In Templin wird die Pflege-Versorgung neu gedacht

Viele pflegebedürftige Menschen wollen möglichst lange in den eigenen vier Wänden leben. Das geht nur, wenn kompetente Fachärzte in der Nähe sind – im ländlichen Raum fehlen sie oft. In Templin läuft ein Modellprojekt. Dort setzt man auf eine neue Kombination von ambulanter und stationärer Versorgung sowie auf „Agnes-Zwei-Fachkräfte“.
von Carl-Friedrich Höck · 8. Oktober 2018
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Das Pflegesystem in Deutschland hat ein Problem: den demografischen Wandel. Deshalb treiben die Politiker drei Fragen um: Wie sichern wir genügend Pflege-Fachkräfte für die älter werdende Gesellschaft? Wie kann das Pflegesystem bezahlbar bleiben? Und was muss getan werden, damit ländliche Räume nicht abgehängt werden von der Versorgung, die alte und kranke Menschen benötigen?

Konzertierte Aktion Pflege

Mit einer „Konzertierten Aktion Pflege“ hat sich die Bundesregierung auf die Suche nach Antworten gemacht. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), Familienministerin Franziska Giffey sowie Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil (beide SPD) haben sie gemeinsam ins Leben gerufen. Die Idee: Fünf Arbeitsgruppen mit Vertretern von Politik und Verbänden sollen gemeinsam Vorschläge erarbeiten. Im Herbst haben sie ihre Arbeit aufgenommen. In den Blick nehmen sie die Arbeits- und Ausbildungsbedingungen von Pflegern, aber auch die Zuwanderung von Fachkräften. Eine AG soll innovative Versorgungsansätze und die Chancen der Digitalisierung unter die Lupe nehmen.

Wahrscheinlich wird dort auch über einen Ansatz gesprochen, der momentan in Templin erprobt wird. Die Kleinstadt gehört zum Landkreis Uckermark in Brandenburg. Ein Kreis mit viel Fläche und immer weniger Einwohnern, die zudem im Schnitt zunehmend älter werden. Dort läuft ein Modellprojekt, dass mit 14,5 Millionen Euro vom Bund gefördert wird und den sperrigen Namen „IGiB StimMT“ trägt.

Kooperation zwischen Haus- und Klinikärzten

Ziel ist es, die Gesundheitsstruktur in der Region umzubauen. Der Ausgangspunkt: Während die örtliche Geburtsklinik kaum ausgelastet war, fehlte eine Geriatrie (Altersheilkunde). Mittlerweile wurde in Templin ein „RegioMed“-Zentrum aufgebaut. Das Besondere: Niedergelassene Ärzte und Krankenhausärzte kooperieren.

Vereinfacht dargestellt funktioniert das so: Zuwendungsintensive Patienten mit geriatrischen Krankheiten werden nicht mehr ausschließlich in den Arztpraxen behandelt, sondern ergänzend in die Station in Templin gebracht. Dort werden sie von niedergelassenen Ärzten und Fachärzten gemeinsam behandelt, auch Logopäden oder Physiotherapeuten sind bei Bedarf vor Ort. Die niedergelassenen Ärzte der Region arbeiten jeweils einen halben Tag pro Woche in dem Zentrum in Templin und erlernen dort auch geriatrische Kompetenzen, die sie wiederum im Praxisalltag nutzen können. Ziel ist es, die Patienten nicht im Krankenhaus behandeln zu müssen, selbst bei täglichen Therapien. Ein Shuttle bringt sie morgens ins Zentrum und nachmittags wieder nach Hause.

Ambulant-stationäres Zentrum

Das StimMT-Projekt knüpft seit 2017 an die gewonnenen Erfahrungen an, wie Projektleiter Dr. Hans-Joachim Helming erklärt. Man baue ein Ambulant-Stationäres Zentrum auf, „in welchem ebenfalls kooperativ und sektorübergreifend Patienten mit speziellen Erkrankungen behandelt werden.“ Ergänzt wird das Zentrum durch eine Koordinierungs- und Beratungsstelle für die Patienten und ihre Angehörigen.

Dort arbeiten auch sogenannte „Agnes-Zwei-Schwestern“, eine „Brandenburger Erfindung“, so Helming. Was vor eineinhalb Jahrzehnten als Pilotprojekt begonnen hat, ist mittlerweile fest etabliert: Agnes-Fachkräfte sollen die Ärzte entlasten und Patienten unterstützen. Sie betreuen die Patienten auch in Gesundheitsfragen mit, „in Bereichen, für die man aber nicht Medizin studiert haben muss“, wie Helming erklärt.

„Agnes-Schwestern” – mehr als eine Pflegekraft

Agnes-Kräfte seien „Fallmanagerinnen“ an der Seite des Arztes. Das heißt: Sie beraten die Patienten und ihre Angehörigen. Sie kennen sich in den verschiedenen Sozialgesetzbüchern aus und wissen zum Beispiel, welche Leistungen die Kassen und welche die Kommunen bezahlen. „Sozialleistungen sind breit gestreut, aber schwer zugänglich“, erklärt Helming. Es sei nicht für jeden ersichtlich: Was bekomme ich bei wem? „Das wirft so viele Fragen auf, und am Ende verzage ich und sitze eben ohne Rollator zuhause.“ Da brauche es jemanden, der die Ansprechpartner in den Kassen, Kliniken und Ämtern kennt.

Agnes-Fachkräfte helfen bei Antrags- und Widerspruchsverfahren, organisieren Arzttermine und Shuttle-Fahrten. Und sie besuchen die Pflegebedürftigen zuhause und schauen nach dem Rechten: Nehmen sie die verschriebenen Tabletten? Gibt es Hinweise auf neue Erkrankungen, die zügig untersucht werden müssen? Dabei können sie auch auf telemedizinische Maßnahmen zurückgreifen: etwa dem behandelnden Arzt ein Foto von einer offenen Wunde schicken, damit der sie einschätzt.

Die Zuwendung lohnt sich für alle Seiten

Und die Agnes-Kräfte schenken Aufmerksamkeit und Zeit, die Ärzten manchmal fehlt, erklärt Mandy Tornow. Die zierliche Frau ist gelernte Gesundheitspflegerin und lässt sich derzeit zur Agnes-Fachkraft weiterbilden. „Empathie ist nicht ersetzbar“, betont sie. Viele Betroffene öffneten sich erst mit der Zeit, weil sie ihre Pflegebedürftigkeit ungern zugeben.

Bezahlt werden die Agnes-Fachkräfte von den Krankenkassen. Aus Sicht der Kassen lohne sich die Investition, sagt Helming: Krankheiten würden so früher erkannt, eine teure Krankenhausbehandlung könne oftmals vermieden werden. Der Drehtüreffekt – Krankenhaus-Zuhause-Krankenhaus – werde unterbunden. Und vielleicht, hofft Helming, beteiligen sich ja künftig auch die Kommunen an dem Modell.

 

Mehr Informationen:
igib-stimmt.de

Autor*in
Porträtfoto Mann mit Brille und dunkelblonden Haaren
Carl-Friedrich Höck

ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.

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