Vom Neuköllner in das Rote Rathaus?

Franziska Giffey will Berlin regieren – dabei könnte ihr die bezirkspolitische Erfahrung helfen.
von Carl-Friedrich Höck · 3. September 2021
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Es kommt nicht oft vor, dass Kommunalpolitiker direkt ins Bundeskabinett wechseln. Franziska Giffey ging diesen Schritt im März 2018. Die SPD nominierte die damalige Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Neukölln für das Amt der Familienministerin. Jetzt nimmt Giffey einen weiteren Posten in den Blick: Sie will Regierende Bürgermeisterin von Berlin werden. Am 21. September, parallel zur Bundestagswahl, werden in der Bundeshauptstadt auch das Abgeordnetenhaus und die Bezirksverordnetenversammlungen neu gewählt.

Kommunalpolitische Erfahrungen prägen die Sozialdemokratin

Ihre kommunalpolitischen Erfahrungen prägen Giffey bis heute. 2007 trat sie in die SPD ein, 2010 wurde sie Bezirksstadträtin für Schule, Bildung, Kultur und Sport. Fünf Jahre später beerbte Giffey den bisherigen Bezirksbürgermeister von Neukölln, Heinz Buschkowsky. „Mich hat immer beschäftigt, wie viele Familien in sehr schwierigen sozialen Verhältnissen leben und was wir dagegen tun können“, sagt die 43-Jährige.

Sie habe dazu beitragen wollen, dass alle Kinder erfolgreich sein können – egal ob sie aus armen oder reichen Verhältnissen stammen, ob die Eltern deutsch sprechen oder nicht. „Dabei habe ich auch erlebt, wie wichtig ein starker Staat ist, der auch die Mittel hat Dinge anzugehen“, erzählt Giffey.

Giffeys Vorteil gegenüber anderen Kandidierenden

Mit ihren Erfahrungen als Bezirksbürgermeisterin hat die SPD-Politikerin den Spitzenkandidaten der anderen Parteien etwas voraus. Weder Bettina Jarasch (Grüne) noch Klaus Lederer (Linke) oder Kai Wegner (CDU) haben bisher ein ähnliches Amt ausgeübt. Das könnte noch wichtig werden, denn in Berlin wird gerade über die Aufgabenverteilung zwischen Senat und Bezirken diskutiert. Bisher führen doppelte Zuständigkeiten zuweilen dazu, dass sich Verwaltungen gegenseitig die Verantwortung zuschieben. Medien spotten über „Behörden-Pingpong“. Mit einem „Zukunftspakt Verwaltung“ haben sich Senat und Bezirksbürgermeister vor zwei Jahren auf Reformen verständigt.

„Die SPD will darauf aufbauen und den nächsten Schritt gehen, indem wir über eine Verfassungsänderung eine zeitgemäße Steuerung und klare und effiziente Strukturen verankern“, erklärt Franziska Giffey. Das Verhältnis zwischen Senat und Bezirken will sie in einem parteiübergreifenden Verfassungskonvent neu definieren. Dabei sollen die Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung der Bezirks- und Senatsverwaltungen eindeutig geregelt und zugeordnet werden. Als ehemalige Bezirksbürgermeisterin kennt Giffey die Herausforderungen und Anforderungen in den Bezirksverwaltungen gut. Das Thema „funktionierende Verwaltung“ hat sie zu einem Kernpunkt ihrer Kampagne gemacht.

Wohnungsbau soll Chefinnensache werden

Ein weiteres, wohl entscheidendes Thema im Berliner Wahlkampf, ist der Mangel an bezahlbaren Wohnungen. Giffey plant, den Wohnungsneubau zur Chefinnensache zu erklären und Planungsverfahren zu beschleunigen. Gemeinsam mit genossenschaftlichem und privatwirtschaftlichem Wohnungsneubau will die SPD bis 2030 insgesamt 200.000 neue Wohnungen schaffen. Zudem sollen die landeseigenen Wohnungsunternehmen Bestandswohnungen ankaufen. Aktuell besitzen sie rund 320.000 Wohnungen. Im Jahr 2026 sollen es 400.000 sein, für die 2030er Jahre strebt Giffey 500.000 landeseigene Wohnungen an.

Manchmal funktioniert Berlin als Seismograf für politische Entwicklungen – dann wandert ein Thema von Berlin aus auf die bundespolitische Bühne. „Zum Beispiel wurde der Versuch eines Berliner Mietendeckels ursprünglich von Genossen in Berlin-Mitte entwickelt“, sagt der Berliner SGK-Vorsitzende Sascha Schug. Das Bundesverfassungsgericht hat den Deckel gekippt, es sieht die Zuständigkeit beim Bund. Nun geht die SPD mit der Forderung nach einem Mieten-Moratorium in die Bundestagswahl. Fragt man Schug, was er sich von der nächsten Bundesregierung wünscht, antwortet er: „Eine andere Bodenpolitik“. Außerdem will er das Gewerbemietrecht anpassen. Es dürfe nicht so bleiben, dass man Gewerbemieterinnen und -mietern einfach von heute auf morgen kündigen kann, meint Schug. Deshalb brauche es so etwas wie einen Mietendeckel, „damit unser kleinteiliges Gewerbe, soziale Einrichtungen, Kitas und Ähnliches nicht den Verdrängungsmechanismen zum Opfer fallen.“

Kleingewerbe stärker fördern

Auch Franziska Giffey sorgt sich wegen steigender Gewerbemieten. Sie will die landeseigenen Wohnungsgesellschaften in die Lage versetzen, Kleingewerbe stärker in ihrem Gebäudebestand zu fördern. Und auch im Bund trete die SPD für ein neues Gewerbemietrecht ein, um Kleingewerbe, soziale und kulturelle Einrichtungen besser vor Mieterhöhungen oder Kündigungen zu schützen, sagt sie.

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Porträtfoto Mann mit Brille und dunkelblonden Haaren
Carl-Friedrich Höck

ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.

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