In allen EU-Staaten müssen die Arbeitgeber die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten „objektiv und verlässlich” erfassen. Nur so könne die Einhaltung von Höchstarbeitszeiten effektiv kontrolliert werden. Dies entschied jetzt der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem Fall aus Spanien. Das Urteil hat auch auf Deutschland Auswirkungen.
Streit um generelle Arbeitszeiterfassung
Im konkreten Fall stritt der größste spanische Gewerkschaftsdachverband CCOO mit der spanischen Niederlassung der Deutschen Bank über die Einführung einer generellen Arbeitszeiterfassung. Im spanischen Recht ist sie bisher nicht vorgesehen. Der Nationale Gerichtshof Spaniens legte aber den Fall dem EuGH vor und fragte, ob sich aus EU-Recht etwas anderes ergebe.
Der EuGH prüfte dabei die EU-Arbeitszeit-Richtlinie von 2003. Diese sieht eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden (inklusive Überstunden) vor sowie eine tägliche Mindestruhezeit von elf Stunden am Stück und eine wöchentliche Mindestruhezeit von 24 Stunden am Stück. In der Richtlinie steht zwar keine ausdrückliche Pflicht zur Aufzeichnung der Arbeitszeit. Laut EuGH ist die Richtlinie aber so auszulegen, dass eine derartige Pflicht besteht.
Der EuGH nahm dabei auf die EU-Grundrechte-Charta Bezug. Danach haben alle Arbeitnehmer das „Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen”. Dieses Recht wäre gefährdet, wenn die Arbeitnehmer selbst beweisen müssten, wie lange sie gearbeitet haben. Da Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis die „schwächere” Vertragspartei sind, bestehe die Gefahr, dass sie ihre Rechte nicht einfordern können oder sich dies nicht trauen. Nicht ausreichend sei, so der EuGH, wenn nur die Überstunden erfasst werden. Vielmehr müsse die gesamte Arbeitszeit aufgezeichnet werden. Nur so sei effektiv nachweisbar, welche Zeiten als Überstunden zu bezahlen sind.
Gilt das Urteil auch für Deutschland?
Das Urteil gilt auch für Deutschland, weil auch das deutsche Arbeitszeitgesetz auf der EU-Richtlinie beruht. Bisher ist die vollständige Erfassung der Arbeitszeit nur in wenigen Branchen gesetzlich vorgeschrieben, etwa für LKW-Fahrer, Bauarbeiter, in Gaststätten und in der Fleischwirtschaft. Für die anderen Branchen muss entweder der Bundestag wohl das Arbeitszeitgesetz ändern oder das Bundesarbeitsgericht muss ein entsprechendes Grundsatzurteil fällen. Die Art der Erfassung (Stechuhr, Papierlisten oder digital) können die EU-Staaten bestimmen. Sie können dabei auch nach Branche und Größe der Unternehmen differenzieren. DGB-Vize Annelie Buntenbach begrüßte das Urteil. „Das Gericht schreibt der Flatrate-Arbeit einen Riegel vor. Richtig so.” In der Praxis sind noch viele Fragen offen: Was gilt für Außendienstmitarbeiter? Ist „Vertrauensarbeitszeit” noch möglich?
Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) legte sich übereinstimmenden Medienberichten zufolge indes noch nicht fest, ob das Arbeitszeitgesetz geändert werden muss. Aber er stellte klar: „Die Aufzeichnung von Arbeitszeit ist notwendig, um die Rechte der Beschäftigten zu sichern.“
Debatte um Erfassungsart
Der Arbeitgeberverband BDI sprach sich in einer Mitteilung gegen die generelle „Wiedereinführung der Stechuhr im 21. Jahrhundert“ aus. „Auf die Anforderungen der Arbeitswelt 4.0 kann man nicht mit einer Arbeitszeiterfassung 1.0 reagieren.“ Verdi monierte, dass dabei „ignoriert wird, dass die Arbeitszeit heute auf vielfältige Weise erfasst werden kann, etwa mit einer Chipkarte, auf dem Laptop oder per App auf dem Smartphone.“ Die Arbeitszeiterfassung mache die Entgrenzung der Arbeit sichtbar. Unterdessen veröffentlichte das BMAS auf Twitter eine App zur Arbeitszeiterfassung: