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„Die Wärmeplanung ist das richtige Instrument”

Dass alle großen Städte schon 2026 fertige Konzepte vorlegen sollen, hält Christine Wilcken, Beigeordnete beim Deutschen Städtetag, für machbar. Damit die Wärmewende gelingt, müsse aber mehr passieren, erklärt sie im Interview.
von Carl-Friedrich Höck · 4. März 2024
„Die Netze klimaneutral umzubauen, wird eine riesige Aufgabe”, sagt Christine Wilcken im Gespräch mit der DEMO.

Das Gesetz zur kommunalen Wärmeplanung sieht vor, dass große Städte bis 2026 eine Wärmeplanung vorlegen müssen. Kleinere Kommunen unter 100.000 Einwohnern haben Zeit bis 2028. Wie bewertet der Städtetag das beschlossene Gesetz?

Wir halten es für sehr wichtig, dass das Gesetz zusammen mit dem Gebäudeenergiegesetz (GEG) zum 1. Januar 2024 in Kraft getreten ist. Beide Gesetze sind die zentralen Säulen der Wärmewende. Dass wir die Wärmewende brauchen, um die Klimaneutralität zu erreichen, steht ja außer Frage. Die kommunale Wärmeplanung ist das richtige Instrument, um die Wärmewende strategisch vor Ort anzugehen. Die Zielmarke 2026 wird für die großen Städte machbar sein, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Das heißt: Die Länder müssen flott ihre entsprechenden Landesgesetze auf den Weg bringen. Und wir brauchen Planungs- und Investitionssicherheit. Und da müssen wir natürlich über Geld sprechen.

Um festlegen zu können, wo künftig wie geheizt wird, müssen die Kommunen umfangreiche Daten zusammentragen und auswerten. Wie aufwendig wird das?

Ohne eine gute Datengrundlage kann ich keine Bestands- und Potenzialanalyse machen und vor allem kein Zielszenario entwickeln, welche Versorgungsart am Ende wo am klügsten ist. Viele Daten sind schon vorhanden. Natürlich wird es aufwendig sein, weitere Daten zu erfassen. Aber wir merken gerade im Bereich Klimaschutz und Klimaanpassung, dass wir die Daten ohnehin brauchen. Ein Beispiel: Daten der Abwasser-Infrastruktur sind nicht nur für die Wärmeplanung wichtig, sondern auch für Klimaanpassungs-Projekte.

Nicht alle Kommunen haben das Fachpersonal und Know-how, um die Wärmeplanung eigenständig umzusetzen. Wo finden sie Unterstützung?

Der Bund arbeitet gerade an einem Leitfaden für das Wärmeplanungsgesetz als praktische Übersetzung und Hilfestellung. Es wäre schön gewesen, wenn der Leitfaden zusammen mit dem Gesetz fertig geworden wäre. Und wir werden flächendeckende Beratungsangebote brauchen, über die Deutsche Energie-Agentur (dena) und das Kompetenzzentrum Kommunale Wärmwende in Halle. Im Deutschen Städtetag tauschen wir uns natürlich auch intensiv aus und auch das Deutsche Institut für Urbanistik ­(Difu) kann mit seinen Seminaren eine Plattform sein. Vor allem müssen die Landesregierungen über ihre Energieagenturen Angebote für die Kommunen zur Verfügung stellen. Und dann gilt wie bei allen Themen: vernetzen, Erfahrungen austauschen und abgucken, wie es meine Nachbarstadt oder befreundete Kommune machen. Gerade für kleinere Kommunen wird interkommunale Zusammenarbeit eine wichtige Rolle spielen.

Noch sind nicht alle Einzelheiten geklärt. Zum Beispiel müssen Kommunen Fernwärmenetze planen, ohne zu wissen, ob es für die Anwohnenden später einen Anschlusszwang geben wird. Wie sehr beeinflusst das die Planungen?

Ich finde die Debatte um den Anschluss- und Benutzungszwang aus zweierlei Hinsicht nicht glücklich. Zum einen ist die Grundidee im Kern doch, dass der Anschlusszwang eine unternehmerische Sicherheit für die erhebliche Investitionen schafft, die mit einem Netzausbau verbunden sind. Ich denke, hier müssen wir ehrlich sein. Zum anderen hören wir aus den Städten, dass viele Bürgerinnen und Bürger sich ein Wärmenetz wünschen, an das sie ihr Haus anschließen können. Fernwärme ist eine sichere und kostengünstige Versorgungsart. Also, ob die Städte den Anschluss- und Benutzungszwang dann auch tatsächlich nutzen wollen und müssen, sollte vor Ort entschieden werden. Wichtig ist, dass er als Instrument möglich ist und dass die Landesgesetze ihn vorsehen.

Der Bund unterstützt die Wärmeplanung in den Kommunen mit 500 Millionen Euro. Wie weit kommt man mit dem Geld?

Beim Thema Finanzierung muss man zwischen zwei Dingen unterscheiden. Das eine sind die Mittel für die Wärmeplanung als solche. Eine gute Wärmeplanung gibt es natürlich nicht zum Nulltarif und ist vor allem nie richtig abgeschlossen, sondern eine bleibende Aufgabe. Wenn der Bund die Kommunen über die Länder dazu verpflichtet, müssen die Länder die neue Aufgabe auch finanzieren. Also, klassisch Konnexität. Der Städtetag hat eine Umfrage gemacht, demnach rechnen die Städte im Schnitt mit Kosten von 100.000 bis 200.000 Euro. Wir haben 11.000 Kommunen. Da kann man schnell hochrechnen, dass die 500 Millionen ­Euro vom Bund nicht ausreichen.

