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Bürgerbeteiligung initiieren, gestalten und steuern

Andreas Paust ist Vorsitzender des Kompetenzzentrums Bürgerbeteiligung. Im Gastbeitrag beschreibt er, warum sich Kommunalpolitik und Bürgerbeteiligung sinnvoll ergänzen und welche Rollen Mandatsträger in den Verfahren einnehmen sollten.

von Andreas Paust · 12. Februar 2025
Eine ältere Frau hebt auf einer Versammlung die Hand

Bürger*innendialog in Bonn

Kommunale Mandatsträger, die sich mit Bürgerbeteiligung auseinandersetzen, erkennen schnell die unterschiedlichen Handlungslogiken von Politik und partizipativen Verfahren. Auf den ersten Blick könnte Bürgerbeteiligung als Einschränkung politischer Entscheidungskompetenzen erscheinen, wodurch die repräsentative Demokratie gefährdet würde. Tatsächlich jedoch eröffnen sich durch eine konstruktive Verzahnung neue Handlungsspielräume, die nicht nur Entscheidungsprozesse verbessern, sondern auch das Vertrauen der Bürger stärken können.

Nachfolgend werden die wesentlichen Unterschiede zwischen kommunalpolitischen Prozessen und Bürgerbeteiligung skizziert, gefolgt von Anregungen für ein erweitertes Rollenverständnis kommunaler Mandatsträger.

Unterschiede in den Handlungslogiken

Entscheidungsfindung vs. Dialog
In der Kommunalpolitik steht die Beschlussfassung im Zentrum. Das Ziel besteht darin, konkrete Entscheidungen herbeizuführen und umzusetzen. Bürgerbeteiligung hingegen bereitet Entscheidungen vor, ohne diese selbst zu treffen.

Ergebnisorientierung vs. Ergebnisoffenheit
Kommunalpolitische Prozesse sind stark auf die Umsetzung zuvor festgelegter Ziele ausgerichtet, die sich beispielsweise aus Wahlprogrammen oder Fraktionsbeschlüssen ableiten. Bürgerbeteiligung zeichnet sich durch Ergebnisoffenheit aus: Lösungen entstehen im gemeinsamen Dialog, ohne vorab festgelegte Vorgaben.

Machtausübung vs. Konsensfindung
Kommunalpolitik betont die Durchsetzung politischer Interessen. Parteien und Fraktionen profilieren sich durch Positionierung und Abgrenzung. Bürgerbeteiligung verfolgt das Ziel, durch konstruktiven Austausch gemeinsame Lösungen zu finden und verschiedene Interessen auszugleichen.

Langfristigkeit vs. temporäre Projekte
Politisches Engagement auf kommunaler Ebene erstreckt sich häufig über mehrere Legislaturperioden. Bürgerbeteiligungsprozesse sind oft auf einzelne Projekte begrenzt und haben einen klar definierten Anfang und ein Ende.

Formalisierung vs. Flexibilität
Kommunalpolitische Prozesse folgen formalen Regeln, die in Gemeindeordnungen und Satzungen festgelegt sind. Bürgerbeteiligung ist durch flexible und häufig experimentelle Formate geprägt, die sich an den Bedürfnissen der Bürger orientieren.

Rollen und Aufgaben kommunaler Mandatsträger

Trotz dieser Unterschiede können Kommunalpolitiker Bürgerbeteiligung aktiv gestalten und lenken. Sie übernehmen dabei verschiedene Rollen:

  • Befürworter: Schafft ein positives Klima für Bürgerbeteiligung in den politischen Gremien, indem er sich für feste Beteiligungsstrukturen einsetzt. Er beantragt z.B. die Einrichtung eines Fachausschusses oder eines Beirats für Bürgerbeteiligung.
  • Qualitätssicherer: Überwacht Beteiligungsprozesse, bewertet ihre Wirksamkeit und gibt Empfehlungen zu ihrer Verbesserung. Zum Beispiel übernimmt er das Amt des Fraktionssprechers für Beteiligung und ist Mitglied im Beteiligungsausschuss/-beirat. 
  • Initiator: Stellt Anträge, mit denen konkrete Bürgerdialoge angestoßen und Beteiligungsverfahren in Gang gesetzt werden. Er beantragt darüber hinaus die Erarbeitung von Leitlinien und Vorhabenlisten.
  • Gestalter: Beeinflusst bei den Haushaltsberatungen die finanziellen und personellen Rahmenbedingungen für Beteiligung und sorgt für einen effizienten Ressourceneinsatz. Er fordert z.B. ein bestimmtes Budget für Beteiligung oder die Schaffung einer Geschäftsstelle für Bürgerbeteiligung.
  • Unterstützer: Fördert aktiv die Teilnahme der Bürger, indem er z.B. beteiligungsferne Gruppen gezielt anspricht oder sie durch unterstützende Maßnahmen zur Teilnahme befähigt. Dazu nutzt er seine Erfahrungen aus dem Wahlkampf, wie z.B. Hausbesuche oder Wahltaxis.
  • Beteiliger: Nimmt als Teilnehmer oder Experte an Bürgerbeteiligungsprozessen teil und bringt beratend seine kommunalpolitische Erfahrung ein, ohne den Dialog zu dominieren.

Fazit

Trotz struktureller Unterschiede können Kommunalpolitik und Bürgerbeteiligung einander bereichern. Indem kommunale Mandatsträger unterschiedliche Rollen einnehmen, können sie Beteiligungsprozesse gezielt fördern. Dies trägt nicht nur zur Steigerung der Entscheidungsqualität und politischen Legitimation bei, sondern stärkt auch das Vertrauen der Bürger in kommunale Entscheidungsprozesse – und in ihre kommunalen Mandatsträger. 

 

Dr. Andreas Paust hat Sozialwissenschaften studiert und über Bürgerbegehren und Bürgerentscheid promoviert. Er war Geschäftsführer kommunaler Ratsfraktionen und hat bei einer Kommunikationsagentur und bei der Bertelsmann Stiftung zum Thema Bürgerbeteiligung gearbeitet. Er ist Vorsitzender des Kompetenzzentrums Bürgerbeteiligung e.V. und betreibt den Bürgerbeteiligungs-Blog partizipendium.de.

Dieser Text ist eine überarbeitete Zusammenfassung des Aufsatzes „Neue Chancen für Kommunalpolitiker: Bürgerbeteiligung initiieren, konzipieren, kontrollieren, in: Jörg Sommer (Hg.), Kursbuch Bürgerbeteiligung #3, Berlin, 2019, S. 88-98. Download unter andreas-paust.de

Mehr zum Thema „Kommunalparlamente und Bürgerbeteiligung” lesen Sie im DEMO-Dossier.

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Autor*in
Andreas Paust

hat Sozialwissenschaften studiert und über Bürgerbegehren und Bürgerentscheid promoviert. Er ist Vorsitzender des Kompetenzzentrums Bürgerbeteiligung e.V.

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