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Fit für 55? – So will die EU ihre Klimaziele erreichen

Die EU-Kommission hat den ersten Teil des „Fit für 55“- Gesetzespakets veröffentlicht. Ziel ist Klimaneutralität bis 2050, für Kommunen sind insbesondere die Erneuerbare-Energien- und Energieeffizienz-Richtlinie relevant. Was sich ändert, wo es hapert und an welchen Stellen es nach Nachbesserungspotenzial gibt, erklärt VKU-Präsident Michael Ebling.
von Michael Ebling · 30. August 2021
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Michael Ebling ist Präsident des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU).

Bis 2030 will die EU ihre Treibhausgase um 55 Prozent gegenüber 1990 reduzieren. Um dieses ambitionierte Ziel zu erreichen, soll das europäische Energiesystem umgebaut und verzahnt werden. Erzeugung, Infrastruktur und Verbrauch sollen besser und flexibler vernetzt werden. Damit das gelingt, plant die EU die „Erneuerbare Energien“-Richtlinie (Richtlinie (EU) 2018/2001 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen) und die Energieeffizienz-Richtlinie (Richtlinie (EU) 2018/2002 zur Energieeffizienz) gezielt anzupassen. Dabei orientiert sich die EU-Kommission an drei Grundsätze: Energieeffizienz rückt an erste Stelle. Zudem soll die Energieversorgung elektrifiziert werden – auf Basis von Strom aus erneuerbaren Energien. Erneuerbare und CO2-arme Brennstoffe sollen in den Sektoren Gebäude, Verkehr und Industrie gefördert und für den jeweiligen Sektor spezifische Ziele festgelegt werden. Beide Richtlinien im Überblick:

Die Erneuerbare Energien-Richtlinie im Überblick

Bis 2030 will die EU-Kommission den Anteil von erneuerbaren Energien am Bruttoendenergieverbrauch auf 40 Prozent hochschrauben. Damit hebt die Kommission die Messlatte von bisher 32 Prozent um acht Prozentpunkte an. Das ist aus VKU-Sicht ein wichtiges Signal für den Klimaschutz: Um CO2-Emissionen zu reduzieren, müssen alle Wirtschafts- und Lebensbereiche ihren Energieverbrauch möglichst aus erneuerbaren Energien beziehen. Entscheidend für Planungen und Investitionen sind jedoch die Details der geplanten Regelungen.

Hindernisse im Genehmigungsrecht werden abgebaut

Der Richtlinienentwurf adressiert die Sektoren Strom, Wärme/Kälte und Verkehr. Er folgt damit der herkömmlichen Systematik. Beim Strom schärft die EU-Kommission die bisher weich formulierte Richtlinie nach: Sie weist nun explizit auf die Notwendigkeit hin, Ausbauhemmnisse im Genehmigungsrecht zu überwinden. Das ist wichtig, da Hindernisse beim Ausbau der Windenergie bisher nicht in der Umsetzung genehmigungsrechtlicher Vorgaben in deutsches Recht adressiert wurden. Insofern dürfte der Hinweis der Kommission förderlich für die angestrebten Elektrifizierungsstrategien im Verkehr und in der Wärmeplanung und den Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft sein.

Chance für Verkehrswende

Im Verkehrsbereich sollen Kraftstofflieferanten durch die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, bis 2030 ihre Treibhausgase um 13 Prozent zu verringern. Ihren Beitrag können sie auch durch den Erwerb von Gutschriften leisten, die Anbieter alternativer Kraftstoffe – z.B. Strom – auf den Markt bringen können. Damit verfolgt die Europäische Kommission einen Ansatz, der in Deutschland bereits durch die 38. Bundesimmissionsschutzverordnung etabliert ist: Erfahrungsgemäß ist das eine Chance für kommunale Unternehmen, ihre Ladeinfrastruktur durch den Verkauf von Gutschriften wirtschaftlicher zu betreiben und noch stärker in den Ausbau zu investieren.