Der zweite Aspekt ist die Umsetzung der Wärmeplanung, also die Finanzierung der neuen Infrastruktur. Das ist der eigentliche Kern der Wärmewende. Mit dem GEG und dem Wärmeplanungsgesetz wurden Erwartungshaltungen bei den Bürgerinnen und Bürgern geschaffen: Wann kommt das Wärmenetz? Wird das Stromnetz die künftigen Lasten tragen für Wärmepumpen und E-Autos? Die Städte stellen sich diesen Erwartungen. Klar ist auch, das geht nicht alleine. Denn allein für den Ausbau der Strom- und Wärmenetze braucht es Milliardeninvestitionen. Die drei Milliarden des Bundes bis 2026 für den Ausbau der Wärmenetze reichen da hinten und vorne nicht.

Übrigens brauchen wir für die Wärmewende nicht nur einen Plan und eine Umsetzungsstrategie. Wir benötigen auch die, die die Infrastruktur am Ende  bauen: Ingenieure, Handwerker und andere Fachkräfte. Hier sehe ich noch ein großes Fragezeichen. Deshalb müssen wir gemeinsame eine große Fachkräfteoffensive starten.

In welchen Wärmequellen sehen Sie das größte Potenzial, um unsere Versorgung klimaneutral zu machen? Bisher werden Fernwärmenetze oft noch mit Erdgas betrieben.

Wir brauchen einen Mix, deswegen ist Technologieoffenheit wichtig. An Fluss- oder Seenlagen sind etwa Großwasserwärmepumpen eine Option. Gaskraftwerke können mit Wasserstoff betrieben werden. Tiefengeothermie wird eine zunehmende Rolle spielen, um daraus Wärmenetze zu speisen. Ich glaube, dass auch viel Potenzial in der Abwasserabwärme liegt, Wien hat es vorgemacht. Und es wird noch Technologiesprünge geben. Klar ist: Die Netze klimaneutral umzubauen, wird eine riesige Aufgabe. ­Bisher basieren sie zu rund 70 Prozent auf ­fossilen Energien.

Jeder Wandel braucht Vorreiter. Welche deutschen Kommunen beeindrucken Sie mit ihren Wärmewende-Projekten?

Es gibt viele gute Beispiele. Rostock und Hannover haben sich lange vor dem Wärmeplanungsgesetz auf den Weg gemacht. München und Münster bringen Tiefengeothermie als eine wichtige Wärmequelle nach vorne. Klasse finde ich auch den Verbund Bottrop-Gelsenkirchen-Gladbeck. Die Städte zeigen, wie man die Infrastruktur über Stadtgrenzen hinweg strategisch angehen kann und dabei Synergien hebt.

Welche Rolle grüner Wasserstoff für die Wärmewende spielen kann, ist umstritten. Unter welchen Bedingungen lohnt es sich, auf diese Technologie zu setzen, und wo liegen ihre Grenzen?

Wasserstoff in der Wärmeversorgung im großen Stil, daran glaube ich nicht. Woher kommt der Wasserstoff und zu welchem Preis? Wissen wir das jetzt, wenn wir jetzt die Wärmeplanung machen? Und nur nebenbei gesagt: das Wasserstoffkernnetz soll nach Planung erst 2032 stehen. Aber es gibt einen viel wichtigeren Aspekt: Wasserstoff sollte zuerst dort eingesetzt werden, wo keine Elektrifizierung möglich ist, also in der Stahlindustrie oder Düngerherstellung. Und Wasserstoff ist erwiesenermaßen nicht so effizient wie eine strombasierte ­Wärmeversorgung.

Trotzdem kann Wasserstoff eine Rolle für die Wärmeversorgung spielen. Zum Beispiel dort, wo ohnehin Wasserstoff gewerblich eingesetzt wird und vielleicht ein bisschen etwas für das Quartier nebenan abfällt. Und in Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWK) kann Wasserstoff als Ersatz für Gas oder Kohle genutzt werden. Ich glaube aber nicht daran, dass Wasserstoff – wie heute Erdgas – irgendwann im großen Stil in den kleinen Verteilnetzen bis zum letzten Haus fließt.

Zur Wärmewende gehört, den Gebäudebestand energieeffizienter zu machen. Das gilt auch für kommunale Gebäude wie Rathäuser, Schulen oder Kitas. Doch der Sanierungsstau in den Städten und Gemeinden wächst Jahr für Jahr. Wie bekommen wir da mehr Tempo rein, sodass auch die energetische Sanierung gelingt?

Ja, das ist ein großes Sorgenkind. Bitter ist, dass die jährliche Sanierungsquote zuletzt sogar auf 0,8 Prozent zurückgegangen ist. Es fehlen Handwerker und Baustoffe, und die Preise sind inflationsbedingt stark gestiegen. Deshalb müssen wir jetzt die richtigen Schwerpunkte setzen. Dazu gehört: Die energetisch schlechtesten Häuser müssen zuerst saniert werden. Und wir müssen bei den energetischen Sanierungszielen mehr im Quartier denken und nicht nur die Einzelgebäude in den Blick nehmen.

Bottrop hat es vorgemacht: Hier wird Stück für Stück saniert und werden niedrigschwellige, unbürokratische finanzielle Anreize gesetzt, also erst das Dach, dann die Fenster und so weiter. Für die Städte selbst ist wichtig: Wenn sie selbst neu bauen, dann mit hohen Energiestandards oder gar Passivhaus-Standards. In diese Richtung müssen wir schauen, und die EU hat ja gerade auch den Netto-Null-Standard im Neubau ab 2030 beschlossen.

Das Interview ist im aktuellen DEMO-Heft Kommunen gegen Kälte „Wärmeplanung und Wärmewende“ erschienen. Das Heft kann hier bestellt werden.

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