Perspektiven

Wie umgehen mit extremen Teilen in der Kommunalvertretung?

Wie können die demokratischen Fraktionen in Stadträten oder Kreistagen mit der AfD umgehen? Brandenburgs SGK-Vorsitzender Maximilian Wonke hat eine Handlungsempfehlung verfasst – und plädiert für rote Linien statt Brandmauern.

von Maximilian Wonke · 4. Oktober 2024
Porträtaufnahme Maximilian Wonke

Maximilian Wonke ist Bürgermeister der Gemeinde Panketal und Vorsitzender der SGK Brandenburg.

Die Kommunalwahlen in Brandenburg liegen nun ein paar Wochen hinter uns. Vielerorts wurden von Parteien und Gruppierungen zahlreiche Mandate errungen, deren Anerkennung unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung für einige ihrer Mitglieder in Frage zu stellen ist. Nicht ohne Grund werden sie vom Verfassungsschutz beobachtet. Die Frage des Umgangs mit diesen gewählten Mandatsträgerinnen und -trägern stellt sich seit dem Erstarken rechter Parteien immer mehr. Nun stellen sie in vielen Kommunalparlamenten große oder gar die größten Fraktionen. Eine neue Betrachtung des Umgangs mit diesen Mehrheiten ist daher angeraten.

Mittel der demokratischen Parteienfamilie war es bisher, sich gegenseitig zuzusichern, dass man jede Kooperation ausschließe. Die symbolische Brandmauer war schnell proklamiert, ist in aller Munde und ihr Standhalten wird stets nach außen hin bekräftigt. Eine genaue Definition, was diese Brandmauer auszeichnet und ausmacht, gab es jedoch nie.

Und nun, in den Nachwehen des erschreckenden Votums der Wähler, tönt es aus vielen Seiten unseres Landes: „Die Brandmauer ist gefallen!“ Unterschiedliche Vertreter aller etablierten Parteien vermuten bei den anderen, sich nicht an die selbstgesteckten Regeln zu halten. Der Grund: nach der Kommunalwahl müssen viele Vorsitze, Stellvertreter und Ämter der kommunalen Gremien in geheimer Wahl neu bestimmt werden. Und nun wurden in manche Posten auf einmal Vertreter der AfD gewählt. Aufgrund der geheimen Wahl kann jetzt jeder jedem Vorwürfe machen.

Wohl dem, der da die beste Glaskugel hat. Doch ist dies vermutlich erst der Vorgeschmack auf 5 Jahre, in denen viele Gemeindevertretungen, Stadtverordnetenversammlungen oder Kreistage mit Vertretern einer Partei und ihrer Fraktion arbeiten müssen, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Wie also umgehen mit den neuen Stimmverhältnissen?

Wer stimmt mit wem?

Auf Bundes- und Landesebene werden – zumindest bis heute – zur Erlangung und Absicherung stabiler Mehrheiten Koalitionen gebildet und mittels Koalitionsvertrag ein Arbeitspapier kodifiziert, das es für die Legislaturperiode abzuarbeiten gilt. Der Schlag auf die Oppositionsbank – auch hinter der Brandmauer – geht daher relativ gut von der Hand.

Eine einfache Übertragung dieser Strategie in die kommunale Ebene entzieht sich jedoch einer dauerhaften Praktikabilität, sieht es hier bei Betrachtung der stetig wechselnden Bündnisse doch ganz anders aus. Nur in äußerst seltenen Fällen kommt es zu stabilen Koalitionen, die sich ein gemeinsames Arbeitsprogramm geben. Kommunalpolitik ist dazu wenig geeignet, da die Themenfelder zum einen viel zu basal sind und zum anderen Gemeindevertreter oft schlichtweg den ihnen gesetzlich auferlegten Auftrag zu erfüllen haben. Sie sind nicht gänzlich frei in ihrem Mandat und gelten rechtlich gesehen daher auch als „ehrenamtliche Beamte“.