Bei Erneuerbaren bleibt Potenzial ungenutzt

Zu kurz greift der Entwurf bei all jenen treibhausgasneutralen Energien, die nicht im klassischen Sinne „erneuerbar“ sind. Ihr Potenzial sollten wir nicht ungenutzt lassen. Im Kampf gegen den Klimawandel zählt jede Tonne CO2. Auf dem Weg zu klimaneutralen Kommunen kommen wir nur mit sektorenübergreifenden Strategien voran, die das gesamte Potenzial der erneuerbaren Energiequellen vor Ort voll ausschöpfen. Daher sollte die EU ihren Entwurf nachbessern: Klimaschutz braucht die gesamte Bandbreite klimaneutraler Energien – von Abwärme, über synthetische Gase/Wasserstoff bis zu Energie aus Abfällen und Abwasser sowie Grubengas.

Neue Hindernisse auf der Baustelle Wärmewende?

Bei der Wärmewende sieht die EU den größten Anpassungsbedarf. Konkret geht es um die Vorschriften zur Wärme-/Kälteversorgung. Ziel ist, den Erneuerbare Energien-Anteil in Wärme- und Kältenetzen im Mittel jedes Jahr um 2,1 Prozentpunkte zu erhöhen. Dazu will sie nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch die Betreiber von Wärme- und Kältenetzen stärker in die Pflicht nehmen. Zurecht sollte das Ziel sein, Ballungsräume in Zukunft verstärkt über Wärme- bzw. Kältenetze mit erneuerbarer Wärme und Abwärme zu versorgen. Kommunale Unternehmen sind dabei zentrale Akteure. Allerdings: Beim Klimaschutz ist die leitungsgebundene Wärme- und Kälteversorgung zwar das richtige Handlungsfeld, jedoch wegen der Wechselwirkungen zwischen Erzeugung, Netzbetrieb und Anforderungen der Verbraucher nicht leicht zu handhaben.

Unter bestimmten Voraussetzungen sollen Betreiber von Wärme- und Kältenetzen künftig Drittanbietern Zugang zu ihren Netzen geben. Bislang regeln kommunale Netzbetreiber und Wärmelieferanten in Deutschland den Zugang in bilateralen Verträgen. Dies hat sich in der Praxis bewährt. So können die technischen Restriktionen des Netzbetriebs ebenso wie die Einspeisungs- und Lastprofile berücksichtigt werden. Die Situation vor Ort ist entscheidend, da Wärme- und Kältenetze wie alle Infrastrukturen der Daseinsvorsorge keine Massenprodukte von der Stange sind, sondern Maßanzüge – eigens angefertigt mit Blick auf das örtliche Ressourcenangebot und die lokale Verbrauchsstruktur, maßgeschneidert für Generationen. All das wird in den bilateralen Verträgen berücksichtigt. So gelingt es Klimaschutz, Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit zu vereinen.

Sollten wie angedacht nun die Zugangsbedingungen nicht mehr zwischen Marktteilnehmern verhandelt, sondern von den Regulierungsbehörden vorgegeben werden, hätte dies Folgen für die Wirtschaftlichkeit von Fernwärme- und Fernkältenetzen. Und für den Klimaschutz: Denn schlimmstenfalls könnten Betreiber sich bei Investitionen in Netzausbau und -erhalt zurückhalten. Das wäre ein Rückschlag für die Wärmewende.

