Bayern braucht mehr Integrationsbeiräte!
Willy Brandts berühmtes Zitat „Wir wollen mehr Demokratie wagen“ steht im Zusammenhang mit dem Machtwechsel der aufkommenden 70er Jahre der noch jungen Bonner Republik hin zu einer sozialliberalen Koalition, ist jedoch in seiner Wortwahl aktueller denn je. In Bayern haben 14,6 Prozent der Bevölkerung oder 1,92 Millionen Menschen kein aktives und passives Wahlrecht auf Landes- und Bundesebene. 1,17 Millionen Menschen oder 8,97 Prozent der bayerischen Bevölkerung durften nicht an der Kommunalwahl 2020 teilnehmen.
Jede*r Zehnte war von den Wahl ausgeschlossen
Fast zehn Prozent der Bevölkerung waren daher allein aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit von der Wahl ihrer Gemeindeorgane in Bayern 2020 ausgeschlossen. Egal wie lange sie in ihrer Gemeinde leben, egal wie sehr sie mit dieser verwurzelt sind, egal ob sie mit ihren Steuern zu deren Wohlstand beitragen, egal ob sie sich für Kommunalpolitik interessieren oder nicht. Es spielt keine Rolle, ob die Nachbarn, Freunde oder Verwandten erst vor wenigen Monaten aus einem EU-Staat zugezogen sind oder ob man mit diesen sein Leben lang im Ort verbracht hat, gemeinsam eingeschult wurde, durch Dick und Dünn gegangen ist: Alle gehen am Sonntag ins Wahllokal, man selbst bleibt daheim und nimmt die neue Kommunalpolitik wahllos hin.
Begründet wird dies mit Regelungen aus dem Grundgesetz (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Art 20 Abs. 2 GG) vom 23. Mai 1949, als der Ausländeranteil in Deutschland verschwindend gering und quasi das gesamte Volk wahlberechtigt war. Eine Überlegung zur Wahlberechtigung von ausländischen Mitbürger*innen war damals schlicht nicht notwendig, da nahezu alle Einwohner*innen auch Deutsche waren und somit selbstverständlich wählen durften. Bei letztmaliger Überprüfung dieser Praxis durch ein umstrittenes Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 1990 betrug die Ausländerquote in Deutschland immerhin bereits 7,4 Prozent. Verglichen mit aktuell 12,5 Prozent eine weiterhin übersichtliche Zahl.
Ignoriert man verfassungsrechtlich weiterhin den steigenden Anteil ausländischer Bevölkerung, verstößt man immer gravierender gegen das Demokratieprinzip und man schwächt damit zusehends die Legitimation politischer Entscheidungen. Eine Verfassungsänderung und eine Abkehr von der unumstößlichen Bedeutung der Staatsangehörigkeit zur Teilhabe an unserer Demokratie wäre daher sehr zu begrüßen und längst überfällig.
Sicher fragen Sie sich jetzt, was das mit der Arbeitsgemeinschaft der Ausländer-, Migranten- und Integrationsbeiräte Bayerns (AGABY) zu tun hat, was diese macht und warum es die überhaupt gibt.
Parteipolitisch neutrale Interessengruppe
AGABY ist ein 1993 gegründeter, landesweit tätiger Dachverband, dem aktuell 31 Integrationsbeiräte aus ganz Bayern angeschlossen sind. Diese Beiräte bestehen in Städten und Gemeinden, in denen mehr als 90 Prozent der Migrant*innen Bayerns leben. Er setzt sich für ein demokratisches und gleichberechtigtes Zusammenleben von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund in Bayern ein. AGABY ist die einzige parteipolitisch neutrale, multiethnische, interkulturelle und interreligiöse Interessengruppe in Bayern mit einem demokratischen Mandat. Sie verfügt über wertvolle Erfahrungen über Integrationsprozesse und hat Zugang zu migrantischen Netzwerken.
Integrationsbeiräte sind wiederum auf kommunaler Ebene verankerte Gremien, die als Brücke zwischen migrantischer Bevölkerung und Kommunalpolitik fungieren. Sie nehmen Erfahrungen, Nöte und Belange zugewanderter Menschen in die Kommunalpolitik mit, sind grundsätzlich mit entsprechenden politischen Rechten und Pflichten belegt und haben einen politischen, öffentlich-rechtlichen Auftrag. Sie sollen über eine demokratische Legitimation verfügen, im besten und vorzugswürdigen Falle direkt von der migrantischen Bevölkerung gewählt sein.
Vernetzung und Hilfe bei Neugründungen
AGABY hat den Auftrag diese Integrationsbeiräte zu unterstützen, zu vernetzen und bei Neugründungen behilflich zu sein. Werden diese, vergleichbar mit einem Stadtrat, von Migrant*innen direkt gewählt, dann wird damit auch ein Beitrag zur besseren Sichtbarkeit und politischen Partizipation von Menschen geleistet, die sonst von demokratischen Abstimmungsmöglichkeiten ausgeschlossen sind. Damit wird die oben dargestellte Lücke zumindest verkleinert und eine (ehrenamtliche und leider oftmals in der Praxis unnötig erschwerte) Partizipationsmöglichkeit auf kommunaler Ebene eröffnet.
Sollten auch Sie von Willy Brandts Vorstellung von mehr Demokratie und neuen Wegen überzeugt sein, dann möchten wir Sie für unsere Sache gewinnen und bitten Sie mit uns die bayerischen Ausländer-, Migrant*innen- und Integrationsbeiräte zu stärken. Sorgen Sie dafür, dass dieser Beirat in Ihrer Kommune sichtbar wird und bleibt und gehen Sie auf diesen offen zu. Arbeiten sie zusammen und verbessern sie damit das Leben und die Teilhabe von Menschen mit Migrationserfahrungen. Sollte es in Ihrer Kommune noch keinen solchen Beirat geben, dann unterstützen wir Sie sehr gerne bei einer Neugründung.
Weitere Informationen
finden Sie auf unserer Homepage unter https://www.agaby.de/aktuelles/
Dieser Text stammt aus dem Landes-SGK EXTRA Bayern der DEMO und erscheint hier mit freundlicher Genehmigung der SGK Bayern.
Arbeitsgemeinschaft der Ausländer-, Migranten- und Integrationsbeiräte Bayerns e. V.