Europäische Landwirtschaft: umverteilen und regionalisieren!
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Am 6. Februar kündigte die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen die Rücknahme eines Gesetzes an, mit dem der Einsatz von Pestiziden in der Europäischen Union reduziert werden sollte. Diese einseitige Entscheidung untergräbt einen wesentlichen Teil der Umsetzung des europäischen Grünen Deals. In Frankreich setzte Premierminister Gabriel Attal seinerseits den lange ausgehandelten Ecophyto-Plan zur Reduzierung des Einsatzes und des Risikos von Pestiziden aus und kommt auf die Besteuerung von Agrardiesel zurück. In Budapest oder Brüssel, auf einem Traktor oder in Demonstrationen, stellt sich der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán auf populistisch provokante Weise gegen die anderen europäischen Staats- und Regierungschef*innen „auf die Seite des Volkes“. Seine italienische Amtskollegin Giorgia Meloni wiederum begrüßt ihrerseits die Entscheidung von Frau von der Leyen über Pestizide als „Sieg, der auch der Sieg unserer Regierung ist“, und dies obwohl Italien gerade erst eine Erhöhung der Beihilfen für seine Landwirtschaft erhalten hat.
Die vermeintlich einfachste Lösung ist in Wahrheit keine
„Die Bauern in Frieden lassen“ scheint das Mantra der europäischen konservativen und populistischen Staats und Regierungschef*innen nach den jüngsten europaweiten Bauernprotesten zu sein. Während all diese Vertreter*innen der Mitgliedstaaten und die Europaabgeordneten ihrer Parteien im Rat und im Europäischen Parlament für die jüngste Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) gestimmt haben, ist es immer noch eine sehr praktische Lösung, Europa für alle Missstände in der europäischen Landwirtschaft verantwortlich zu machen. Leider ist dies nicht die Lösung der wirklichen Probleme der europäischen Landwirtschaft.
Aus Sicht der europäischen Sozialdemokrat*innen muss dringend umgedacht und dementsprechend gehandelt werden. Die Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament, Iratxe García Pérez, betont: „Der Agrarsektor braucht die Europäische Union ebenso wie unsere Union eine nachhaltige Landwirtschaft braucht“. Die Bewältigung der Agrarkrise muss mit Europa und Hand in Hand mit einem fairen Grünen Deal und der Reform der GAP erfolgen. Die Überwindung der Agrarkrise kann gerade nicht durch Herabstufung europäischer Standards erreicht werden, zumal die Krise vor allem eine Krise des Einkommens der Landwirtschafte darstellt.
Drei Forderungen
Aus diesem Grund stelle ich im Europäischen Ausschuss der Regionen, wo ich - zusammen mit Piotr Całbecki, Marschall der Woiwodschaft Cujavia-Pomeranien in Polen - Ko-Berichterstatterin der Stellungnahme zur Zukunft der gemeinsamen Agrarpolitik bin, drei Hauptforderungen:
Erstens glaube ich, dass die europäische Agrarkrise nicht nachhaltig gelöst werden kann, wenn wir soziale Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten im Agrarwirtschaftsmodell nicht drastisch reduzieren. Ich schlage daher vor, die Verteilung der Direktzahlungen der GAP fairer zu organisieren, indem Zahlungen an größere landwirtschaftliche Betriebe begrenzt werden, wie dies bereits in acht Mitgliedstaaten der Fall ist. Im Jahr 2019 wurden 80 Prozent der Direktzahlungen an 20 Prozent der großen landwirtschaftlichen Unternehmen geleistet. Diese konstanten Einkommensungleichheiten sind inakzeptabel. Die Hektarbeihilfen müssen nach einem Übergangszeitraum Beihilfen auf der Grundlage der Arbeitsintensität der landwirtschaftlichen Betriebe und der Einhaltung ökologischer und sozialer Bedingungen mit Blick auf die Ziele des europäischen Grünen Deals weichen.
Zweitens müssen wir den ungezügelten internationalen Wettbewerb regulieren und dem Sozial- und Umweltdumping in der landwirtschaftlichen Praxis ein Ende setzen. Die europäische Ernährungssouveränität ist ein Gemeinwohl. Unsere Landwirte müssen effektiver geschützt werden. Es ist daher notwendig, die Mechanismen der Marktregulierung und des Regulierungsschutzes gegenüber dem Rest der Welt wiederherzustellen. Zudem darf Europa die Landwirte nicht einerseits dazu ermutigen, Anstrengungen in Bezug auf Umweltauswirkungen oder im Sinne der öffentlichen Gesundheit zu unternehmen, wenn gleichzeitig die Einfuhr von Produkten aus kostengünstigeren Erzeugerländern, die nicht unseren Standard entsprechen, erlaubt werden. Die GAP darf den Landwirten keine widersprüchlichen Forderungen mehr stellen! Wir müssen Kohärenz in diese Politik bringen.
Der Klimawandel trifft die Landwirtschaft
Schließlich geht es um den Klimawandel. Er ist real und die Landwirte leiden an vorderster Front unter seinen Auswirkungen. Im Zuge der Demonstrationen der Landwirt*innen drängen bestimmte Interessenvertreter*innen darauf, Wachstumsbarrieren einfach auszusetzen, und plädieren für einen unbegrenzten Zugang zu Wasser und Diesel, zügellosen Einsatz von Pestiziden, die Aufhebung der Beschränkungen für die Größe von Vieh usw. Aber die Steigerung der Produktion wird das Einkommensproblem der Landwirte nur verschlimmern, da es in erster Linie der Agrarindustrie zugutekommt. Nur durch die Regionalisierung der Beihilfen zur Ökologisierung der zweiten Säule der GAP, wie wir sie fordern, können wir die Landwirte unterstützen, indem wir ihre Kosten erheblich senken und ihr Einkommen sogar steigern. Darüber hinaus würden wir mit einer erheblichen Erhöhung der Beihilfen die Ansiedlung von Junglandwirt*innen sowie ein nachhaltigeres Agrarmodell mit geringen oder keinen Verlusten des Produktionsvolumens auf europäischer Ebene fördern.
Dafür sollten sich Frau Von der Leyen, Herr Orbán oder Herr Macron bei den nächsten Verhandlungen über die künftige Gemeinsame Agrarpolitik einsetzen, um dem aktuellen Status quo in der Landwirtschaft, der nur zur Entvölkerung unserer ländlichen Gebiete führt, die wichtige Arbeit unserer Landwirt*innen entwertet, die Unzufriedenheit wachsen lässt und unseren Planeten zerstört, ein Ende zu setzen.
ist Bürgermeisterin von Portimão (SPE/Portugal) und Vorsitzende der Fachkommission für natürliche Ressourcen im Europäischen Ausschuss der Regionen