Das Schlagloch in der Straße und der auszubauende Fahrradweg kennen zudem nicht wirklich immer eine politische Einordnung. Es müssen Beschlüsse gefasst werden, um konkrete Probleme zu lösen. Doch nun ist es sehr wahrscheinlich geworden, dass diese manchmal nur mit Stimmen von Vertretern zustande kommen, die nicht besonders fest auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung stehen. Sozialdemokratische Politik begriff sich immer als Verteidiger der Demokratie – naturgemäß auch auf der untersten Ebene, der Kommunalpolitik. Nur wie kann das bei den neuen Mehrheiten gelingen?

Nun lassen einige die Forderung verlauten, Beschlüsse und Anträge so zu schreiben, dass zum Beispiel alle außer der AfD ihnen zustimmen könnten. Dies entspräche einer nahezu sterilen Abgrenzungsstrategie. Neben der unmöglichen Herausforderung dieser politakrobatischen Aufgabe gerecht zu werden, hieße das bei Nichtgelingen, Anträge zurückzuziehen, sobald die AfD Zustimmung signalisiert. Denkt man dies weiter, würde ihren Vertreterinnen und Vertreter quasi ein Vetorecht zugebilligt. Jedwede signalisierte Zustimmung müsste dann eine Änderung des Antrages oder dessen Zurücknahme bedeuten. In den Augen vieler Bürgerinnen und Bürger würde man sich so der Lächerlichkeit preisgeben. Das kann nicht wirklich Ziel sein.

Kommunalparlamente sind keine Organe der Legislative, sondern Teil der Verwaltung, also der Exekutive. Die Kommunale Selbstverwaltung ist als Selbstverwaltungsgarantie in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 im Grundgesetz verankert. Auch der Begriff der Gebietskörperschaft drückt diese Selbstverwaltung der Kommune auf einem Gemeindegebiet ebenfalls sehr deutlich aus. Alle Körperschaften sind Organisationen der Selbstverwaltung. Die Organe der kommunalen Selbstverwaltung sind die Verwaltung, ihre kommunalen Unternehmen und die örtlichen kommunalen Parlamente. Sie regeln und entscheiden über örtliche Angelegenheiten. Gerade diese Tatsache macht den Umgang mit der AfD auf kommunaler Ebene so schwierig.

Brandmauer oder rote Linien?

Wir kommen um die Aufgabe nicht herum, dass wir uns für die nächsten fünf Jahre Gedanken machen müssen, wie eine Brandmauer auf kommunaler Ebene zu deuten und anzuwenden ist. Soviel vorab: Anstelle der Brandmauer werden wir eher rote Linien definieren müssen. Gleichermaßen ist festzuhalten, dass die Formen der Zusammenarbeit durchaus zwischen Schwarz und Weiß liegen. Daher müssen wir uns über die Arten der Kooperation klarwerden und diese in die Bereiche einer aktiven und passiven Zusammenarbeit unterteilen.

  1. Die aktive Zusammenarbeit beginnt mit der Feststellung, dass für eine Kandidatin oder einen Antrag Mehrheiten gefunden werden müssen. Eine absichtliche Kontaktaufnahme, um diese zu erlangen ist der Beginn einer aktiven Zusammenarbeit. Gemeinsame Absprachen zu Kandidaten oder ein gemeinsames Einbringen von Anträgen auch mit Vertretern von unter Beobachtung stehenden Parteien ist daher mit dem Bestreben eine Brandmauer aufrecht zu erhalten nicht zu vereinbaren. Die Abgrenzung hier ist klar: Rote Linie.
     
