Kommentar

Kampf gegen Klimawandel darf nicht am Haushaltsrecht scheitern

Daniel Mühlenfeld13. Oktober 2023
Daniel Mühlenfeld ist seit 1994 Mitglied der SPD, seit 2014 Mitglied im Rat der Stadt Mülheim an der Ruhr und dort Sprecher für Umwelt und Energie. Beruflich ist er in der Energiewirtschaft tätig.
Die Einsicht, dass wir bei Klimawandel und Klimafolgenanpassung etwas tun müssen, ist auf kommunaler Ebene vorhanden. Der Umsetzung wird durch bestehendes Haushaltsrecht immer wieder ein Riegel vorgeschoben. Ein Zwischenruf von Daniel Mühlenfeld, Ratsmitglied in Mülheim an der Ruhr.

Der Klimawandel ist ein allgegenwärtiges Thema. Wie dringend und drängend es ist, sich dieses Themas auch und gerade in der Lokal- und Kommunalpolitik anzunehmen, machen vermehrt auftretende Ausnahmewetterlagen wie Starkregen- und Starkwindereignisse mit ihren in erster Linie lokalen Folgen vermehrt deutlich.

Umso bedauerlicher ist es, dass es in vielen Kommunen weiterhin keine oder nur wenig Bemühungen gibt, sich im Sinne einer Klimafolgenanpassung gegen die unweigerlich eintretenden klimatischen Veränderungen zumindest besser zu wappnen. Dies liegt oftmals nicht um Unwillen, der lokalen Verantwortungsträger, sondern an der Etat- und Haushaltslage zahlreicher Kommunen, die seit Jahren und Jahrzehnten in einer Schuldenfalle stecken, ohne dass es bislang einen echten und ernsthaften Versuch seitens Bund und Ländern gegeben hätte, dieses offenkundige Problem strukturell zu lösen, indem die Finanzbeziehungen im Dreiebenen-Modell der deutschen Staatsordnung grundlegend neu geordnet worden wären.

Kommunen nicht auskömmlich finanziert

Verantwortlich für die Lage der Kommunen mögen in Einzelfällen teure und mitunter für die Kommunalfinanzen ruinöse Leuchtturmprojekte gewesen sein. Weit öfter sind es die von Bund und Ländern zur Durchführung an die Kommunen delegierten Aufgaben insbesondere im Bereich des Sozialrechts, die seit Jahrzehnten strukturell nicht auskömmlich finanziert sind. Daraus resultiert insbesondere in zahlreichen westdeutschen Städten, die seit den 1970er-Jahren auf die eine oder andere Art einen viel und gern zitierten wirtschaftlichen Strukturwandel durchlaufen haben, in dessen Folge gutbezahlte Arbeitsplätze in Industrie und produzierendem Gewerbe weggefallen und über die Zeit durch weniger und vor allem oft auch weniger gut bezahlte Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor ersetzt wurden, zu einer Doppelbelastung der Kommunalfinanzen.

Erstens sinkt bei sinkender Beschäftigungsquote das Steueraufkommen. Davon ist eine Kommune direkt und indirekt betroffen, weil die Schlüsselzuweisungen und auch die lokal erhobene Gewerbesteuer zurückgehen. Zugleich steigen aber die Sozialausgaben der Kommune, weil die staatlichen Leistungen, die auf Grundlage der Bundessozialgesetzgebung ausgezahlt werden, eben nicht auskömmlich finanziert sind.

Diese Doppelkrise der Kommunalfinanzen hat zahlreiche Städte und Gemeinden über die Jahre und Jahrzehnte an den Rand der Handlungsfähigkeit gebracht. Dabei hat sich unwiderlegbar bewiesen, dass das vielfach propagierte Konzept des Gesundsparens aus eigener Kraft nicht funktioniert: Wer kein Geld hat, kann keine ansprechende Betreuungsinfrastruktur für Kinder aufbauen, ist damit nicht attraktiv als Wohnort und verliert damit zugleich an Attraktivität für Unternehmen, die auf der Suche nach einem Standort sind. In diesem Sinne müssen zahlreiche Stadtentwicklungsprojekte, die mittels Fördermitteln und letzter eigener Finanzkraft gestemmt wurden und heute oft verkürzt als Ursache für die endgültige Überschuldung zahlreicher Städte verantwortlich gemacht werden, als letzte, nicht selten verzweifelte Versuche gesehen werden, das Ruder ein letztes Mal aus eigener Kraft zum Besseren herzumzureißen – um Attraktivität zurückzugewinnen, Menschen und Investitionen anzuziehen und die zuvor wirkende Negativspirale umzukehren. Gelungen ist dies meist nicht, seltene Ausnahmen bestätigen die Regel und nicht jede Kommune kann einen Gewerbesteuerzahler in der Dimension von Biontec sein Eigen nennen.

