Obdachlosigkeit: Was sich Straßenkinder von der Politik wünschen
Sie leben von der Hand in den Mund, wohnen auf der Straße und besuchen keine Schule. Wenn sie krank sind, gehen sie so gut wie nie zum Arzt. Für rund 37.000 obdachlose Kinder und Jugendliche in Deutschland ist das Alltag, zeigt eine aktuelle Studie.
Schlechte Erfahrungen mit Eltern und dem Jugendamt
100 von ihnen haben sich am vergangenen Wochenende im brandenburgischen Jamlitz zur dritten „Konferenz der Straßenkinder“ zusammengefunden. Unterstützt wurde das Treffen vom Berliner Verein Karuna, der Bundeszentrale für politische Bildung und dem Bundesfamilienministerium.
Bei dem Kongress ging es um das Leben junger Menschen, die kein festes Dach über dem Kopf haben. Viele von ihnen sind mit Gewalt und Missbrauch aufgewachsen – und deshalb von zuhause geflohen. Sie fühlen sich alleingelassen, gehen oft nicht ganz freiwillig Beziehungen ein, nur für ein Bett oder etwas zu essen, erklären die Veranstalter der Konferenz: „Untereinander raten sie sich, das Jugendamt nicht um Hilfe zu bitten. Zu viele haben schlechte Erfahrungen gemacht und sehen sich nicht vertreten.“
„Wir wissen am besten, was wir brauchen“
Die „Straßenkinder“, das wollen sie am Montag vor dem Familienministerium in Berlin klarmachen, können sich selbst vertreten. Sie sind gekommen, um Bundesfamilienministerin Katarina Barley zu treffen. „Wir wissen am besten, was wir brauchen“, sagt Flo, ein junger Mann mit blauer Irokesen-Frisur. Er ist Sprecher von Momo, einer Selbtshilfeorganisation jugendlicher Obdachloser, die das Treffen der „Straßenkinder“ mitorganisiert hat. „Wir haben Utopien entwickelt, an denen wir mit Ihnen arbeiten wollen“, sagt er zu Barley.
Die ist gerade einmal zehn Tage in ihrem neuen Amt. Die Schirmherrschaft über die „Konferenz der Straßenkinder“ hat sie von ihrer Vorgängerin Manuela Schwesig übernommen. „Ich bin froh, dass ihr da seid“, heißt sie die Jugendlichen willkommen. „Ich bin sehr aufnahmefähig heute für eure Vorschläge.“
Katarina Barley: Kinderrechte ins Grundgesetz
Die Ideen der jungen Menschen drehen sich größtenteils um Mitbestimmung und Bildungsfragen. Sie wollen vor allem raus aus der Abhängigkeit von den Erwachsenen. So bedürfe es bis zum 25. Lebensjahr einer Zusammenarbeit mit den Eltern, wenn ein junger Mensch BAföG beantragen wolle – selbst wenn jemand nichts mehr mit den eigenen Eltern zu tun haben will, wie Flo kritisiert. Das müsse anders werden.
Katarina Barley sieht das ähnlich. Die Rechte von Kindern und Jugendlichen seien bisher in der Gesetzgebung vernachlässigt worden, sagt sie – zugunsten der Rechte der Erwachsenen. Die SPD habe vor, daran etwas zu ändern. „Wir wollen ja die Kinderrechte ins Grundgesetz schreiben,“ sagt die Ministerin. Doch viele in CDU und CSU wollten das verhindern. „Wir stoßen da im Moment noch auf viele Widerstände.“
App „Mokli“ hilft bei der Suche nach einem Schlafplatz
Die „Straßenkinder“ verlangen vor allem eine Chance, ihre Fähigkeiten und Talente nutzen können – um sich so in die Gesellschaft einzubringen. „Wir wollen mehr Straßenkinder zu Sozialarbeitern ausbilden“, sagt Flo. Auch Jörg Richert, der Geschäftsführer von Karuna, will in der Jugendhilfe auf der Erfahrung der Betroffenen aufbauen. Universitäten sollten den Zugang zu einem Studium der Sozialarbeit erleichtern, fordert er. Denn: In den „Straßenkindern“ stecke jede Menge Potential.
Dass das stimmt, zeigt die Selbsthilfeorganisation Momo: Ihre Mitglieder haben in Eigenregie eine Software speziell für obdachlose Kinder und Jugendliche entwickelt. Im Internet können Betroffene über die App „Mokli“ Schlafplätze suchen, einen Arzt finden oder nachschauen, wo es eine kostenlose Mahlzeit gibt. 3500 Stellen in ganz Deutschland sind registriert. „Das ist keine kleine Sache“, lobt Katarina Barley.
Die Ministerin zeigt sich beeindruckt von den jungen Menschen. Für die nächste „Konferenz der Straßenkinder“ wünsche sie sich eine Einladung, sagt sie – vielleicht könne sie dann auch Vertreter anderer Ministerien dafür begeistern. Damit die obdachlosen Kinder und Jugendlichen von der Politik die angemessene Aufmerksamkeit erhalten.
P. Starzmann
ist Afrikanist und Ethnologe. Er hat an der HU Berlin im Fach Afrikawissenschaften promoviert. Bis Mai 2018 war er Redakteur beim vorwärts.