Studie: Wie digitales Arbeiten stadtmüde Städter aufs Land locken kann

Das Berlin-Institut für Bervölkerung und Entwicklung untersuchte Projekte, die gemeinschaftliche Wohnformen und digitales Arbeiten auf dem Land verwirklichen oder künftig planen. 18 wurden genauer untersucht, die meisten davon in Brandenburg.
von Karin Billanitsch · 13. August 2019
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In vielen entlegenen Landstrichen in Deutschland, insbesondere im Osten, zeigt sich das gleiche Bild: leere Dorfkerne, weder Lebensmittelladen noch Kneipe, auch die Bankfiliale ist längst abgewandert. Viele Junge gehen weg, dorthin, wo es Universitäten gibt oder Ausbildungsmöglichkeiten und Arbeit. Die betroffenen Regionen versuchen mehr oder weniger, sich diesem Trend entgegenzustemmen – oft wissen sie nicht wie. Wie kann es gelingen, sich dem Trend zur Stadtflucht entgegenzustemmen?

„Mehrwert in ländliche Regionen tragen“

Auf der anderen Seite gibt es aber auch Menschen, die sich bewusst für das Land entscheiden. Für diese Menschen hat nun das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung interessiert. „Noch sind es nicht genug Menschen, um dem ländlichen Raum flächendeckend aus der Misere zu helfen“, sagt der Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, Rainer Klingholz. Ihn interessiert: „Gibt es Menschen, die kreativ sind, und Mehrwert in die ländlichen Regionen tragen?

„Lebenswerte Orte entstehen dort, wo sich Menschen mit neuen Ideen und Projekten ans Werk machen und eine Perspektive für sich und andere schaffen“, führt Klingholz aus. Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung und Neuland 21, haben in einem Auswahlverfahren 18 solcher Projekte untersucht und in der Studie „Urbane Dörfer – wie digitales Arbeiten Städter aufs Land bringen kann. Zum Beispiel wurden nur Projekte mit mindestens zehn Menschen ausgewählt, und der Fokus lag auf gemeinschaftlichen Wohnformen und innovativen Arbeitsmodellen. Die Studienautoren haben sich speziell auf die fünf deutschen Flächenländer konzentriert.

„Menschen ziehen Menschen an“

Die stadtmüden Großstädter suchen sich leerstehende Resthöfe, aufgegebene Schulen, alte Mühlen oder unbewohnte Plattenbauten früherer LPGs und hauchen ihnen neues Leben ein. Noch ist ihre Anzahl überschaubar – um die 140 solche Projekte haben die Studienautoren recherchiert – doch sie könnten „Pioniere einer neuen Bewegung sein, die mit digitalen und urbanen Ideen das Leben auf dem Land neu erfindet, wie es in der Studie heißt. „Menschen ziehen Menschen an“, betont Silvia Hennig, Gründerin von Neuland 21.

„Indem sie frisches Leben in Gebäude bringen, die mitunter lange leer standen, wirken sie einem großen Problem entgegen: dem Entstehen von Donut Dörfern“, sagt Mitautor Manuel Slupina. Er beschreibt das Phänomen: Ortskerne verfallen, während am Ortsrand die Neubaugebiete wuchern.

„Speckwürfel“ in der Peripherie

Ein Ergebnis der Studie: So genannte Familienwanderer sind die einzige Altersgruppe, die sich auch abgeschiedene Gemeinden als Wohnort aussuchen. Es sind junge Familien im Alter zwischen 30 und 49 Jahren, die umziehen, weil die Angebotsmieten niedriger beziehungsweise das eigene Häuschen erschwinglicher sind. Es entstehen „Speckwürfel“, einzelne Gemeinden, die der demografischen Entwicklung trotzen und Menschen anziehen.

„Die Politik wäre gut beraten, wenn sie die Motive und Bedürfnisse der jungen Land-Siedler besser kennen lernt“, so Slupina.  Kommunen sollten ihren Leerstand „aktiv anpreisen“. Landkreise und das Land könnten neue Geschäftsideen fördern oder Netzwerke vermehrt unterstützen.

Die Projekte, die in der Studie beschrieben werden, sind vielfältig: Es gibt etwa das Projekt Libken in Gerswalde in Böckenberg, ein Denk- und Produktionsort in Libken ist ein Denk- und Produktionsort, der seit Ende 2014 in auf dem Gelände eines ehemaligen LPG-Wohnkomplexes entwickelt wird. Da ist Coconat, einer der ersten Coworking Spaces, ein Arbeitsort mit Gästehaus. „Alte Mühle Gömnigk“ ist ein Gemeinschaftswohnprojekt auf dem Gelände einer 150 Jahre alten Wassermühle. Vier gibt es bereits in dem Ort.

Beispiel Gutshof Prädikow

Der 35-jährige Philipp Hentschel ist einer der Akteure: Er will raus aus der Hauptstadt Berlin und auf den Gutshof Prädikow ziehen. Mit ihm planen 45 bis 60 Erwachsene mit Kind und Kegel nach Brandenburg zu ziehen­ auf einen großen Vierseithof. „Es ist unglaublich energiezehrend, ein großes Unterfangen“, sagt Hentschel. Er ist Projektmanager für Digitalprojekte. Bislang ist es eine Baustelle. Es sollen in den nächsten Jahren Büros, Werkstätten und Übernachtungsmöglichkeiten und Wohnungen entstehen. Bis Anfang der 1990iger Jahre befand sich auf dem Gelände eine Brennerei.

Henschel und seine Mitstreiter haben einen Verein gegründet, der etwa 45 Mitglieder zählt. Er wird durch die Stiftung trias und die Mietergenossenschaft Selbstbau eG. aus Berlin unterstützt. Internetanschluss gibt es, 50 Mbits sind für Hentschel ausreichend. Ohne Internet geht es nicht. Auch Mobilität ist natürlich ein großes Thema: Die Anbindung zum Bahnhof soll durch Fahrradsharing verbessert werden. Carsharing sei auch geplant, führt Hentschel aus.

Die Projekte die untersucht wurden, finden sich zumeist im Umland von Berlin oder Leipzig, räumt Silvia Hennig ein. Die Schmerzgrenze läge so bei eineinhalb Stunden Fahrzeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln. In Sachsen-Anhalt, Thüringen oder Mecklenburg-Vorpommern seien solche Projekte selten. Ein weiterer Punkt sei ebenfalls wichtig, betont Hennig: dass die Bürgermeister vor Ort Neuem gegenüber aufgeschlossen sind. Es gebe Foren und Plattformen, wo zum Beispiel interessante Wohnmöglichkeiten angeboten werden könnten.

Autor*in
Karin Billanitsch

ist Redakteurin beim vorwärts-Verlag und schreibt für die DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik.

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