Wie die Stadt Bielefeld sich gegen Rassismus stellt

Bielefeld hat eine bunte Zivilgesellschaft, die sich aktiv gegen Rassismus stellt. Das ist kein Zufall, weiß Emir Ali Sağ von der Antidiskriminierungsstelle. Im Interview berichtet er von seiner Arbeit – und wie die Proteste in den USA sich darauf auswirken.
von Carl-Friedrich Höck · 17. August 2020
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Herr Sağ, Sie leiten die Antidiskriminierungsstelle der Stadt Bielefeld. Wie ist die Einrichtung entstanden?

Die Stelle wurde 2009 eingerichtet, als auch ein Amt für interkulturelle Angelegenheiten geschaffen wurde. Damit ist die Stadt einer Forderung des Integrationsrates nachgekommen, der gewählten Migrantenvertretung – Bielefeld war übrigens 1973 eine der ersten Städte, diese installiert haben.

Wie würden Sie den Schwerpunkt Ihrer Arbeit beschreiben?

Fragen des Alltagsrassismus sind für uns ein zentrales Thema. In Bielefeld hatten wir ein enormes Problem damit, dass Jugendlichen mit Migrationshintergrund der Zugang zu Einrichtungen wie Diskotheken verweigert wurde. Ebenso der Wohnungsmarkt: Dort finden Menschen mit ausländischen Namen nur schwer eine Wohnung.

Früher gab es in Bielefeld auch Anschläge auf Heime, bei denen türkischstämmige Menschen angegriffen wurden. In den 1980er Jahren wurde in der Stadt ein Haus von Neonazis erworben. All das hat die Stadt zu der Erkenntnis gebracht, dass man aktiv für eine offene Gesellschaft eintreten muss – gemeinsam mit dem Migrantenorganisationen und -vereinen. Auch das ist ein wichtiger Schwerpunkt unserer Arbeit.

Und wir dokumentieren Fälle von Diskriminierung. Alle zwei Jahre legen wir dem Integrationsrat und dem Hauptausschuss der Stadt eine Dokumentation vor: Was für Fälle gibt es, wo kommen sie vor, und was empfehlen wir, um dagegen vorzugehen? Besonders wenn es in der Verwaltung passiert, ist es wichtig, Vorfälle schriftlich festzuhalten. Denn damit dokumentieren wir auch, dass wir eine Verpflichtung haben, zu reagieren.

Was können Sie im Alltag konkret tun, um die genannten Probleme anzugehen?

Zum einen bieten wir persönliche Beratung an. Wir sind eine Anlaufstelle für betroffene Menschen, wir registrieren und dokumentieren Fälle von Diskriminierung – natürlich anonym. Wir können keine Rechtsberatung anbieten, aber wir verorten, wo die Probleme sich häufen und reagieren dann.

Eine wichtige Aufgabe ist auch, das Thema Rassismus zu enttabuisieren. Sowohl in der Verwaltung als auch in der Zivilgesellschaft. Kein Mensch und keine Einrichtung ist frei von Rassismus. Sich damit auseinanderzusetzen fällt aber vielen schwer, weil Rassismus oft direkt mit Rechtsextremismus assoziiert wird.

Wie kann man Menschen dazu bringen, offener über Rassismus zu sprechen?

In Bielefeld organisieren wir jedes Jahr rund um den internationalen Tag gegen Rassismus im März Aktionswochen. Im vergangenen Jahr hatten wir mehr als 100 Veranstaltungen, die auch von zivilgesellschaftlichen Gruppen und Akteuren mitorganisiert werden, dem Netzwerk für rassismuskritische Arbeit. Die Antidiskriminierungsstelle der Stadt hat das Netzwerk eingerichtet und die Federführung übernommen.

Welche Menschen kommen denn zu Ihnen – und was sind die häufigsten Probleme?

Die meisten Fälle in diesem Jahr kamen aus der Arbeitswelt. Das hatte auch mit den Protesten in den USA zu tun: Für manche waren sie ein Anstoß, eigene Rassismus-Erfahrungen nicht mehr einfach hinzunehmen und sich zu beschweren.

Zum Beispiel hatten wir zwei Jugendliche mit Migrationshintergrund, die nicht in einen Supermarkt eingelassen wurden. Bei uns melden sich auch Krankenschwestern oder Pflegepersonal, die aus anderen Ländern kommen und Arbeitsverträge eingegangen sind, mit denen sie rechtlich nicht abgesichert waren. Jugendliche haben auf Baustellen vom Vorgesetzten gesagt bekommen: Wenn Fremde kommen, haltet euch im Hintergrund. Von solchen abwertenden Aussagen wurde uns in diesem Jahr häufig berichtet.

Wie gehen Sie vor, wenn Ihnen solche Dinge berichtet werden?

