Wohnraum für Flüchtlinge und andere Bedürftige

Wo die vielen Flüchtlinge unterbringen und arme Menschen? Das Karlsruher Modell „Wohnraumakquise durch Kooperation“ zeigt erfolgreich, dass die Schwächsten auf dem Wohnungsmarkt nicht gegeneinander ausgespielt werden müssen.
von Karin Billanitsch · 23. März 2016
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„Meine Mitarbeiter sind zurzeit sehr gefragte Ansprechpartner.“ Martin Lenz, Bürgermeister in Karlsruhe (SPD) und Dezernent für Jugend und Eltern, So­ziales, Schulen, Sport, Bäder und Migra­ti­ons­fra­gen spielt auf ein Konzept in der Wohnraumpolitik an, das Schule macht. Deutschlandweit haben Lenz und seine Leute ihre Idee „Wohnraumakquise durch Kooperation“ vorgestellt. Für viele Wohnungslose und sozial Bedürftige, die von Obdachlosigkeit bedroht sind, konnte die Stadtverwaltung Karlsruhe in den vergangenen Jahren 500 Wohnungen finden, die langfristig vermietet wurden. Jetzt, in der Flüchtlingskrise, suchen nicht nur Städte, sondern auch Kreise und Gemeinden nach Wohnraum, nicht zuletzt um drohende Obdachlosigkeit von Flüchtlingen zu verhindern. Obwohl es das Karlsruher Modell für mehr Wohnraum schon seit zehn Jahren gebe, sei es gerade heute wieder besonders aktuell und auch in kleineren Zentren anwendbar, betont Lenz.

Leerstand durch finanzielle Anreize verringern

Karlsruhe hat sich auf die Fahnen geschrieben, genügend angemessene Wohnungen auch für sozial Bedürftige bereitzuhalten, die obdachlos oder von Wohnungslosigkeit bedroht sind. Kurz gesagt funktioniert das folgendermaßen: Ein privater Eigentümer stellt eine Wohnung zur Verfügung. „Da der Neubau von Wohnungen nicht zügig genug realisiert werden kann, richten wir damit unser Augenmerk auf den Leerstand“, erzählt Lenz. Ohnehin hat Karlsruhe eine der niedrigsten Quoten in Deutschland. Im ersten Schritt muss der Eigentümer von der Sache überzeugt werden, und das ist oft schwierig. Viele wollen sich nicht gleich langfristig binden. Die Stadt appelliert an die soziale Verantwortung, aber auch daran, dass sich für den Eigentümer die Vermietung lohnt.
Wenn nötig, bezuschusst die Stadt die Sanierung – für das Programm hat der Gemeinderat aktuell 500.000 Euro zur Verfügung gestellt. Im Gegenzug vermietet der Eigentümer für zehn Jahre an sozial benachteiligte Menschen zu einer Miete auf „Hartz-IV-Niveau“. Die Stadt gibt darüber hinaus eine befristete Mietausfallgarantie.

Ein Jahr auf Probe wohnen

„Das Besondere daran ist“, erklärt Lenz, „dass wir zunächst eine Art Probewohnen machen“. Im Detail schließt die Sozialbehörde eine Vereinbarung mit dem Eigentümer der Wohnungen, dass diese nach der Sanierung zunächst – über ­eine Belegungsvereinbarung – nur für ein Jahr mit wohnungslosen Personen belegt werden. Lenz: „Die eingewiesenen Personen haben innerhalb eines Jahres die Möglichkeit einer sozialarbeiterischen Begleitung. Treten keine Probleme auf, die Bedenken bezüglich eines Mietverhältnisses rechtfertigen, erhalten die Betroffenen einen eigenen Mietvertrag und sind somit nicht mehr obdachlos.“ Nach Ansicht von Lenz lässt sich dieses Verfahren auch auf die Wohnraumversorgung von Flüchtlingen anwenden.

Chance für ländliche Gebiete

Lenz weist – neben dem sozialen Aspekt – auf „enorme wirtschaftliche Vorteile“ des Konzeptes hin. Er stellt einen Kostenvergleich gegenüber der Unterbringung in Pensionen oder Hotels auf. Ein Einpersonenhaushalt benötigt danach 351 ­Euro, ein Vierpersonenhaushalt 702 Euro Mietkosten monatlich für die eigenen vier Wände. Dagegen kostet in Karlsruhe eine Unterbringung in Beleghotels 870 bzw. 2640 Euro. Das Programm werde sich auch regional ausbreiten, gibt sich Lenz überzeugt. Ein Beispiel: Seit 2008 gibt es einen Kooperationsvertrag zur Wohnraumversorgung Wohnungsloser mit Stutensee im Landkreis Karlsruhe.

Autor*in
Karin Billanitsch

ist Redakteurin beim vorwärts-Verlag und schreibt für die DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik.

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