„Ohne EU werden wir uns nicht gut entwickeln können“
Herzlichen Glückwunsch! Sie sind Ende vergangenen Jahres zum Präsidenten der deutschen Sektion des Rates der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE) gewählt worden. Wie funktioniert der RGRE und was unterschiedet ihn vom Ausschuss der Regionen (AdR)?
Der RGRE ist ein gemeinnütziger Verband, den es schon seit 1951 gibt. Er hat 60 Mitgliedsverbände aus 41 Ländern, darunter auch die Mitgliedsstaaten der EU. Er ist ein freiwilliger Zusammenschluss, zunehmend auch vom EU-Parlament und von der EU-Kommission angefragt wird, wenn es darum geht, für die Kommunen oder Regionen relevante Gesetzesvorhaben auf den Weg zu bringen oder Entscheidungen vorzubereiten.
Der Ausschuss der Regionen ist 1994 gegründet worden und ist eine offizielle beratende Einrichtung der EU, hat also nur Vertreter aus den 28 EU-Mitgliedsstaaten. Er hat ein förmliches Mitspracherecht bei der EU-Gesetzgebung und hat damit auch einen direkteren Einfluss auf die Politikgestaltung und Gesetzgebung der EU.
Welche inhaltlichen Schwerpunkte möchten Sie als RGRE-Präsident setzen?
Wir sind davon überzeugt, dass die europäische und internationale Politik stärker von den Kommunen mitgestaltet werden sollte. Denn hier entscheidet sich, ob die Bürgerinnen und Bürger sich von der Politik entfremden oder das Gefühl haben, dass Politik funktioniert.
Konkret möchte ich dazu beitragen die urbane Agenda weiter voranzutreiben, die 2016 während der niederländischen Ratspräsidentschaft entwickelt wurde. Aus ihr leiten sich 14 Themenpartnerschaften ab: Staaten, Städte und Regionen diskutieren auf europäischer Ebene wichtige Themen für die Entwicklung der EU. Die Stadt Karlsruhe ist zum Beispiel federführend zusammen mit der tschechischen Republik für die Themenpartnerschaft zur urbanen Mobilität zuständig. Also: Wie soll die europäische Gesetzgebung, Förderung und Rahmensetzung aussehen, damit die Mobilität in den Regionen und Städten zukunftsfähig gemacht wird. Da werden Ende 2019 – wie bei allen anderen Themenpartnerschaften auch – die Ergebnisse vorliegen. Ich möchte den RGRE nutzen, um die Ergebnisse dieser 14 Themenpartnerschaften mit allen intensiv zu diskutieren. Sie sollen aktiv in die EU-Politik eingebracht werden und nicht in einer Schublade verschwinden.
Es soll einen Fortschreibungsprozess zu der urbanen Agenda geben, der „Leipzig-Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt“ heißt. Die deutsche Ratspräsidentschaft, die im zweiten Halbjahr 2020 ansteht, hat sich zum Ziel gesetzt diese Leipzig-Charta aufzugleisen. Da werde ich mich intensiv in die Vorbereitung einbringen.
Was bedeutet „Themenpartnerschaft“ konkret?
Es gibt etwa 20 feste Kooperationspartner zur urbanen Mobilität, die sich regelmäßig treffen. Sie identifizieren Best-Practice-Beispiele, schauen sich aber auch die EU-Finanzierung und Rechtsprechung an, um der EU-Kommission Vorschläge zu machen, wie urbane Mobilität besser gefördert werden könnte. Diese 20 Kooperationspartner setzen sich zusammen aus Verbänden, Nationalstaaten, Regionen und Städten aus der ganzen EU. Darüber hinaus arbeiten wir mit allen zusammen, die fachlich Interesse an dem Thema haben. Ein Abschlussbericht soll 2020 vorgestellt werden, mit konkreten Empfehlungen an die EU.
Für eine Stadtverwaltung ist das eine echte Herausforderung, plötzlich in einem europaweiten Netzwerk Prozesse zu organisieren und Konferenzen zu planen.