  2. Bei der passiven Zusammenarbeit beginnen die feineren Graustufen. Gelebte Kommunalpolitik zeichnet ursprünglich aus, dass sich mit jedem neuen Tagesordnungspunkt die Mehrheiten verschieben können. Aus erbitterten Gegnern werden nur wenige Minuten später wieder strategische Partner. Statt harter Gegenrede wird mit dem neuen Diskussionspunkt plötzlich ins selbe Horn gestoßen. Im Bundestag oder den Landtagen wäre dies in den Augen vieler Parteistrategen ein wahrgewordener Albtraum – in den Kommunen ist es gelebte Praxis.
  • Wird nun ein Antrag eingebracht, der wohlwissend nur von der AfD Zustimmung und gegebenenfalls damit eine Mehrheit erhielte, sollte davon abgesehen werden. Dabei ist auch einfließen zu lassen, welche Bedeutung und in der Konsequenz Öffentlichkeitswirksamkeit die betreffende Thematik hat. Ist Verkehrsspiegel Nummer 72 nur mit Stimmen der AfD beschlossen worden, sollte sich die Strahlweite in Grenzen halten. Besondere Bedeutung kann dies aber erlangen, soweit es um originäre „rechte“ Themen geht (z. B. Migration). Anders als bei klassischen kommunalen Themen wie z.B. kommunale Infrastruktur, Kita, Sport ist hier besondere Achtsamkeit geboten. Es wäre dramatisch, wenn zum Beispiel die Einführung der Bezahlkarte nach AsylbLG nur mit den Stimmen der AfD zusammenkäme. Bei in der Vergangenheit heiß diskutierten Themen mit nicht immer klaren Mehrheiten – wir alle kennen aus unserer Praxis Beispiele – sollten demokratische Parteien eine gemeinsame Position finden. Hier nur mit Stimmen der AfD – auch ohne vorher gesuchte Absprache – durchzukommen, wäre eine rote Linie, was die passive Zusammenarbeit betrifft.
  • In der Regel sieht man das jeweilige Abstimmungsverhalten erst am Ende einer Debatte. Findet ein Beschluss auch von weiteren Mitgliedern des Gremiums Zustimmung und die Stimmen der AfD fließen mit denen vieler anderer Fraktionen oder Gruppierungen aus dem demokratischen Spektrum letztlich mit ein, muss man den Vorgang wohl pragmatisch betrachten, selbst wenn die Stimmen entscheidend waren. Das mag einigen bitter aufstoßen. Doch ist anzuerkennen, dass die Mehrheiten nun mal so sind wie sie sind. Trotz zersplitterter Verhältnisse in den kommunalen Gremien muss eine Arbeits- aber auch Gestaltungsfähigkeit erhalten bleiben. Anderenfalls läge es in den falschen Händen, gute und sinnvolle Vorhaben scheitern zu lassen, indem eine „taktische“ Zustimmung vor der Abstimmung signalisiert wird.
  • Das passive gemeinsame Abstimmen sollte alsdann unterbleiben, wenn absehbar ist, dass lediglich demokratiefeindliche Parteien Zustimmung signalisieren und der Antrag sogar keine Aussicht auf Erfolg hat: rote Linie.
  • Wird ein Antrag mit mehreren Fraktionen etablierter, demokratischer Parteien und Gruppierungen eingebracht, ist Unbedenklichkeit anzunehmen.
  • Wie verhält es sich dann mit Anträgen, die von der AfD kommen? Grundsätzlich: rote Linie! Unter welchen Bedingungen kann oder sollte sogar solchen Anträgen zugestimmt werden? Bei politischen Themen, die einer sozialdemokratischen Kommunalpolitik nicht im Kern widersprechen, empfiehlt sich die Enthaltung.
  • In der Kommunalpolitik geht es aber nicht nur um Bauvorhaben oder Haushaltssatzungen, sondern auch um die schlichte Benennung von Mitgliedern in Ausschüsse – beispielsweise für sachkundige Einwohner. Hier sollte ebenso eine Abstufung vorgenommen werden: In Zeiten der sozialen Medien dokumentieren sehr viele inzwischen ihren Alltag aber auch ganz unverhohlen ihre demokratiefeindliche Gesinnung. Nun kann nicht von jedem vorgeschlagenen sachkundigen Einwohner ein Psychogramm angefertigt werden. Aber es lässt sich schon in einer Kurzrecherche zumindest in Erfahrung bringen, ob die aufgestellte Person eine bestimmte Gesinnung im Netz verbreitet und damit dokumentiert hat. Ist die vorgeschlagene Person also öffentlich durch verfassungsfeindliche Handlungen oder Äußerungen aufgefallen, sollte dies klar benannt und belegt werden. Übrigens ist dies Gelegenheit, um auf bestimmte Personenkreise in der AfD hinzuweisen und klar zu machen, dass diese aus gutem Grund nicht in den Informationskreis derer gelassen werden sollten, die sich besonders in nicht-öffentlichen Sitzung um sehr vertrauliche Dinge kümmern müssen. Es ist kein Geheimnis: In dieser Partei gibt es Menschen, die diesen, unseren Staat ablehnen und ihn lieber heute als morgen abschaffen wollen. Meist äußern sie dies auch in entsprechenden Medien. Eine generelle Verweigerung zur Zustimmung von Ausschussmitgliedern der AfD jedoch würde aber deren Opfer-Mythos stärken und damit das ursprüngliche Bestreben nur konterkarieren. Diese strenge Auslegung führt in der breiten Bevölkerung zu Unverständnis, was wiederum in den aktuellen Wahlergebnissen und Prognosen Ausdruck findet.

