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Habt euch lieb!

In der Corona-Krise wird unser Leben von vielen neuen Regeln bestimmt. Eine ist von allen die wichtigste. Eine Glosse.
von Carl-Friedrich Höck · 23. April 2020
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Der Mensch braucht Regeln. Sie geben dem Zusammenleben einen Rahmen. Ohne Regeln würde Chaos ausbrechen. Wie sinnvoll manche Regeln sind, erkennt man daran, dass sie sogar von Tieren übernommen werden. In mehreren Städten wurden schon Füchse gesichtet, die an der Ampel geduldig auf Grün warteten. Ein aktuelles Twitter-Foto zeigt eine Katze, die sich rücksichtsvoll in die Warteschlange vor einem Supermarkt einreihte und sogar die Abstandsregeln einhielt.

Das vielleicht älteste noch gültige Regelwerk im christlich geprägten Abendland sind die zehn Gebote. Es enthält klare Ansagen: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren.“ „Du sollst nicht stehlen.“ „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen nächsten.“ In dem etwas blasphemischen Roman „Gott bewahre“ behauptet der Schriftsteller John Niven, dass Gott Moses eigentlich nur ein einziges Gebot mit auf den Weg gegeben habe: „Seid lieb“. Irgendwie sei Moses das aber zu simpel gewesen. Deshalb habe er die eine Grundregel eigenmächtig ausgeschmückt und ganze zehn auf seine Tafel geschrieben.

Mehr Regeln!

Bedarf für zusätzliche Regeln hat in den vergangenen Wochen auch die Politik erkannt – und neue Vorschriften geschaffen, um die Corona-Pandemie einzudämmen. Diese können ihre Wirkung jedoch nur entfalten, wenn es auch jemanden gibt, der sie durchsetzt. Hierzulande bedeutete das viel Arbeit für Polizei und Ordnungsämter.

Immerhin: Oft genügte es, renitente Bürgerinnen und Bürger zu belehren und aufzuklären, wenn sie Abstandsregeln missachteten. Manchmal war auch ein Bußgeld fällig für das Picknick im Park oder das geöffnete Lokal. Im Ausland ist man bei den Strafen kreativer. In Indien etwa erschreckten Polizisten Regelbrecher mit Helmen in Form eines Coronavirus oder drohten ihnen damit, Bollywood-Filmlieder spielen zu müssen.

„Du sollst Zeugnis reden wider deinen Nächsten“

Damit die Ordnungsbehörden Verstöße überhaupt ahnden können, sind Hinweise aus der Bevölkerung hilfreich. Doch zuweilen übertreiben es die Bürgerinnen und Bürger mit ihrem Mitteilungsdrang. Seit Ausbruch der Coronakrise laufen die Telefone auf den Polizeiwachen heiß. Nach dem Motto „Du sollst Zeugnis reden wider deinen Nächsten“ wird sofort angerufen, wenn mehr als zwei Menschen auf einer Parkbank sitzen.

Solches Denunziantentum sorgt nicht nur für Überstunden in den Behörden. Es belastet auch die Atmosphäre unter Mitbürgern – vor allem dann, wenn die aufmerksamen Nachbarn die Rolle des Ordnungshüters gleich selbst übernehmen wollen. Die Polizei Vorpommern-Greifswald berichtete Ende März davon, dass immer wieder Personen mit auswärtigen Kennzeichen verbal angegangen wurden – einfach so und zu Unrecht. Verzweifelt richtete sie einen Appell an die Bürgerinnen und Bürger, sich auf eine alte Grundregel zu besinnen. Gewissermaßen auf das wichtigste aller Gebote: „Bitte habt euch lieb!“

Autor*in
Porträtfoto Mann mit Brille und dunkelblonden Haaren
Carl-Friedrich Höck

ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.

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