Das Zeitfenster für Vielfalt nutzen!
Bereits seit zwei Jahrzehnten ist das Thema der interkulturellen Öffnung der Verwaltung in der Diskussion. Aber auch heute haben nur rund sechs Prozent der Beschäftigten im öffentlichen Verwaltungsbereich einen so genannten Migrationshintergrund (Abbildung). Dieser wird einer Person statistisch zugewiesen, wenn sie selbst oder eines ihrer Elternteile nicht von Geburt an die deutsche Staatsbürgerschaft besessen hat. Innerhalb der Kategorie der Beschäftigten mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst, sind – und das mag erstaunen – gerade diejenigen, die über keine eigene Migrationserfahrung verfügen, also in Deutschland geboren wurden und das Bildungssystem durchlaufen haben, am schwächsten vertreten.
Jahrzehntealte Diskussion
Bereits seit zwei Jahrzehnten ist das Thema der interkulturellen Öffnung der Verwaltung in der Diskussion. Aber auch heute haben nur rund sechs Prozent der Beschäftigten im öffentlichen Verwaltungsbereich einen so genannten Migrationshintergrund (Abbildung). Dieser wird einer Person statistisch zugewiesen, wenn sie selbst oder eines ihrer Elternteile nicht von Geburt an die deutsche Staatsbürgerschaft besessen hat. Innerhalb der Kategorie der Beschäftigten mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst, sind – und das mag erstaunen – gerade diejenigen, die über keine eigene Migrationserfahrung verfügen, also in Deutschland geboren wurden und das Bildungssystem durchlaufen haben, am schwächsten vertreten.
Sechs Prozent Verwaltungsbeschäftigte mit Migrationshintergrund bei einer Gesamtbevölkerung, in der mittlerweile deutlich über 20 Prozent einen solchen aufweisen, wirft die Frage auf, wie solch ein Ungleichgewicht zustande kommt?
Natürlich hat die öffentliche Verwaltung auf allen föderalen Ebenen zunächst die Aufgabe, effizient zu arbeiten. Sie erfüllt aber darüber hinaus auch ein repräsentative und symbolische Funktion: nämlich, jedenfalls in etwa, die (vielfältige) Zusammensetzung der Bevölkerung widerzuspiegeln und damit auch die Identifikation von Einwander_innen und ihren Nachkommen mit diesem Land zu unterstützen. Interkulturelle Öffnung ist hier ein Gebot sozialer Gerechtigkeit und ein Instrument zur Stärkung des gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalts.
Ausbau des Personals dringend geboten
Dabei ist der Zeitpunkt, um langfristige Veränderungsprozesse in der Personalstruktur der öffentlichen Verwaltung anzustoßen, günstig. Zwischen 2019 und 2036 erreichen mehrere hunderttausend Beschäftigte der öffentlichen Verwaltung das Renteneintrittsalter und scheiden aus. Viele dieser Stellen müssen ohnehin neu besetzt werden. Auch hat ganz aktuell die Corona-Krise deutlich gemacht, dass der Ausbau personeller Ressourcen gerade auf der kommunalen Ebene in bestimmten „systemrelevanten“ oder gar „-kritischen“ Bereichen dringend geboten ist. Die interkulturelle Öffnung der Verwaltung wie des gesamten öffentlichen Diensts voranzutreiben bietet damit die Chance, sowohl dem Repräsentationsproblem als auch der drängenden Fachkräfteproblematik zu begegnen.
Vor diesem Hintergrund hat die Friedrich-Ebert-Stiftung das Deutsche Institut für Integrations- und Migrationsforschung mit der Erarbeitung einer qualitativ angelegten Studie zur interkulturellen Öffnung der Verwaltung auf allen drei föderalen Ebenen beauftragt. Die Studie basiert u.a. auf 39 Interviews, die mit Personalverantwortlichen und Integrationsbeauftragten geführt wurden. In der Analyse zeigt sich, dass v.a. Personalverantwortliche ihre Verantwortung, wenn es um die interkulturelle Öffnung ihrer Behörden geht, unterschätzen. Dabei haben sie zahlreiche Hebel in der Hand. Dies fängt bei der Ansprache in Stellenausschreibungen an (Stichwort „Ermutigungsklausel“), führt dann zur Frage, wo und in welcher Form diese veröffentlicht wird und hört bei der Zusammensetzung der Kommission für das dann zu führende Bewerbungsgespräch auf.
Öffnung im Bereich der Ausbildendengewinnung
Ein interessanter Befund der Studie ist unter anderem auch, dass interkulturelle Öffnung in vielen Behörden vor allem auf den Bereich der Auszubildendengewinnung beschränkt verstanden wird. Die Besetzung von Stellen, die im gehobenen oder höheren Dienst angesiedelt sind, wird sehr viel weniger als Bestandteil eines interkulturellen Öffnungsprozesses betrachtet. Ebenso scheinen viele der befragten Personalverantwortlichen davon auszugehen, dass interkulturelle Öffnung bereits dann erreicht sei, wenn Beschäftigte mit Migrationshintergrund in den Bereichen arbeiten, die direkt mit Migrations- und Integrationsfragen befasst sind. Dieses Verständnis greift aber zu kurz, geht es doch eben um einen Öffnungsprozess der alle Verwaltungsbereiche gleichermaßen betrifft.
Dabei sind gerade die Kommunen vielerorts Vorreiterinnen. Ein systematisches Monitoring des Prozesses wäre hier allerdings, wie auf allen anderen föderalen Ebenen, wünschenswert. Denn nur so können Fortschritte sichtbar gemacht werden bzw. kann das Ausbleiben von solchen aufgedeckt werden. Zwar erfordert dies den zusätzlichen Einsatz von Ressourcen, es hilft aber mittel- und langfristig dabei, das „Zeitfenster für Vielfalt“ zu nutzen: Im Sinne der interkulturellen Öffnung der Verwaltung, für mehr Repräsentation unserer vielfältigen Gesellschaft und zum Zwecke der nachhaltigen Fachkräftesicherung für die öffentliche Hand.
Die Studie:
Anne-Luise Baumann et al.: Ein Zeitfenster für Vielfalt. Chancen für die interkulturelle Öffnung der Verwaltung. Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 2019.
arbeitet in der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung