Was Kommunen auf dem Land gegen den Ärztemangel tun
Die rund 1600 Einwohner des Fleckens Oppin nördlich von Halle in Sachsen-Anhalt haben Glück: Während sich in vielen Orten gleicher Einwohnergröße Patienten zum Arztbesuch in die nächstgrößere Stadt aufmachen müssen, können kranke Oppiner zu einem jungen Facharzt für Allgemeinmedizin in die Sprechstunde, der fußläufig zu erreichen ist. Jens Abendroth ist 34 Jahre alt und hat vor zwei Jahren die Praxis von einem Landarzt übernommen, der in den Ruhestand wollte. Die Stadt Landsberg, zu der Oppin gehört, hat ihm eigens neue Praxisräume gebaut, die der Niedersachse angemietet hat. Andere Kommunen werben mit günstigem Bauland, um den Ärztemangel auf dem Land zu beheben.
Work-Live-Balance trotz Ärztemangel
Dem Klischee des Landarztes, der rund um die Uhr für seine Patienten erreichbar ist, quasi in seinen Praxisräumen lebt und die Familie nur kurz beim Essen zu Gesicht bekommt, will Abendroth trotz großem Einzugsgebiet nicht entsprechen: Seinen Arbeitstag wolle er genau strukturieren, um „das Nötige für die Familie, seine Gesundheit und das Seelenheil zu tun“. Das hat er noch vor Praxiseröffnung über die Lokalzeitung verkündet.
Der Jungmediziner gehört einer Generation an, die trotz der Liebe zum Beruf klare Grenzen zieht. Landleben muss sich lohnen, nicht nur finanziell. Arbeits-, Familien- und Freizeit müssen sich in der Balance halten. Dies lässt sich etwa aus einer Studie der Kassenärztlichen Bundesvereinigung unter Medizinstudenten ableiten: Für 87,4 Prozent der befragten angehenden Mediziner ist es beispielsweise wichtig, Kinder zu bekommen. Kommunalverwaltungen, die erfolgreich den Ärztenachwuchs ansprechen wollen, müssen sich deshalb innovative Angebote einfallen lassen. Zumal unter den Medizinstudierenden immer mehr Frauen sind, die später Kinder und Beruf in Einklang bringen wollen.
Zuschüsse machen Ärzten Lust auf Landleben
Gemeinden können hier etwa mit guten Kinderbetreuungsmöglichkeiten punkten. Der Hausärztemangel – nicht nur im ländlichen Raum, sondern auch in Ballungszentren – zeichnet sich schon länger ab. Dagegen haben sich inzwischen in den Bundesländern Koalitionen aus den Kassenärztlichen Vereinigungen, Krankenkassen, Kommunalverbänden und den zuständigen Ministerien gebildet. Einige Förderprogramme sind angelaufen, ob sie am Ende Wirkung zeigen und den Medizinernachwuchs davon abhalten, sich auf ein Fachgebiet zu spezialisieren, wird sich erst noch zeigen. Jens Abendroth hat alle Chancen ergriffen, sich von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) beraten lassen und deren politische Kontakte in die Kommunalverwaltung genutzt.
Die Offerten, die jungen Medizinern Lust aufs Land machen sollen, sind vielfältig. Besonders aktiv ist die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Thüringen. Seit Juni 2007 gibt es in diesem Bundesland die „Stiftung ambulante Versorgung Thüringen“. Sie vergibt Stipendien bis zu 60.000 Euro, wenn sich der Mediziner oder die Medizinerin auf vier Jahre verpflichtet, eine Hausarztpraxis zu führen. Die ersten Stipendiaten seien geblieben, berichtet KV-Sprecher Veit Malolepsy und zählt weiter auf: Wer nicht weiß, ob ihm das Führen einer Praxis liegt, kann eine „Niederlassungsfahrschule“ besuchen und als angestellter Arzt in einer von der Stiftung betriebenen Praxis zwei bis drei Jahre lang seine Qualitäten als Manager testen.
Werbetour durch die ländlichen Räume
Das Land Baden-Württemberg gibt zwischen 10.000 und 30.000 Euro an Zuschüssen. Dort haben sich im Jahr 2015 die KV und die Techniker Krankenkasse zusammengetan und Medizinstudierende zu einer Bustour durch die ländlichen Gebiete eingeladen. Besucht wurden Arztpraxen, und immer dabei waren hohe Vertreter aus den Rathäusern oder Landratsämtern – und zahlreiche Medienvertreter. „Junge Männer wollen eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf genauso wie die Frauen“, hat Andreas Vogt, Leiter der TK-Landesvertretung Baden-Württemberg, beobachtet. Er berichtete den zwölf Tourteilnehmern, dass durch Gesetzesänderungen die ambulante Versorgung für junge Mediziner attraktiver gemacht werden solle. Beispielsweise werde die Anstellung von Kollegen, auch in Teilzeit, vereinfacht.
Bei allen Anreizen: Wenn die Jungmediziner aufs Land wollen, dann nicht dorthin, wo sich Hase und Igel gute Nacht sagen. Sie bevorzugen die Nähe einer größeren Stadt. Jens Abendroth sagt, so sehr ihn das Dorf Oppin gereizt habe, die Nähe der Stadt Halle in der Nachbarschaft mit immerhin 232.000 Einwohnern habe ihm die Entscheidung leichter gemacht.
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ist freier Journalist. Er ist Mitglied im Verein Deutsches Institut für Normung und dort im Redaktionskreis für eine DIN Einfache Sprache. Webseite: leichtgesagt.eu