Insgesamt ist es nicht sinnvoll, verpflichtende Kennzahlen und Quoten zu formulieren – dazu sind die Verhältnisse in Europa einfach zu unterschiedlich. Zielführend sind Flexibilität und Kosteneffizienz: Alternative Maßnahmen müssen möglich bleiben, damit Energie effizient und flexibel eingesetzt und CO2 -Emissionen kosteneffizient vermieden werden können. Beispiel Wärmewende: Hier bevorzugen kommunalen Unternehmen einen systematischen Ansatz – nicht der Effizienz-Gewinn beim einzelnen Gebäude, sondern die Energie-Bilanz von Systemen und ganzen Quartieren zählt. Wir kommen schneller ans Ziel, wenn wir nicht länger mühsam jedes einzelne Gebäude sanieren, sondern alle Gebäude in einem Quartier in den Blick nehmen und so z.B. durch geeignete Standorte für Dachflächen-PV, Fernwärme-Anschluss oder Speicher etc. die Gesamt-Co2-Bilanz von vielen Gebäuden auf einmal drücken.

Die Richtlinie zur Energieeffizienz im Überblick (EED)

Erstmals soll das Energieeffizienz-Ziel der EU verbindlich gelten. Die Mitgliedsstaaten sollen sich verpflichten, den Energieverbrauch gemeinsam um mindestens neun Prozent gegenüber einem Referenzszenario im Jahr 2030 zu verringern. Dafür sollen sie ein Primär- und ein Endenergieziel setzen und auch einen – wenngleich unverbindlichen – Verlauf festlegen.

Die Höhe der jährlichen Energieeinsparvorgaben verpflichtet Mitgliedsstaaten und bezieht sich auf den durchschnittlichen jährlichen Endenergieverbrauch der letzten drei Jahre. Bis Ende 2023 sollen 0,8 Prozent bei Endkunden eingespart werden. Ab 2024 sind es 1,5 Prozent pro Jahr. Offen ist die EU bei den Maßnahmen. Mitgliedstaaten haben weiter die Möglichkeit, ihre Einsparungen mit einem wettbewerblichen Maßnahmenbündel zu erzielen, wie Deutschland z.B. mit dem Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz 2.0. Dieser Umsetzungsansatz hat sich bewährt, da der Energiedienstleistungsmarkt in Deutschland bereits weit fortgeschritten ist.

Zukünftig soll die Verpflichtung, ein Energiemanagementsystem bzw. ein Energieaudit durchzuführen, vom durchschnittlichen jährlichen Energieverbrauch abhängen. Ausgenommen sind bisher hoheitliche Unternehmen wie Abwasser- und Abfallentsorger sowie in Teilen Wasserversorger. Neben dem Erhalt dieser Ausnahmeregel ist insbesondere zu klären, ob der Energieverbrauch pro Unternehmen einer Kommune gilt oder alle Unternehmen einer Kommune zusammengezählt werden.

Efficiency First-Prinzip – öffentlichen Sektor als Vorbild

Bei Planungen und Investitionen soll laut EU-Kommission künftig gelten: „Efficiency First“. Über die systematische Anwendung dieses Prinzips, u.a. in der nationalen Energiepolitik, sollen die Mitgliedstaaten künftig an die EU-Kommission berichten. Der öffentliche Sektor soll eine Vorbildrolle spielen. Der Gesamtendenergieverbrauch aller Körperschaften des öffentlichen Rechts sowie öffentlicher Einrichtungen soll jährlich um mindestens 1,7 Prozent gegenüber dem Vorvorjahr reduziert werden. Dies betrifft auch kommunale Unternehmen in der Abfall- und Abwasserentsorgung sowie des Bäderbetriebs. Die konkrete Umsetzung dieses Gebots liegt bei den Mitgliedstaaten. Die bisherigen Regelungen zur „Vorbildfunktion von Gebäuden öffentlicher Stellen“ sowie „Beschaffung öffentlicher Einrichtungen“ sollen weiterentwickelt werden. Das „Efficiency First“-Prinzip soll z.B. bei Beschaffungen ab einer bestimmten Größe stärker greifen. Gleiches gilt u.a. für Contractoren: Bei öffentlichen Aufträgen ab einer bestimmten Größe sollen sie nur Produkte, Dienstleistungen und Gebäude mit hoher Energieeffizienz beschaffen dürfen. Entscheidend aus VKU-Sicht ist, dass kommunale Unternehmen im Wettbewerb mit privatwirtschaftlichen Dritten nicht strukturell benachteiligt werden (sog. Level-Playing-Field).

