Personalnot in der Pflege
Wer etwas über den drohenden Pflegenotstand in ländlichen Regionen erfahren will, kann den Landkreis Uckermark in Brandenburg besuchen. In einem hellen Büro der Kreisverwaltung in Prenzlau arbeitet Alexander Bonitz, als Mitarbeiter im Amt für Kreisentwicklung. „Der demografische Wandel ist hier deutlich zu spüren“, sagt er. Die Einwohnerzahl ist seit 1990 von 170.000 auf 120.000 geschrumpft. Viele junge Menschen ziehen weg, der Anteil derjenigen, die älter als 65 sind, steigt. Bonitz erzählt: Eine Studie des Brandenburgischen Gesundheitsministeriums habe ausgerechnet, dass im Land Brandenburg 2030 jeder dritte Schulabgänger eine Ausbildung zur Pflegefachkraft absolvieren müsste, um den Bedarf zu decken.
Schwierige Voraussetzungen
Das Thema betrifft viele Kommunen. Das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft spricht in einer aktuellen Studie von einem bundesweiten Mehrbedarf von 130.000 bis 150.000 Fachkräften bis 2035. Im Landkreis Uckermark gesellen sich zu den demografischen Problemen noch weitere hinzu: Pflegefachkräfte würden in Brandenburg von den Kassen schlechter bezahlt als zum Beispiel in Süddeutschland, beklagt Bonitz. Und das Personal, das da ist, habe lange Wege und arbeite nicht immer effizient. „Da fahren drei Fachkräfte ins Dorf rein und drei wieder raus“, hat Bonitz beobachtet. Der Grund: Verschiedene ambulante Pflegedienste konkurrieren statt zu kooperieren.
Die Kommunalpolitik bemüht sich, das zu ändern. Ein Schritt war das „Aktionsprogramm Regionale Daseinsvorsorge“, das der Bund von 2012 bis 2014 durchgeführt hat. Der Landkreis Uckermark beteiligte sich als eine von 21 Kommunen. „Das hatte einen konzeptionellen Charakter“, erklärt Bonitz, der damals für das Programm zuständig war. Das bedeutet: Zu vier „Infrastrukturbündeln“ – darunter der Bereich Pflege – wurden Arbeitsgruppen gegründet und alle beteiligten Akteure im Landkreis ins Boot geholt: Fachämter, Wohlfahrtsverbände, Seniorenrat, Pflegedienste und weitere. Gemeinsam wurden Probleme angesprochen und mögliche Lösungen erörtert: Wo hakt es bei der Pflege und ärztlichen Versorgung? Wie kann man die Nahversorgung und Mobilität sicherstellen? Was hilft gegen Vereinsamung?
„Es war einfach kein Geld da”
Immerhin: Das Programm hat einige Impulse gesetzt. In der Kleinstadt Brüssow sind das Deutsche Rote Kreuz und die Volkssolidarität eine Kooperation eingegangen. Sie teilen sich Räume, und wenn eine Pflegekraft des einen Dienstleisters ausfällt, springt der andere auch mal mit einer Vertretung ein. In der Arbeitsgruppe Pflege wurden auch neue Bürgerzentren angeregt. Im Ergebnisbericht der AG heißt es: „Das Angebot umfasst die Grundversorgung mit Waren des täglichen Bedarfs, Dienstleistungen wie Post, Internet, E-Government, Pflegeberatung, niedrigschwellige Hilfsangebote/Nachbarschaftshilfe“. Auch Platz für soziale und kulturelle Aktivitäten sollten die Zentren bieten. „Die Crux: Es war einfach kein Geld da“, sagt Alexander Bonitz. Der Bund hat das Aktionsprogramm zwar auch finanziell gefördert, doch der lange Atem fehlte.
Ein Beispiel: In der Gemeinde Schönfeld wurde ein bestehendes Bürgerzentrum mit einer Personalstelle aufgewertet, um Senioren zu betreuen. Das nötige Geld stammte aus einem weiteren Bundesprogramm, das Anlaufstellen für ältere Menschen schaffen sollte. Auch einen VW-Bus schaffte man sich an, um Senioren zum Beispiel zu Kulturveranstaltungen fahren zu können. Der Bus ist noch da, die Förderung für die Stelle ist ausgelaufen.
„Konzertierte Aktion Pflege”
Dass sich beim Thema Pflege etwas ändern muss, weiß auch die Bundesregierung. Anfang Juli haben gleich drei Minister eine „Konzertierte Aktion Pflege“ ins Leben gerufen: Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), die für Senioren zuständige Familienministerin Franziska Giffey sowie Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil (beide SPD). „Wir wollen mehr Menschen für den Pflegeberuf begeistern und dazu die Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen verbessern“, kündigte Giffey an. Ziel ist es laut Heil ferner, mehr Tarifbindung für Pflegebeschäftigte zu erreichen.
Fünf Arbeitsgruppen sollen sich nun mit den Themen Ausbildung und Qualifizierung, Arbeits- und Gesundheitsschutz, mit innovativen Versorgungsansätzen und Digitalisierung, Fachkräften aus dem Ausland und den Löhnen beschäftigen und konkrete Schritte vorschlagen. Dabei treffen Vertreter von Bund und Ländern sowie von Berufsverbänden, Pflege- und Krankenkassen, Kirchen und weitere Akteure aufeinander. Die Kommunen sind in allen Arbeitsgruppen über die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände vertreten. Vor wenigen Tagen haben die AGs ihre Arbeit aufgenommen, Ende des Jahres sollen erste Maßnahmen erarbeitet sein.
Der Artikel stammt aus der DEMO-Ausgabe 09/10 2018. Wie im Landkreis Uckermark – in Templin – mit einem ambulant-stationären Zentrum neue Pflegeansätze erprobt werden, lesen Sie hier:
demo-online.de/pflege-templin
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.