Verwaltungshandeln der Stadt sichtbar machen

Stärkere Öffnung der Ämter, mehr Einblick und Zugang für die Bürger: Einige Städte und ­Landkreise sind bei Open Government besonders kreativ – die Modellkommune ­Brandis zum Beispiel oder Gelsenkirchen, wo ein Open-Data-Portal gestartet wurde.
von Maicke Mackerodt · 20. September 2017
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Selbst in deutschen Rathäusern kursiert zunehmend englisches Vokabular. Spricht man etwa von Open Government, meint dies die Öffnung der Verwaltungsstuben, um so den Bürgerinnen und Bürger mehr Zugang und Einblick zu ermöglichen. Doch die gläserne Ämterstruktur, wie überhaupt das Bürgerrecht auf Informationsfreiheit, will auch gelernt sein. Eher erleben Demokratieaktivisten „vielerorts noch die alte Amtsverschwiegenheit“, wie man etwa bei der Berliner Open Knowledge Foundation rügt. Dabei benötige eine funktionierende demokratische Gesellschaft zunächst einmal „Transparenz, demokratische Kontrolle und ­freien Zugang zu staatlichen Daten und Informationen sowie die Möglichkeit, diese mit anderen Bürgern zu teilen“, heißt es bei dem Verein, der gegenwärtig entsprechende EU-Förderprojekte betreut.

Flickenteppich in Deutschland

Doch allein in punkto Informationsfreiheit zeigt sich Deutschland noch als ­Flickenteppich. Bereits im Jahr 1998 verabschiedete Brandenburg als erstes Land ein Informationsfreiheitsgesetz (IFG), auf dessen Basis jedermann ohne Angabe von Gründen staatliche Dokumente nachfragen darf. Im Jahr 1999 folgte Berlin, 2000 dann Schleswig-Holstein. Auch der Bund besitzt seit 2006 solch ein Gesetz, nicht aber Bayern, Hessen, Niedersachsen und Sachsen. Stets wird es hier durch die ­Union blockiert.

Im Grunde bildet die Republik gar schon eine Drei-Klassen-Gesellschaft aus Ländern ohne Informationsfreiheit, solchen mit IFG sowie Hamburg und Rheinland-Pfalz, wo bereits ein noch weiter reichendes Transparenzgesetz gilt. Auf dessen Basis müssen Behörden ihre Dokumente sogar von sich aus ins Netz stellen.

Vor diesem Hintergrund startete der Bund im Februar gemeinsam mit Städte­tag, Landkreistag und Städte- und Gemeindebund das Pilotprojekt „Modellkommune Open Government“. Alle 2060 Städte und 294 Landkreise waren aufgefordert, sich dafür zu bewerben – doch ganze 26 taten es schließlich. Offenkundig sähen die Verwaltungen „Open Government bislang kaum als tagesaktuelle Aufgaben“ an, hieß es seitens der Jury, die dennoch neun ­Modellaspiranten auswählte.

„Mit-Mach-Stadt“ Brandis

Neben viermal Nordrhein-Westfalen – Köln, Bonn, Moers, Merzenich – sind auch Niedersachsen mit Oldenburg, Baden-Württemberg mit Tengen und Sachsen mit Brandis vertreten. Hinzu kommen der hessische Landkreis Marburg-Biedenkopf und der Saalekreis in Sachsen-Anhalt. Alle werden für zwei Jahre mit je 50.000 Euro beim Erarbeiten und Umsetzen von mehr Behördentransparenz unterstützt.

Brandis gehört hierbei für Außenstehende zu den Überraschungen. Doch nachdem der politische Seiteneinsteiger Arno Jesse (SPD) im Jahr 2013 auf Anhieb mit gut 64 Prozent ins Bürgermeisteramt gewählt wurde, hatten Insider die 10.000-Seelen-Kommune schnell auf dem Schirm. So wurde Brandis bereits 2014 „Sächsische Innovationskommune“. Denn die Stadt ersann eine Reihe kreativer Projekte, um über digitale Kanäle Bürgerteilhabe zu stimulieren. So kann seit Einführung eines neuen Ratsinformations­systems jeder Einwohner per Mausklick den Terminkalender der Stadtgremien einsehen, können auf alle öffentlichen Sitzungsunterlagen zugreifen und über Protokolle auch deren Ergebnisse studieren. Daneben testete Brandis eine Bürgerbeteiligung per Online-Voting, etwa zur Einzelhandelsstruktur.

Die Stärkung jener „Mit-Mach-Stadt“, wie Jesse sie anstrebt, ist nun auch erstes Anliegen beim Open-Government-Pilotprojekt. Der Rathauschef will weiter die Innenstadt aufwerten, hierzu die Zugangs- und Teilnahmemöglichkeiten der Bewohner „zielgruppengerecht“ ausdehnen und zudem den begonnenen „Kulturwandel innerhalb der Verwaltung“ verstetigen. Als Werkzeuge hierfür nennt Jesse eine Bürger-App, die „mobile und punktgenaue Informationsplattform“ werden soll, ein Café Communale, in dem man mit ihm an jedem zweiten Donnerstag im Monat auch unangemeldet ganz zwanglos plaudern kann, und eine Letterbox. In diesen schlichten Holzkasten werfen die Einwohner Postkarten mit „Frust oder Freud”, die dann umgehend digitalisiert und auf das städtische Beteiligungsportal übertragen werden. Diese Innovation speziell für nicht so online-affine Zeitgenossen stellte Brandis sogar auf der Computermesse Cebit aus. Von dem Open-Government-Modellvorhaben verspricht sich Jesse zugleich Erkenntnisse, „wann, wie und wo diese Werkzeuge eingesetzt werden sollten und ob sie für alle Personenkreise tauglich sind“.

