweiler und Inden entstehen.
Nähe zu Aachen nutzen
Die Nähe zu Aachen ist ein weiterer Pluspunkt. Es ist ungewöhnlich, dass die Domstadt und Eschweiler gemeinsam ein interkommunales Gewerbegebiet und einen Flächenpool entwickeln. Die Idee: Die Universitätsstadt kann Interessenten kaum größere Gewerbeflächen anbieten, im zwölf Kilometer entfernten Eschweiler ist indes reichlich Platz vorhanden. „Eine Win-Win-Situation“, so Rudi Bertram. „Als Wirtschaftsstandort ist Aachen eine andere Nummer, aber wir sind jetzt der erste Ansprechpartner. Es gibt eine Absichtserklärung. Wie wir die Gewerbesteuer teilen, wird noch verhandelt.“ Wo genau sich das Areal befindet, ist noch offen.
ist Journalistin, Audio-Biographin und Coach. Lebt in Troisdorf bei Köln, arbeitet seit 1996 frei für den Öffentlich-Rechtlichen Hörfunk (WDR5) und schreibt regelmäßig für die DEMO. Homepage: www.rhein-reden.de