Perspektiven

Neu ist nicht immer besser: ein Plädoyer für historische Bausubstanz

Alte Häuser prägen das Gesicht einer Stadt und machen sie unverwechselbar. Sie sind gebaute Geschichte. Deshalb sollten sie erhalten bleiben und nicht als Hindernis für Neues betrachtet werden. Ein Kommentar.
 

von Susanne Dohrn · 11. Juni 2025
Denkmalschutz-Plakette an einer Hauswand, davor Baugerüst

Denkmalschutz-Plakette an einem alten Gebäude (Symbolfoto)

Meine Stadt verliert ihr Gesicht, und ich kann nichts dagegen tun. Geprägt wurde sie, wie so viele Kleinstädte in Deutschland, vom Stolz ihrer Bürgerinnen und Bürger. Um die Wende zum 20. Jahrhundert bauten sie entlang der Hauptstraßen Wohn- und Geschäftshäuser. Mit ihren anmutigen Proportionen, den zur Straße gewandten holzverzierten Giebeln, den Jahreszahlen unter dem First und ihren Vorgärten sind sie typisch für schleswig-holsteinische Landgemeinden. Nun verschwindet ein altes Haus nach dem anderen und weicht gesichtslosen mehrstöckigen Neubauten.

Auch Denkmalschutz schützt nicht alles

Den Neubauten sieht man an, dass es ihren Eigentümern vor allem um eine möglichst hohe Rendite geht. Selbst für eines der ältesten Gebäude meiner Gemeinde gab es kein Pardon. Das reetgedeckte Zweiständer Fachhallenhaus aus dem Jahr 1810 wurde abgerissen, obwohl es unter Denkmalschutz stand. Der Eigentümer hatte es so lange verfallen lassen, bis eine Sanierung nicht mehr „zumutbar“ war.

Stück für Stück, Grundstück für Grundstück verliert meine Stadt ihre gebaute Geschichte und damit ihr unverwechselbares Gesicht. So wie bei mir sieht es in vielen anderen Städten aus. Selbst entlang von Hamburgs Millionärsmeile, der Elbchaussee, fällt eine prachtvolle Villa nach der anderen der Abrissbirne zum Opfer. An ihrer Stelle entstehen auf den Grundstücken konforme „Kaffeemühlen“ oder Protzbauten, die vor allem eines auszeichnet: riesige Fenster und ein völliger Mangel an Proportionen.

Altbauten wichtig für Identifikation

Ich bin Kommunalpolitikerin. Ich sitze seit mehr als zehn Jahren im Bauausschuss, aber gegen diese Entwicklung bin ich machtlos. Die Gesetze favorisieren den Neubau mehr als die Sanierung von Altbauten. Dabei ist deren Schutz zentral für die Identifikation der Bürgerinnen und Bürger mit dem Ort, in dem sie leben. Menschen wollen ihn wiedererkennen, ihn als Heimat empfinden und dazu gehört ganz zentral seine gebaute Geschichte.

Warum ist das so? Ich glaube, in vielen Kommunen fehlt das Bewusstsein dafür, welchen Wert die gebaute Umwelt für die Identifikation der Bürgerinnen und Bürger mit „ihrer“ Stadt hat. Wir schwärmen von der Altstadt in Barcelona, lieben Italiens Plätze, bewundern die Ringstraße in Wien oder den Boulevard Haussmann in Paris, aber die Schätze vor der eigenen Haustür nehmen wir nicht wahr.

Denkmalschutz ist Bereicherung, kein Hindernis

Der Standardsatz eines meiner Fraktionskollegen ist typisch für diese Einstellung: „Die olle Hütte muss weg. Da muss was Schönes Neues hin.“ Als sei Neu ein Wert an sich. Es sind die gleichen Menschen, die nach einem Trip an die Ostsee vom Hafen in Wismar schwärmen, der zauberhaften Altstadt von Rostock, von Eckernförde oder Lübeck. Dass der gebaute öffentliche Raum der Gemeinschaftsbesitz unserer Gesellschaft ist, dass er Teil unserer Geschichte ist, dass er unser öffentlicher Wohlfühlraum ist, lässt sich kaum vermitteln. Auch deshalb werden denkmalgeschützte Gebäude viel zu oft als hinderlich angesehen, als etwas „das Planungen ausbremst“, wie kürzlich in der Demokratischen Gemeinde zu lesen war, und nicht als etwas, das eine Kommune bereichert.

Spätestens jetzt kommt der Einwand: „Aber die neuen Bauten sind doch soviel klimafreundlicher.“ Das stimmt zwar. Aber in einem alten Haus steckt viel „graue Energie“. Das ist Energie, die aufgewendet wurde, um das Haus zu bauen. Für den Neubau müssen dann noch einmal erhebliche Mengen Energie aufgewendet werden, verbunden mit dem entsprechenden CO2-Ausstoß. Statt alte Häuser abzureißen, wäre es also für das Klima besser, sie zu sanieren. Das sagt auch die Bundesvorsitzende der Architektenkammer Andrea Gebhard in der ZEIT: „Idealerweise sollte nur noch im Bestand gebaut werden, also umbauen, weiterbauen, aufstocken, erweitern.“ 

Die finanziellen Anreize dafür reichen allerdings bislang nicht aus. Es wird also weiter abgerissen, auch in meiner Stadt. Und weil es woanders soviel schöner ist, reisen wir, sooft wir es uns leisten können, dorthin, wo die Städte noch hübsche Marktplätze haben oder eine historische Altstadt, ebenfalls mit der entsprechenden CO2-Bilanz. 

Autor*in
Porträtfoto Susanne Dohrn
Susanne Dohrn

ist freie Autorin und SPD-Ratsfrau in Tornesch

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