Wie Felix Schwenke die Wahl in Offenbach gewonnen hat
Der Unterbezirksparteitag entschied nicht allein. Die Offenbacher*innen konnten per Bürger*innen-Befragung und bei einem öffentlichen Workshop Einfluss auf das Programm nehmen, mit dem SPD-Kandidat Dr. Felix Schwenke bei der Oberbürgermeisterwahl um Stimmen warb. Ein ungewöhnlicher Versuch, der vielleicht auch einer der Gründe für sein herausragendes Ergebnis war. Bei der Stichwahl am 24.9.2017 erhielt Schwenke zwei Drittel der abgegebenen Stimmen, fast dreimal so viel wie die SPD zur gleichen Stunde bei der Bundestagswahl. Nebenbei: Sein Mitbewerber, der CDU-Stadtkämmerer, wurde öffentlich von Grünen und der FDP unterstützt.
„Sagen Sie uns Ihre Meinung“
Unter der Überschrift „Sagen Sie uns Ihre Meinung“ waren die Menschen in der Stadt neun Monate vor dem Urnengang eingeladen, drei Fragen zu beantworten „Worum sollte sich Politik kümmern?“ „Was ist gut bzw. wäre gut für Offenbachs Zukunft?“ und „Was ist für Sie Echt Offenbach?“. Im Anschreiben versprach der Parteivorsitzende Schwenke, die Ergebnisse den Medien vorzustellen, geeignete Antworten „in sein Programm einzuarbeiten“ und die Ergebnisse öffentlich auf einem Workshop zu diskutieren.
40.000 Fragebögen verteilte die Offenbacher SPD an fast alle Haushalte der Stadt, mit Ausnahme der Werbeverweigerer. Die Aktion war ein öffentlichkeitswirksamer Wahlkampfauftakt und begleitete als starkes Symbol eine Kampagne, die sich nicht allein mit bunten Plakatwänden begnügte, sondern Dialog, Transparenz und Teilhabe in den Mittelpunkt stellte. Fortan stand der Name „Schwenke“ für Offenheit, Zuhören und Bodenständigkeit. Er nutzte dieses Image bei zahlreichen Nachbarschaftstreffen seiner Wählerinitiative, ungezählten Hausbesuchen mit den Parteigliederungen, aber auch bei manch gemeinsamen Trainings oder Chorproben, zu denen er in die Vereine kam, um für seine Projekte zu werben, für eine Agenda, die von den Menschen der Stadt mitbestimmt wird.
Starker Rücklauf der Fragebögen
800 Offenbacher*innen schickten einen ausgefüllten Fragebogen zurück, rund ein Drittel davon online. Die Einsender konnten zu den drei Themen jeweils fünf vorgegebene Antworten ankreuzen, darüber hinaus waren eigene Vorschläge und Anmerkungen möglich. Bezahlbare Wohnungen, familienfreundliche Kita-Öffnungszeiten, weniger Fluglärm, neue Parks und Parkplätze, VHS-Angebote für Senioren, Schlaglöcher rasch flicken, ganztägige Betreuung in den Schulen, konsequente Durchsetzung von Sicherheit und Sauberkeit: Die Anforderungen der Menschen an ihre Stadtverwaltung, den Magistrat und insbesondere an den Oberbürgermeister scheinen unbegrenzt, mannigfaltig und gelegentlich auch nicht widerspruchsfrei.
Ein nie versiegendes Füllhorn mag es im Märchen geben, die Verantwortlichen in den chronisch unterfinanzierten Kommunen haben oft nur Magerkost zu bieten und ernten dafür oft nur wenig Verständnis. Der Aufbau des Fragebogens versetzte die Teilnehmer in die Rolle von politischen Entscheidern. Er verpflichtete sie selbst Prioritäten zu setzen und Forderungen mit konkurrierenden Interessen abzuwägen.