Wir machen mit dem Betroffenen einen Termin und besprechen, was die Person erreichen will. Wir können selbst keine Rechtsberatung anbieten, aber auch mal einen Anwalt nach seiner Einschätzung fragen. Dann schreiben wir als Antidiskriminierungsstelle – die direkt beim Oberbürgermeister angesiedelt ist – die betroffene Arbeitsstelle oder Einrichtung an, schildern den Fall und bitten um eine Stellungnahme und ein Gespräch. Wir wollen vermitteln. Oft gehen die Angesprochenen darauf auch ein.

Mit dem genannten Diskothekenbesitzer oder mit dem Hotel- und Gaststättenverband haben wir ebenfalls das Gespräch gesucht  - wie in unzähligen Fällen vorher. Da ging es schon gar nicht mehr um Einzelfälle. Wir mussten also gemeinsam einen Weg suchen, das Problem grundsätzlich zu lösen. Wenn Beschwerden über ein bestimmtes Amt oder ein Jobcenter eingehen, dann reagieren wir sehr schnell: Indem wir das bei der benannten Behörde ansprechen, Schulungen anbieten oder eine Empfehlung aussprechen, was dagegen getan werden kann.

Die Stadt hat kürzlich ein Handlungskonzept gegen Rassismus und Rechtsextremismus veröffentlicht. (Hier als PDF.) Was sind die Eckpunkte des Konzeptes?

Das Handlungskonzept wurde erstellt auf Grundlage der breiten Diskussion in der Stadt Bielefeld. Und es wurde einstimmig von allen Ausschüssen und vom Rat der Stadt beschlossen. Es nimmt verschiedene Handlungsfelder in den Blick: Politische Bildung zum Beispiel, Sport, Medien, Kultur, Frauen, Kinder und Jugendliche, aber auch Stadtteile und Arbeitswelt. Wir haben uns angeschaut: Welche Ziele wollen wir im jeweiligen Bereich erreichen? Und mit welchen konkreten Maßnahmen kann das gelingen?

Uns war zum Beispiel aufgefallen, dass das Thema Rassismus in der Erwachsenenbildung zu wenig angesprochen wird. Da wollen wir die Angebote ausbauen, zum Beispiel an der Volkshochschule oder dem Historischen Museum der Stadt. Eine wichtige Rolle spielt auch die Erinnerungskultur. Wir müssen die Menschen daran erinnern, was geschehen ist, und das mit konkreten Orten verbinden. Ein Projekt waren die „10+1 Bäume”: In einem Park wurden für die zehn Opfer der NSU-Morde zehn Bäume gepflanzt und mit einer Gedenktafel versehen. Der elfte Baum steht für die anderen Opfer rassistischer Morde in den vergangenen Jahrzehnten.

Welche Rolle spielt die Zivilgesellschaft in Bielefeld?

Wir haben eine gut vernetzte Zivilgesellschaft, die sich an Aktionen wie dem Tag gegen Rassismus beteiligt: Die Kinos machen mit, die Gewerkschaften und Kirchen und auch die Stadtteile. Es gibt Filme, Musik, Kunstprojekte, die sich mit dem Thema auseinandersetzen. Ein Beispiel ist der Film „Ich laufe immer leise”, in dem Menschen mit Migrationshintergrund, die hier aufgewachsen sind, ihre Erfahrungen schildern und den Alltagsrassismus, den sie erleben. Die Stadtwerke als Kooperationspartner haben den Film in den Bussen und Bahnen gezeigt.

Lässt sich so eine aktive Zivilgesellschaft aktiv fördern?

Wir haben in Bielefeld eine gewisse Tradition: In den 1980er Jahren haben wir ein „Begegnungszentrum Friedenshaus“ eingerichtet. Das wurde schon damals wesentlich von der Zivilgesellschaft entwickelt und getragen. 40 Prozent der Bielefelder haben einen Migrationshintergrund und wir haben mehr als 70 Migrantenorganisationen, die sich gesellschaftlich einbringen. Beim Bündnis gegen Rechts sind zuletzt zehntausend Menschen auf die Straße gegangen.

Hilfreich ist, dass solche Aktivitäten gefördert werden. Schirmherren der Aktionswochen im März sind der Oberbürgermeister, der Rektor der Universität und der Präsident der Fachhochschulen. Mit der Antidiskriminierungsstelle der Stadt haben wir einen festen Ansprechpartner etabliert und helfen, Strukturen aufzubauen und Partner zu vernetzen. Wenn kleinere Gruppen ein Projekt auf die Beine stellen wollen, aber keine Räume oder finanziellen Mittel haben, unterstützen wir sie.

Wichtig ist mir das Verständnis: Hier kämpfen nicht die Guten gegen die Bösen. Sondern wir alle wollen als Menschen das Leben in unserer Gemeinde zusammen gestalten.

Hier lesen Sie Teil 2 des Interviews: „Unsere Institutionen sind nicht frei von Rassismus.”

Autor*in
Porträtfoto Mann mit Brille und dunkelblonden Haaren
Carl-Friedrich Höck

ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.

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