Neue Aufgabe: Energiearmut bekämpfen.

Die Energieeffizienzrichtlinie soll künftig noch stärker dazu beitragen, Energiearmut zu bekämpfen. Schon heute unterstützen kommunale Energieversorgungsunternehmen gerade einkommensschwache Haushalte bei der effizienten Nutzung von Energie. Aus der Praxis wissen wir jedoch: Hilfe für Menschen, die von Energiearmut betroffen sind, ist und bleibt Sache der Sozialpolitik. Daher sollte der Richtlinienentwurf entsprechend angepasst werden.

Gemischtes Bild bei der Wärmwende

Für neue oder modernisierte, effiziente Fernwärme- und Fernkältesysteme werden bei Inbetriebnahme bestimmte Anteile an erneuerbarer Energie und Abwärme vorgeschrieben. Diese Anteile sollen sukzessive bis 2050 angehoben werden, sodass 2050 Mindestanteile von 60 Prozent erneuerbare Energien erreicht werden. Damit geht die EU-Kommission weit über die bisherigen Vorgaben hinaus. Die Vorgaben bestimmen die deutsche Wärmenetzförderung im KWK-Gesetz, die erst kürzlich novelliert und bis Ende 2026 beihilferechtlich genehmigt wurde.
Die neuen Regeln zu Fernwärme- und Fernkältesystemen sind aus unserer Sicht kritisch: Starre Quoten schränken Handlungsspielräume ein. Lokal unterschiedlichen Potenzialen – etwa bei der Abwärmenutzung- sowie der Bedeutung von hocheffizienter Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen und auch aus Sicht der Versorgungssicherheit bei Strom und Wärme – wird damit nicht ausreichend Rechnung getragen.

Positiv ist hingegen das Plädoyer für die Anwendung strategischer Instrumente, wie kommunale Wärme- und Kältepläne (Art. 23) sowie Netztransformationspläne. Bei der anstehenden Überarbeitung beider Richtlinien (und der Gebäudeenergieeffizienzrichtlinie) sollte aus VKU-Sicht ein „level-playing-field“ das Ziel sein: Die Wärmewende bekommt nur dann spürbar Schub, wenn die aktuelle Schieflage korrigiert und netzgebundene und objektbasierte Wärme- und Kälteversorgung strukturell gleichgestellt werden.

Die nächsten Schritte

Nachdem die EU-Gesetzgeber in den vergangenen Monaten intensiv über die neuen Klimaziele verhandelt haben, startet die Beratung konkreter Maßnahmen zur Umsetzung der Ziele. Mit den Veröffentlichungen der Richtlinienvorschläge beginnt in Brüssel das ordentliche Gesetzgebungsverfahren unter Beteiligung von EU-Kommission, Rat der EU und Europäischem Parlament. Nach der Sommerpause werden zunächst das Parlament und der Rat ihre jeweiligen Standpunkte erarbeiten, bevor die EU-Institutionen miteinander über Kompromisse verhandeln (sog. Trilog). Dieser Prozess wird mehrere Monate in Anspruch nehmen und kann mitunter bis zu zwei Jahre dauern. Im Anschluss müssen die Mitgliedsstaaten dann die Regelungen in nationales Recht umsetzen.

EU-Vorgaben und ihre nationale Umsetzung setzen den Rahmen für die kommunalen Akteure. Klimaschutz findet vor allem vor Ort in den Kommunen statt. Das sollte bei der Ausgestaltung des Fit-for-55-Pakets immer beherzigt werden.

 

Dieser Beitrag ist zuerst in „Europa kommunal” erschienen.

Autor*in
Michael Ebling

ist Präsident des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU) und Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Mainz.

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