Mammutaufgabe steht bevor

Über die Jahre resultiert aus dieser sich selbst in ihren Auswirkungen verstärkenden Finanzkrise eine Infrastrukturkrise, die mehr und mehr in der realen Welt ankommt: marode Schulen, geschlossene Schwimmbäder, privatisierte Stadtwerke, ein ÖPNV, der kaum noch den Namen verdient, kaputte Straßen und Brücken – und jetzt noch die Mammutaufgabe, die Städte und Gemeinden auf die Folgen des Klimawandels vorzubereiten; sie „klimaresilient“ zu machen, wie es nicht selten euphemistisch heißt.

Konkret bedeutet das, das Kanalnetz und die Wasserwirtschaft komplett neu zu planen, um auf Starkregenereignisse vorbereitet zu sein. Das Stromnetz muss so ausgebaut werden, dass es angesichts seiner zunehmenden Inanspruchnahme durch Eigenerzeugung (Photovoltaik) und steigende Entnahme (Wärmepumpen, Elektromobilität) nicht in die Knie geht. Derweil steht die Zukunft der lokalen Erdgasverteilnetze noch in den Sternen: Rückbau oder Umrüstung auf Wasserstofftauglichkeit sind die beiden Extremszenarien für die kommenden Jahrzehnte. Parallel dazu werden viele Städte in den kommenden Jahren zu Großbaustellen werden, weil der Aufbau einer klimaneutralen Wärmeversorgung einen massiven Aus- und Neubau von Nah- und Fernwärmenetzen erfordert. Und schließlich braucht es vielerorts einen massiven Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, weil sich viele Städte selbst ohne den Klimawandel im Nacken eine Verkehrspolitik und -planung, die weiterhin vor allem auf den motorisierten Individualverkehr setzt, allein aus Platzgründen nicht mehr leisten können. Und von den infrastrukturellen Bedarfen, die sich mit dem Stichwort „Digitalisierung“ verbinden, sei hier bewusst gar nicht erst gesprochen.

Zu diesen besonders drastisch sichtbaren Handlungsbedarfen kommen einige weitere, die auch in der Öffentlichkeit weniger wahrgenommen werden. Dabei geht es um Fragen etwa stadtplanerischer Neuausrichtung: Wie muss eine Stadt künftig aussehen, damit die Menschen, die dort leben, künftig länger anhaltende Hitzeperioden möglichst unbeschadet überstehen? Wie kann ich Quartiersräume so gestalten, dass diese in sich funktionieren, weil die Belange des täglichen Bedarfs im Quartier bedient werden?

Wir müssen übers Geld reden

Auch dies ist in einer Stadtplanung und -entwicklung zu berücksichtigen. Das kostet Geld. Geld, das viele Städte heute schon nicht mehr haben, denn nicht selten werden selbst kommunale Pflichtaufgaben nicht mehr oder nicht mehr im eigentlich erforderlichen Umfang erbracht. In einer solchen Situation Finanzmittel für Maßnahmen der Klimafolgenanpassung auszugeben, ist utopisch.

Doch selbst wenn Geld – und sei es in bescheidenem Maße – vorhanden ist, dürfen Städte und Gemeinden mitunter gar nicht handeln, auch wenn dies ausgesprochen sinnvoll, vorausschauend und klug wäre: Das kommunale Haushaltsrecht steht dem entgegen.

In NRW dürfen Kommunen, die in finanzieller Schieflage sind oder gar einer vorläufigen Haushaltsführung unterliegen oder gar unter Kuratel der Finanzaufsicht unterstellt sind, nur mehr Geld für pflichtige Aufgaben aufwenden. Klimaschutz und Klimafolgenanpassung sind keine Pflichtaufgaben im Sinne der Gemeindeordnung. Folglich ist zwar vor Ort durchweg bekannt, was man tun müsste, um Stadt und Menschen auch in Zukunft noch annehmbare Lebensverhältnisse bieten zu können, doch es passiert nichts, weil die bestehenden Regelungen des Kommunalverfassungsrechts dem entgegen stehen.

