Perspektiven

Lübcke-Mord vor fünf Jahren: Was wir gelernt haben – und was nicht

Am 2. Juni 2019 starb der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke, ermordet von einem Rechtsextremisten. Die Politik hat Lehren aus diesem und weiteren Fällen gezogen. Jetzt kommt es darauf an, dass wir nicht den Mut zum Dialog verlieren.
von Carl-Friedrich Höck · 30. Mai 2024
Trauerfeier für Walter Lübcke im Juni 2019 in Kassel

Am Abend des 1. Juni saß Kassels Regierungspräsident Walter Lübcke auf der Terrasse seines Wohnhauses, schaute auf sein Tablet, rauchte eine Zigarette. Da kam ein Mann mit gezücktem Revolver auf ihn zu und schoss. Der CDU-Politiker überlebte die Nacht nicht. Sein Tod jährt sich am Sonntag zum fünften Mal.

Bis heute gilt der Mordfall als ein besonders tragisches Beispiel für den Hass, der vielen Kommunalpolitikerinnen und -politikern mittlerweile entgegenschlägt. Der Täter entpuppte sich bald als polizeibekannter Rechtsextremist. Sein Motiv: Lübcke hatte sich für die Aufnahme von Geflüchteten eingesetzt.

Gewalt nicht hinnehmen – was heißt das?

Drei Tage nach dem Mord hielt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eine Rede auf der Hauptversammlung des Deutschen Städtetages. Die genauen Hintergründe des Falles waren noch ungeklärt. Doch manche feierten den Tod in den sozialen Medien und applaudierten dem Täter. Dies sei „zynisch, geschmacklos, abscheulich, in jeder Hinsicht widerwärtig“, kommentierte Steinmeier. Und er sagte: „Verleumdungen und Angriffe, Hasskampagnen und körperliche Gewalt gegen Stadt- und Gemeinderäte und gegen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sind durch nichts zu rechtfertigen! Wir werden das in unserem Land nicht hinnehmen! Wir dürfen und wir werden das nicht dulden!“

Den Worten des deutschen Staatsoberhauptes sind durchaus Taten gefolgt. Bedrohte Kommunalpolitiker*innen bekommen mehr Unterstützung. Der Bundespräsident selbst hat die Schirmherrschaft für das Portal „Stark im Amt“ übernommen, das Informationsangebote für Betroffene bündelt. Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat eine Anlaufstelle für Amts- und Mandatsträger*innen ins Leben gerufen. Erst kürzlich hat die Bundesregierung ein Gesetz auf den Weg gebracht, mit dem Privatadressen von Kommunalpolitiker*innen besser geschützt werden sollen, und eine Demokratie-Strategie beschlossen. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Mehr Hass, mehr Angriffe

Trotzdem kann das Fazit fünf Jahre nach dem Mord an Walter Lübcke nur ernüchternd ausfallen. Berichte aus den aktuellen Kommunal- und dem Europawahlkampf zeigen: Es hat sich zum Schlechteren verändert in diesem Land. Politisch Engagierte stoßen zunehmend auf Anfeindungen statt auf Anerkennung für ihre aufreibende Tätigkeit. Plakate werden zerstört, Wahlkämpfende beschimpft oder gewaltsam attackiert. Die Zahl der registrierten Angriffe auf Vertreter*innen politischer Parteien hat sich seit 2019 verdoppelt und lag im vergangenen Jahr bei fast 2.800. Das veränderte gesellschaftliche Klima bekommen nicht nur Politiker*innen zu spüren. Der Hass trifft auch Verwaltungsmitarbeitende, Rettungskräfte, Feuerwehrleute und andere Gruppen.

Sind wir dabei, Demokratie zu verlernen? Manches spricht dafür, und das hat Gründe. Einer ist die AfD. Sie versucht gezielt, die Gesellschaft zu polarisieren und zu spalten – und zieht bei Wahlen genau daraus ihre Kraft. Tatsächlich ist es der AfD gelungen, den öffentlichen Diskurs in Deutschland zu verschieben und den Wertekonsens unserer demokratischen Gesellschaft in Frage zu stellen. Sprüche wie „Ausländer raus“ werden auch außerhalb von Rechtsrock-Konzerten zunehmend salonfähig, wie nicht nur ein derzeit kursierendes Video von Sylt zeigt.

Die Polarisierung wird durch gezielte Desinformationskampagnen befeuert. Dahinter stehen die rechtsextreme Szene in Deutschland, aber auch Wladimir Putin. Sein Regime finanziert Cyberangriffe und Trollfabriken, die das Vertrauen der Deutschen in ihre Demokratie untergraben sollen. Die Verunsicherung, welche die Corona-Pandemie ausgelöst hat, wurde dazu genutzt und bewusst verstärkt.

Wir brauchen eine demokratische Debattenkultur

Die Sozialen Medien sind ein weiterer Faktor. Ihre Funktionsweisen fördern eine Diskussionskultur, in der nicht mehr die Suche nach gemeinsamen Nennern im Mittelpunkt steht. Die Algorithmen belohnen Trigger: Wer starke Gefühle wie Wut oder Angst auslöst, bekommt Aufmerksamkeit und Reichweite. Und wem ein Beitrag gefällt, der bekommt immer mehr vom Gleichen. Tendenziell fördert das Extremismus. Für Extremist*innen gibt es keine Zweifel mehr, nur noch richtig und falsch, Wir gegen Die, Freund*innen und Verräter*innen.

Doch Aufgeben darf nicht die Antwort sein. Wir alle können tagtäglich einen Beitrag leisten zu einer Debattenkultur, in der die Menschenwürde geachtet und andere Meinungen respektiert werden. Im Alltag und auch im Stadt- oder Gemeinderat. Wenn uns das gelingt, entziehen wir dem Extremismus ein Stück weit den Boden, auf dem er gedeihen kann.

Walter Lübcke hat den Dialog gesucht. Er hat seinen Kritiker*innen zugehört, aber auch seinen Standpunkt vertreten und erklärt. Das ist es, worauf es in der Demokratie ankommt. Den Mut dazu dürfen wir uns nicht nehmen lassen.

Autor*in
Porträtfoto Mann mit Brille und dunkelblonden Haaren
Carl-Friedrich Höck

ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare