„Wichtig für die Völkerverständigung“
Was macht eine gute Freundschaft aus? Der persönliche Kontakt und die Hilfe in schlechten Zeiten. Beides gilt auch für befreundete Städte wie Bergkamen im Ruhrgebiet und Gennevilliers vor den Toren von Paris in Frankreich. Als das Attentat von Paris im vergangenen Jahr Europa erschütterte und bekannt wurde, dass einer der Täter in Gennevilliers zu Hause war, waren Trost und Beistand gefragt. „Ich bin direkt nach den Anschlägen nach Gennevilliers gefahren und habe an einer Mahnveranstaltung der Stadt teilgenommen. Wir haben zusätzlich auch eine Solidaritätsbekundung geschickt“, berichtet Roland Schäfer, Bürgermeister Bergkamens und Präsident der Union der Sozialdemokratischen Kommunal- und Regionalpolitiker Europas.
Ungewöhnliche Mischung
Diese eine Geste verdeutlicht, wie sehr die 52.000-Einwohner-Stadt in Nordrhein-Westfalen ihre Städtepartnerschaften pflegt. Wie es zu der ungewöhnlichen Mischung ihrer Partner kam – Hettstedt in Sachsen-Anhalt, Silifke in der Türkei, Gennevilliers in Frankreich und Wieliczka in Polen – auch das erinnert Sozialdemokrat Schäfer. Mit Hettstedt ging es nach der Wiedervereinigung im Oktober 1990 los. In Sachsen-Anhalt leistete man Hilfe beim Aufbau von Verwaltungsstrukturen.
Die zweite Partnerschaft ist dem Zufall zu verdanken. Der damals ehrenamtliche Bürgermeister Bergkamens Wolfgang Kerak war hauptberuflich Steinmetz und gut bekannt mit dem türkischen Steinmetz Mehmet Uyanik, der ebenfalls in Bergkamen lebte und einen Auftrag aus Taşucu in der Türkei angenommen hatte. So entstanden die ersten Kontakte und ein Gedanke in der ehemaligen Bergbaustadt reifte zur Überzeugung: Eine türkische Städtepartnerin wäre genau das Richtige. „Damals wie heute stellen die Menschen mit türkischen Wurzeln den größten Migrantenanteil an der Gesamtbevölkerung“, sagt Roland Schäfer. Auch er reiste damals – noch als Stadtdirektor – mit in die Türkei und war angetan von einer weltoffenen und zuvorkommenden Bevölkerung. Und: „Die Frauen liefen ohne Kopftuch rum und fielen ihren Männern auch mal ins Wort“, erzählt er mit einem Augenzwinkern. Die Partnerschaft mit Taşucu, das inzwischen von Silifke eingemeindet wurde, wurde 1994 besiegelt.
1995 folgten Gennevilliers in Frankreich und Wieliczka in Polen, nahe Krakau. Beide Städte waren industriell geprägt, hatten genauso wie Bergkamen mit dem Strukturwandel zu kämpfen und waren an einer Städtepartnerschaft interessiert. In Wieliczka kamen die persönlichen Kontakte des damaligen Kulturdezernenten Dieter Treeck zum Tragen. Der Begründer der ersten kommunalen Galerie Deutschlands „sohle 1“ kannte viele polnische Künstler und hatte das Krakau-Bergkamen-Komitee zur Sanierung eines Patrizierhauses in Krakau gegründet.
So kam es, dass Bergkamen insgesamt internationaler wurde mit vielen Begegnungen und Reisen von Schülern, interessierten Bürgern, Künstlern. „Wenn du in Taşucu unterwegs bist und dich als Bergkamener zu erkennen gibst, wirst du direkt eingeladen“, erzählt Manfred Turk, pensionierter Dezernent und Motor der Begegnung. Der Bergkamener hat sein Herz an die türkische „Freundin“ verloren und reiste 40 Mal ans Mittelmeer. Als in Taşucu das nötige Gerät für den Bau einer neuen Promenade fehlte, schickte Turk Mitarbeiter und Gerätschaft des Baubetriebshofes. Die türkische Stadt hat sich auf ihre Weise für diese Hilfe bedankt: Seitdem gibt es dort eine Bergkamener Straße.
Städtepartnerschaften als Bestandteil gesellschaftlichen Miteinanders
Die Städtepartnerschaften sind in Bergkamen ein wichtiger Bestandteil des gesellschaftlichen Miteinanders. Deutlich wurde dies beim Stadtjubiläum. Bergkamen feierte sein 50-jähriges Bestehen und alle Städtepartner feierten mit. Mit einer Ausnahme. Die türkischen Freunde fehlten. Doch zu diesem Zeitpunkt war gerade die Affäre um den Satiriker Jan Böhmermann akut, und die Teilnahme am Fest wurde abgesagt. Dennoch ist der Bürgermeister Silifkes Dr. Mustafa Turgut optimistisch: „Die Beziehung zwischen der Türkei und Europa hat keine Auswirkung auf die Beziehung zwischen Bergkamen und Silifke. Die Türkei erlebt gerade schwere Zeiten, doch unsere Freundschaft wird weiterhin Bestand haben.“ Auch Roland Schäfer betont, dass die Städtepartner keine Außenpolitik betreiben. Die Bürgermeister sprechen mit einer Stimme: „Unsere Städtepartnerschaft ist wichtig für die Völkerverständigung und ein friedliches Zusammenleben.“