In der Folge läutet der Klimawandel für die ohnehin schon massiv gebeutelten Städte und Gemeinden absehbar die nächste und dann vielleicht finale Eskalation der anhaltenden Abwärtsspirale ein. Denn wer wird in zehn, zwanzig oder dreißig Jahren noch in Städten leben wollen, deren Infrastruktur heute schon marode ist, die keine Klimafolgenanpassung leisten konnten und in denen über die Jahre womöglich nur mehr die Menschen wohnen bleiben werden, deren wirtschaftliche Verhältnisse es schlicht nicht erlauben, zu gehen?

Auch für das Klima wäre das keine gute Nachricht, denn jene, die gehen, werden andernorts Wohnraum brauchen und dafür neuen Grund und Boden versiegeln.

Grundlegende Reform nötig

Es braucht daher einerseits klare gesetzliche Regelungen, dass Klimaschutz und Klimafolgenanpassung kommunale Pflichtaufgaben sind. Doch das allein wird nicht reichen: Vielmehr braucht es endlich eine grundlegende Reform der Kommunalfinanzen, die seit Jahren und Jahrzehnten diskutiert, aber bislang von keiner Bundesregierung umgesetzt worden ist. Ein erster Schritt dazu wäre eine Altschuldenlösung für die Städte und Gemeinden.

Dass das Geld kosten wird, ist klar. Dass es angesichts der steigenden Zinssätze an den Kapitalmärkten ebenso logisch, aber nicht die Schuld der Kommunen, denn Bund und Länder haben in der Phase der Nullzinsen über die vergangenen Anderthalb Jahrzehnte hinweg wertvolle Zeit verstreichen lassen, obwohl die Kommunen die dringende Handlungsbedürftigkeit angesprochen haben.

Nach der Altschuldenlösung muss eine Neuregelung der Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden zwingend folgen, denn ansonsten stehen wir in wenigen Jahren oder Jahrzehnten wieder an derselben Stelle: Leistungen der Auftragsverwaltung müssen auskömmlich finanziert werden – und zwar dauerhaft und nicht mittels einmaliger Regelungen in einzelnen Haushaltsjahren, wenn der Bundes- oder Landeshaushalt gerade dankenswerterweise einen hinreichenden Überschuss aufweist.

Schon heute ließe sich argumentieren, dass der gegebene Zustand in vielen Kommunen in mancher Hinsicht verfassungswidrig ist, weil das Gebot der kommunalen Selbstverwaltung angesichts der finanziellen Handlungsunfähigkeit de facto ausgehebelt ist. Bleibt es dabei, wird spätestens mit dem fortschreitend spürbarer werdenden Klimawandel auch das Gebot der Schaffung bzw. Bewahrung gleichwertiger Lebensverhältnisse verletzt.

Die Zeit drängt

Hinzu kommt jedoch ein weiterer, nicht minder gefährlicher und mutmaßlich bereits kurzfristiger eintretender Effekt: Die Städte und Gemeinden sind der Ort, in denen die Menschen dieses Landes ihre prägenden Erfahrungen mit Staat, staatlichen Strukturen und Vertreterinnen und Vertretern macht. Je schlechter diese Erfahrungen ausfallen, desto weniger Akzeptanz erfährt unser vermeintlich nicht (mehr) funktionierendes demokratisches System. In NRW finden 2025 die nächsten Kommunalwahlen statt. Man möchte sich nicht ausmalen, was es für den ohnehin enormen Handlungsdruck und Problemstau – siehe oben – bedeutet, wenn aufgrund der vermeintlichen Handlungs- und Lösungsunfähigkeit der Anteil insbesondere rechtsextremer Kräfte in den Kommunalparlamenten noch stärker und eine Mehrheitsfindung damit noch schwieriger, wenn nicht gar unmöglich wird.

Insofern reibt man sich aus kommunaler Perspektive betrachtet immer wieder verwundert die Augen, weil man kaum glauben mag, dass diese Problemzusammenhänge auf Landes- und Bundesebene nicht gesehen oder – noch schlimmer – nicht beachtet werden. Gewiss, es mag höheren Orts immer drängendere Probleme geben und der russische Krieg gegen die Ukraine bindet seit mehr als anderthalb Jahren einen Großteil der politischen Kräfte. Doch kann und darf das kein Argument sein, sich weiterhin nicht den elementaren Hausaufgaben zu stellen, die seit Jahrzehnten einer Lösung harren.