Das sozialdemokratische Dilemma
Kommunen können eine Identifikation schaffen und ein Gefühl von Gemeinsamkeit, davon ist Ulrich Maly überzeugt. Zu den Bürgern seiner Stadt könne er sagen: „Du bist Nürnberger, wo du herkommst ist mir egal“. Der Pass spiele keine Rolle, wenn eine Veranstaltung vor Ort oder der Fußballverein die Menschen verbinde.
Auch SPD hat Wähler an Rechte verloren
Doch diese Zusammengehörigkeit wird derzeit auf die Probe gestellt. Rechtspopulisten haben zuletzt viel Zulauf erhalten. Maly hat dafür eine unbequeme Erklärung: Laut einer Studie hätten schon im Jahr 2002 viele Menschen ein undemokratisches und ausländerfeindliches Weltbild gehabt. Dennoch hätten 75 Prozent von ihnen die Union oder SPD gewählt. Heute seien es nur noch etwa 35 Prozent.
Mit so einem Weltbild wolle man vielleicht bei den Siegern sein, mutmaßt Maly. Und früher hätten sich CDU/CSU und SPD eben als Sieger abgewechselt. Dieser Befund spreche gegen die Hoffnung, dass die AfD ein vorübergehendes Phänomen bleibt.
Doch die rechte Partei löse keine Probleme, betonte Maly. „Das Wir-gegen-die-Gefühl ist immer ein destruktives.“ Dennoch müssten die Sozialdemokraten diskutieren, wie sie mit dem Problem umgehen. Und sie müssten ihre Wahlniederlage aufarbeiten und „sich die Frage stellen, was da passiert ist“.
Sozialdemokratische Stellvertreterpolitik
Maly spricht von einem „sozialdemokratischen Dilemma“: Die Partei mache Stellvertreterpolitik. Ihr Anspruch sei es, sich auch für diejenigen einzusetzen, die sich nicht selbst artikulieren können. Für Arme, Arbeitslose, Menschen ohne Schul- oder Berufsabschluss. „Das heißt aber auch: Wir machen Politik für Menschen, die nicht wählen gehen“, so Maly.
Ein weiteres Problem: Es gehe in der Politik nicht nur um Fakten, sondern auch um Gefühle. Maly verdeutlichte es am Beispiel einer Frau, die behauptet habe, es gebe in Dresden mittlerweile mehr Moscheen als Kirchen. Natürlich sei das Unsinn, aber die Frau wolle es glauben. Und auch die Haltung „Mir geht es gut, aber in zehn Jahren könnte es mir oder meinen Kindern schlechter gehen“ sei nicht immer rational. Die SPD müsse deshalb auch Optimismus wecken.
Die große Erzählung fehlte
Eine Große Koalition müsse übrigens nicht zwingend dazu führen, dass sich die Koalitionäre abnutzen. Das zeige der Blick in andere europäische Länder. Aber in Deutschland habe sie dazu geführt, dass die Menschen der SPD nicht geglaubt hätten, als sie ihren Gerechtigkeitswahlkampf führte. Und, so Maly: „Ich bin ein Freund von Visionen und Utopien. Wir haben vieles Gutes in der Großen Koalition gemacht. Aber es hat uns nicht geholfen, weil es nicht eingebaut war in eine große Erzählung.“
Die SPD müsse Vertrauen aufbauen auf Basis eines Wertesystems, schloss Maly aus seinen Überlegungen. Ein Vertrauen „auch darauf, dass wir bei dem, was heute noch nicht vorhersehbar ist, das Richtige tun.“ So müsse die SPD die Partei sein, bei der ein Thema wie die Digitalisierung gut aufgehoben ist – die Chancen biete, aber auch negative Auswirkungen habe. Oder die Partei, die eben so lange Kita-Plätze baut, bis der letzte Platz gefunden ist.
Im Grundgesetz steht: Eigentum verpflichtet. Daran erinnerte Maly und ergänzte: „Da würde ich mir wünschen, dass wir als Sozialdemokraten Verfassungsschützer werden.“
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.