Taner Ünalgan: „Bildung lohnt sich”

Der Vater Müllwerker, die Mutter Putzkraft: Taner Ünalgan wurde das Abitur nicht gerade in die Wiege gelegt. Doch er schaffte es an die Uni. Heute ist er Gelsenkirchens jüngster Stadtverordneter. Und er ermutigt Jugendliche, sich ebenfalls politisch zu engagieren.
von Silke Hoock · 6. Juni 2017
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Taner Ünalgan kommt aus ­einer Arbeiterfamilie. Bildung und sozialer Aufstieg waren keine Selbstverständlichkeit für ihn. Heute ist Taner Ünalgan nicht nur der erste in seiner Familie, der das Abitur gemacht, den Bachelor bestanden hat und auf seinen Masterabschluss hinarbeitet. Heute ist der junge Mann, der Anzug trägt, auch jüngster Stadtverordneter der SPD in ­Gelsenkirchen. Er will Jugendlichen aus bildungsfernen und ärmlichen Verhältnissen Mut machen, dass auch sie es schaffen können. „Bildung lohnt sich“, sagt der 24-Jährige.

Geldsorgen kannte er

Als Sohn türkischer Migranten wuchs Ünalgan in Gelsenkirchen auf. „Ich konnte nicht an jeder Klassenfahrt teilnehmen. Wir hatten Geldsorgen und ich wusste: So geht es vielen“, erzählt er. „Ich war einer der Jungs, die ich heute zu überzeugen versuche, was aus ihrem Leben zu machen“, erinnert er sich an die Zeit, die er lärmend und spielend auf dem Hof der Mietwohnung verbrachte, während seine Eltern arbeiteten: der Vater als Müll­werker, die Mutter als Friseurin und später als Putzfrau.

Taner Ünalgan besucht zunächst die ­Realschule, wechselt zum Gymnasium und macht Abitur. Bereits mit 16 Jahren tritt er den Falken bei, später dann der SPD. „Mein SoWi-Lehrer hat mir Deutschlands NS-Vergangenheit nahegebracht. Ich kann nicht verstehen, dass es immer noch Leute gibt, die dieser menschenverachtenden Ideologie nachlaufen, obwohl sie doch wissen müssten, was damals passiert ist.“ Die Erkenntnis, dass Menschen aus Geschichte falsche oder keine Schlüsse ziehen, haben ihn motiviert, sich politisch zu engagieren und dabei mitzuhelfen, die Demokratie gegen ihre Feinde zu verteidigen.

Die Herkunft wird zum Korsett

Und natürlich sein eigenes Thema: soziale Gerechtigkeit. Oder besser gesagt: dass Herkunft immer noch der entscheidende Faktor dafür ist, „ob du es in dieser Gesellschaft schaffst oder nicht“. „Es ist nicht in Ordnung, dass die Herkunft einen großen Teil deines ganzen Lebens bestimmt.“ Auch bei ihm selbst gab es ein gedankliches Korsett. Das Abitur war schon ein Riesenschritt – aber ein ­Studium? Zunächst hatte der Gelsenkirchener keinen Gedanken daran verschwendet. Ein Studium war etwas, was andere machten. Doch nach einer zunächst begonnenen Ausbildung zum Koch – ,,ich wollte arbeiten und Geld verdienen“– fruchteten die Ermutigungen, auch seines Ex-Lehrers, es doch zumindest mal zu versuchen mit der Uni.

Ünalgan hat es geschafft. Der Student der Sozialwissenschaften arbeitet gezielt an seiner Zukunft und will für junge Menschen ein Vorbild sein. Er stellt sich jeder Debatte, jeder Frage, egal wo. Als Stadtverordneter und Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Gelsenkirchen-Altstadt ist er in der Erwachsenenpolitik angekommen. „Hier setze ich mich auch dafür ein, dass erst in Schulen, dann in Straßen investiert wird.“ Das ist ein schwieriger Akt. Denn in der Ruhrgebietsstadt, die an den Folgen des Strukturwandels leidet und ­einen ­Riesenbatzen ihres Haushaltes in den ­sozialen Etat investieren muss, hat man nicht viel Spielraum zur Gestaltung.

„Jeder kann mitmachen“

Doch dass in Gelsenkirchen die Belange Jugendlicher berücksichtigt werden, zeigt etwa der Jugendrat, den es seit dem Jahr 2015 gibt: Bei Umbauvorhaben in der Gelsenkirchener City fließen auch dessen Vorschläge mit ein. Jugendräte oder Jugendparlamente sind ein guter Weg für Jugendliche, sich früh politisch zu engagieren und etwas zu gestalten. Auch Ünalgan – der die doppelte Staatsbürgerschaft besitzt und auch mal als „Scheiß-Türke“ beschimpft wird – will den Nachwuchs interessieren. Nur meckern oder sich hängen lassen, „bringt nichts“. Jeder könne mitmachen, sich für die Gesellschaft einsetzen.

Manchmal, wenn der Student eine Pause vom Schreibtisch braucht, geht er auf den Balkon und sieht dort den Kindern zu, die auf dem Hof Fußball spielen. „Für meine Eltern war es immer wichtig, dass ihre Kinder gut in der Schule sind“, blickt er dann auf die eigene Kindheit zurück. Dass die SPD derzeit von ihrem neuen Vorsitzenden Martin Schulz profitiert, freut den Gelsenkirchener. Ob SPD-Kanzlerkandidat Schulz Jugendliche für Politik dauerhaft begeistern kann, will Ünalgan nicht beurteilen. Doch mit Schulz seien Optimismus und Selbstwertgefühl zurückgekehrt. „Die SPD steht für soziale Gerechtigkeit. Dass unserer Kernbotschaft wieder mehr Gehör geschenkt wird, hat auch etwas mit seiner persönlichen ­Biografie zu tun.“ Vor den NRW-Landtagswahlen war Ünalgan dauerhaft im Einsatz. Ihm macht es Spaß, gestalten zu können, und er hofft, dass viele junge Menschen seinem Beispiel folgen.

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