Konkrete Forderungen, Überraschungen und ein Glücksgriff
Konkret wünschten die Menschen, dass sich die Politik um „preiswerten Wohnraum“, „weniger Fluglärm“, „Sicherheit und Ordnung“ sowie „Sauberkeit“ kümmert. Außerdem um „zusätzliche Arbeitsplätze“ und „billigeren Nahverkehr“. Themen wie „längere Kitaöffnungszeiten“, „mehr Krippenplätze“ und „spezielle Angebote für Senioren“ wurde weniger Bedeutung beigemessen. Gut für Offenbachs Zukunft sind „mehr gute Geschäfte“, „der Wochenmarkt“, „die Ansiedlung von Unternehmen“, die Umgestaltung des Marktplatzes“ und „die Sanierung von Schulen und Kitas“. Ursprünglich höher eingeschätzte Themen wie „Masterplan“, „Dienstleistung per Internet“ oder ein „Servicecenter für Vereine“ fanden wenig Widerhall.
Als „Glücksgriff“ entpuppte sich die Frage nach Assoziationen zu „Echt Offenbach“, einem Schlagwort, das sich später als Slogan auf Schwenkes Plakaten wiederfand. Viele Offenbacher*innen beschrieben mit viel Herzblut, was sie mit der Stadt verbindet. Ein Zeichen dafür, dass die Umfrage Menschen ansprach, die sich bewusst mit der Entwicklung der Stadt auseinandersetzen. Menschen, die sich auch an Wahlen auf kommunaler Ebene beteiligen.
Bürgerforum wertet aus
Nach der Auswertung der Antworten lud Schwenke zu einem Bürger*innen-Forum ein. An sechs Tischen sollten jeweils Thesen aus Schwenkes Programm anhand einer konkreten Fragestellung, die an einer Stellwand angepinnt wurde, von den Teilnehmer*innen besprochen werden. Jeder konnte sich drei Gebiete aussuchen. Nach zwanzig Minuten mussten sich die Diskutant*innen jeweils einer anderen Runde anschließen. Die Tische wurden von einem Experten/einer Expertin moderiert. Verantwortliche trugen zum Abschluss die gesammelten Ideen vor.
Nebenbei: Die Veranstaltung sollte in erster Linie Nichtparteimitglieder ansprechen (und hat es auch).
Befürchtungen, die anonyme Fragebogenaktion würde Rechtsradikalen ein Forum bieten, bewahrheiteten sich nicht. Etwa drei Prozent der Antworten können der Rubrik „Hetze“ zugeordnet werden. Diese wurden nicht veröffentlicht. Aber in den Rückläufen, die auch den Medien vorgestellt wurden, wurde durchaus die Sorge geäußert, dass die Politik nicht die notwendigen Mittel bereitstellt, damit Integration gelingen kann.
Ein sinnvolles Instrument
Unsere Bewertung des Instruments Bürger*innen-Befragung: Sie ersetzt nicht das Profil einer Partei oder Charisma und Standing von Kandidaten, aber sie ist durchaus ein Instrument, Menschen im Wahlkampf anzusprechen, ihnen das Gefühl zu geben, „die da oben“ hören mir zu. Das Ergebnis der Offenbacher Meinungsforschung hebelte keinen Kernpunkt Sozialdemokratischer Identität aus, aber sie macht deutlich, dass manche Priorität „draußen“ anders bewertet wird: Beispiel Sauberkeit und Sicherheit. Mit einer Umfrage lassen sich viele neue Ideen gewinnen – schließlich weiß jede*r am besten um die Probleme vor seiner Haustür. Und diese Art des Wahlkampfs bietet einen nicht zu unterschätzenden Nutzen: Gegenüber den Medien und den Mitbewerbern zieht ein Argument immer: „Die Menschen wollen das. Das hat unsere Befragung gezeigt“.
Zum Autor: Matthias Müller organisierte als Fraktionsgeschäftsführer den Wahlkampf 1985 in Offenbach, der stark am Dialog mit den Menschen orientiert war. Als Leiter des Presseamtes der Stadt Offenbach beobachtete er im Hintergrund die erfolgreichen Oberbürgermeister-Kampagnen von Gerhard Grandke und Horst Schneider in Offenbach. Nach der Pensionierung eröffnete Müller eine Kommunikationsagentur und gehörte im Wahlkampf zum Berater-Team von Schwenke.
Im Blog „Meine Sicht” schreiben wechselnde Autoren zu unterschiedlichen kommunalen Themen. Dieser Beitrag ist zuerst im Landes-SGK Extra Hessen der DEMO erschienen und wird hier mit freundlicher Genehmigung der SGK Hessen veröffentlicht.