Da passiert es zum Beispiel, dass eine niederländische Gemeinde einen Fahrradanteil von 40 Prozent hat und den steigern will, und in Zypern haben sie einen Anteil von 2 Prozent und wollen das Fahrradfahren überhaupt erstmal bekannt machen. In einer solchen Situation an einem Tisch zu sitzen und zu überlegen, mit welchen Maßnahmen die EU beiden weiterhelfen kann, ist unglaublich spannend.
Welche Bedeutung hat die anstehende Europawahl für die deutschen Kommunen?
An der Zukunft der EU wird sich die Zukunft jeder einzelnen Kommunen entscheiden. Wir werden uns als Nationalstaaten im internationalen Kontext und bei den anstehenden Themen – Klimawandel, Sicherheit, Migration oder Digitalisierung – nicht gut entwickeln können, wenn es keinen gemeinsamen europäischen Weg gibt.
Alle Themen, die ich aufgeführt habe, sind nur vorangekommen, weil sich irgendwann das europäische Parlament oder die EU-Kommission damit beschäftigt hat. Das hat dazu geführt, dass man irgendwann die EU-Ebene für das verantwortlich macht, was vor Ort zu Schwierigkeiten führt. Ein Beispiel sind die Fahrverbote in deutschen Städten. Das Problem ist gar nicht die EU, sondern dass man sich auf der deutschen Ebene nicht rechtzeitig und gründlich genug mit den Vorgaben – die man ja letztlich mit verabschiedet hat – beschäftigt hat. Somit ist man in die Defensive geraten ist. Und ähnlich ist es auch bei anderen Themen gelaufen.
Die Städte und Gemeinden klagen, dass ihre Anliegen und Erfahrungen bei europäischen Entscheidungen nicht immer ausreichend berücksichtigt werden. Können Sie dafür ein konkretes Beispiel nennen?
Im Nachhinein ist es schwer zu sagen, es wäre besser gelaufen, wenn man auf die Städte und Gemeinden gehört hätte. Aber es gibt positive Beispiele, wie die Mitsprache des RGRE sich ausgewirkt hat. Etwa, dass man die Wasserversorgung aus dem Bereich der sogenannten Konzessionsrichtlinie 2014 herausgenommen hat. Das ist mit dem Verweis auf die kommunale Daseinsvorsorge geschehen. Man hat also letztlich eine zwangsweise Privatisierung verhindert.
Ein zweites Beispiel sind die Verordnungsvorschläge für die sogenannte Kohäsionspolitik nach 2020. Da haben die Städte und Regionen dafür gesorgt, dass alle Regionen in der Strukturförderung bleiben und man keine weitere Differenzierung schafft. Sonst wären ganze Bereiche Deutschlands aus der Strukturförderung herausgefallen.
Haben Sie konkrete Vorschläge für Reformen?
Wir müssen zum einen darüber diskutieren, wie die Kommunen sich so stark machen und organisieren, dass sie auf europäischer Ebene besser ihre Interessen vertreten können. Das müssen wir auf kommunaler Seite noch stärker wahrnehmen und auch den Bürgerinnen und Bürgern erklären. Gegenüber der EU müssen wir dafür kämpfen, dass Kommunen auch bei allen Prozessen der Politikgestaltung gehört werden. Ich habe aber den Eindruck, dass man uns schon gut wahrnimmt, wenn wir uns entsprechend einbringen.
Vor dem Brexit haben die Städte und Gemeinden Großbritanniens geschwiegen. Was können die Kommunen selbst dafür tun, damit Populisten und Europa-Gegner nicht die Oberhand gewinnen?
Wir müssen auf der nationalen Ebene zugeben: Viele Themen, die für uns anstrengend sind – wie Fahrverbote und Luftreinhaltung – haben zwar etwas mit der europäischen Ebene zu tun, die Probleme resultieren aber eher aus der nationalen Umsetzung und nicht aus einer übergestülpten EU-Rechtsprechung.
Wir können aber auch nicht sagen: Wir haben jetzt jahrelang über die EU gejammert und jetzt sind wir plötzlich leidenschaftliche Europäer. Das glaubt uns keiner! Wir müssen sagen: Wir sind leidenschaftliche Europäer, weil die EU die einzige Politebene ist, die wichtige Themen überhaupt erst auf die Agenda gesetzt hat.
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.