Politik als Kunst des Möglichen

Einigen Mitgliedern rechter Parteien ist zweifelsohne zu attestieren, dass sie den Nationalsozialismus relativieren oder gar wiederaufleben lassen wollen. Jene in Ämter zu bringen oder direkt wie indirekt zu unterstützen, kann ein böses Erwachen zur Folge haben. Doch Sozialdemokratie zeichnet sich immer durch abwägendes Handeln mit Augenmaß aus. Dies muss auch hier bedacht werden. Politik ist die Kunst des Möglichen. Während ehrenamtliche Kommunalpolitiker sich noch neben dem Beruf und familiären Herausforderungen um diese Dinge Gedanken machen müssen, stellt sich auch für Hauptverwaltungsbeamte die Frage, welcher Umgang der richtige ist. Das Besinnen auf eine neutrale Funktion, die die Rolle eines Vermittlers und gesetzestreuen Verwaltungsleiters zum Kern hat, ist bei zersplitterten Verhältnissen ohnehin angeraten. Nun spielt das eigene Parteibuch natürlich eine Rolle, ist aber demokratischen und rechtstaatlichen Grundsätzen unterzuordnen.

Rechte Parteien zehren sich aus der Erzählung, benachteiligt, ausgegrenzt und in ihren Rechten beschnitten worden zu sein. In Bereichen, die demokratische Grundsätze berühren und infrage stellen, muss durch einen Bürgermeister Abgrenzung deutlich gemacht werden. Im Normalbetrieb hat aber eine Einbeziehung wie mit allen anderen Mandatsträgern zu erfolgen. Anderenfalls wird Verwaltungshandeln angreifbar – und dann siegen ausgerechnet jene vor Gericht, die sonst die freiheitliche Grundordnung und Rechtsstaatlichkeit in Abrede stellen.

Die Brandmauer auf kommunaler Ebene muss anders angewandt werden. Kommunalpolitik kennt weder Regierungen noch Koalitionen. Kommunalpolitik lebt von stetig wechselnden Mehrheiten. Ihre zumeist ehrenamtlichen Vertreter sind gemeinsam mit dem oder der Hauptverwaltungsbeamtin Hüter von Recht und Verfassung. Verfassungsfeindliche Tendenzen sind klar zu bekämpfen und jene zu benennen, die nicht auf dem Boden unserer demokratischen Grundordnung stehen.

Ein wohlüberlegter Umgang unter Beachtung der hier aufgezeigten roten Linien ist für die nächsten Jahre ein probates Mittel, um kommunale Gremien unter Anbetracht der neuen Mehrheitsverhältnisse handlungs- und gestaltungsfähig zu erhalten.

 

Der Text erscheint mit freundlicher Genehmigung der SGK Brandenburg. Eine PDF-Fassung kann hier heruntergeladen werden

Autor*in
Maximilian Wonke

Bürgermeister der Gemeinde Panketal und Mitglied im Vorstand der SGK Brandenburg

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