Gelsenkirchen wird transparent

Die Stadtverwaltung Gelsenkirchen hat im Frühjahr dieses Jahres – symbolisch – die Schlösser auf ihren kommunalen Daten – geöffnet. Jeder hat jetzt Zugang zu den Daten der Stadt im zentralen Ruhrgebiet, sei es über Kindergärten, Schulen, Spielplätze, Parkanlagen oder den Altersdurchschnitt in einem Stadtteil. Zum Start stellte Gelsenkirchen 70 Datensätze auf ihrem Open-Data-Portal zur ­freien Verfügung. „Die Daten Deiner Stadt gehören Dir“, heißt es auf der Gelsenkirchener Homepage. Sie sollen sukzessive offen, transparent und frei nutzbar geteilt werden. Nur personenbezogene Daten unterliegen nach wie vor dem Datenschutz und dürfen nicht öffentlich gemacht ­werden.

Für eine einjährige Testphase landet der Rohstoff Information gut aufbereitet im Portal „Open Data Gelsenkirchen“ oder auf #wirwollenswissen: Statistiken, Einwohnerdaten, Fakten zur Infrastruktur, zum Verkehr oder zu Grundstücken – alles wird der Öffentlichkeit kostenlos zur Verfügung gestellt. Zuletzt wurden die Vornamen der unter 1-jährigen Kinder online gestellt. Spitzenreiter waren: Mia, Leon und David.

„Das ist für eine klassische, deutsche Verwaltung ein großer, deutlicher Schritt. Wir geben den Rohstoff Information frei und stellen ihn Dritten zur Verfügung. Ein entscheidender Schritt hin zu mehr Transparenz und Bürgerbeteiligung. Wir geben damit aber auch die Deutungshoheit aus der Hand“, sagt Frank Baranowski (SPD). Der Oberbürgermeister der kreisfreien Stadt nennt es „einen Paradigmenwechsel“ hin zu einer „vernetzten Stadt“.

Daten weiter verwendbar

Jeder, der über die notwendigen Programmierkenntnisse verfügt, kann die Gelsenkirchener Daten für Apps oder Online-Recherche weiterverwenden. Angeboten werden Formate, die weiterverbunden werden können, um eigene Apps oder Internetseiten zu entwickeln. Möglichst mit praktischem Anwendernutzen, sei es bei lokalen Stauwarnungen via Navi oder Wartezeiten bei Behördengängen. Begleitet wird das städtische Projekt von Studierenden der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen. Sie haben in Arbeitsgruppen die Kampagne bereits im Vorfeld unterstützt und entwickeln aktuell in Seminaren Ideen für Anwendungen. Schwerpunkte sind: Tourismus, Soziales und Gelsenkirchen für Ältere.

Gelsenkirchen folgt in Nordrhein-Westfalen dem Beispiel von rund 20 weiteren „digitalen Kommunen“, darunter die bereits erwähnten Vorreiter Köln, Bonn und Moers – aber auch andere.

Wuppertal neu dabei

Neu dabei ist Wuppertal. Im ­vorigen Herbst startete die Stadt mit der ­Schwebebahn auf dem Portal „offen­daten-wuppertal“ mit 27 Datensätzen zum Thema Geo-­Daten, Haushalt oder Wirtschaft. Mittlerweile sind es mehr als 50.

Allerdings sind zum Beispiel die neun Datensätze zum Thema „Haushalt und Steuern“ in der traditionellen Auflistung mühsam und nicht besonders griffig zu lesen. Deshalb haben Nico Heßler und Ralf Glörfeld von der „offenerhaushalt.opendatal“-Initiative gemeinsam mit der Stadt den komplexen Wuppertaler Kommunalhaushalt seit dem Jahr 2012 visualisiert. In den bunten Kachelgrafiken kann man wunderbar verständlich und transparent sehen, wofür die Stadt im Detail eigentlich wie viel Geld ausgibt. Klickt man auf „Soziale Leistungen“ lässt sich einfach nachvollziehen, wie sich der Etat von 358.815.07 Euro auf Grundsicherung oder Hilfe zur Pflege aufteilt. Weitere Apps zeigen sämtliche Bushaltestellen in Wuppertal, oder – in Kooperation mit Ruhr-E – wie gut die Luft in Wuppertal ist. Opendata will so Regierungshandeln transparent und nachvollziehbar machen.

Autor*in
Maicke Mackerodt

ist Journalistin, Audio-Biographin und Coach. Lebt in Troisdorf bei Köln, arbeitet seit 1996 frei für den Öffentlich-Rechtlichen Hörfunk (WDR5) und schreibt regelmäßig für die DEMO. Homepage: www.rhein-reden.de

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