Perspektiven

„Wir brauchen einen funktionierenden Staat und eine funktionierende Stadt”

Wie geht es den Städte und Gemeinden und was können sie von der Bundestagswahl im nächsten Jahr erwarten? Darüber sprach der kommunalpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Bernhard Daldrup auf dem DEMO-Kommunalkongress 2024. Wir dokumentieren die Rede im Wortlaut.

von Bernhard Daldrup · 12. Dezember 2024
Bernhard Daldrup am Rednerpult

Bernhard Daldrup, kommunalpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, während seiner Rede auf dem DEMO-Kommunalkongress 2024

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Gäste, liebe Freundinnen und Freunde guter Kommunalpolitik.

Als Erstes: Herzlichen Glückwunsch in die Demokratische Gemeinde zum 75-jährigen Bestehen der DEMO. Auch im Namen der SPD-Bundestagsfraktion. Stellvertretend dem Herausgeber Thorsten Kornblum, Karin Nink, Carl-Friedrich Höck und vielen anderen im Team. Danke, dass ihr die Stimme guter Kommunalpolitik durch eure Arbeit sichert und unterstützt. Ich hoffe, dass den Kommunalen und der SPD bewusst ist, dass wir diese Stimme auch in Zukunft brauchen.

Auch das muss sicher bleiben: gute Kommunalpolitik und sozialdemokratische Politik, das sind auf der Grundlage unserer Grundwerte zwei Seiten einer Medaille. Wir wissen, dass starke Kommunen die Grundlage für ein starkes Land und eine stabile Demokratie sind und kommunale Selbstverwaltung die Freiheit bedeutet, sich um die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zu kümmern – und dass sind nicht nur örtliche ANgelegenheiten. Das ist auch ein maßgebliches Prinzip unserer Arbeit auf jeder politischen Ebene.

Wieder einmal stehen wir vor entscheidenden Wahlen im Bund, und ich bin mir ziemlich sicher, dass viele wichtige Entscheidungen, der von Bundeskanzler Olaf Scholz geführten Ampel, im Rückblick ebenso positiv betrachtet werden, wie die anderer sozialdemokratisch geführten Bundesregierungen von Willy Brandt über Helmut Schmidt bis Gerhard Schröder. Gut wäre es, wenn wir daran auch heute denken und das auch vermitteln; und nicht erst im Nachhinein!

„Das Modell Merz”

Wir sind uns, glaube ich, einig, dass Olaf Scholz richtig gehandelt hat, den Bundesfinanzminister aus der Regierung zu entlassen, weil sein Wirtschaftspapier eine Kampfansage war, auch und insbesondere gegen die Kommunen. Wirtschaftliche Impulse gegen sozialen Zusammenhalt zu stellen ist brandgefährlich. Das ist übrigen das Modell Merz. Olaf Scholz ist für sein Handeln in der Fraktion mit stehenden Ovationen gefeiert worden. Und das, wie ich meine, zu Recht.

Den Nachweis haben dann Die Zeit und die Süddeutsche Zeitung mit der Dokumentation der FDP-Szenarien geliefert, in denen es keineswegs um die Regierung oder gar um Deutschland ging, sondern einzig und allein um den Nutzen von Christian Lindner und der FDP. Solche Szenarien mögen den ein oder anderen nicht erschrecken, was aber einen Tiefpunkt der politischen Kultur in Deutschland kennzeichnet, ist das maßgebliche Szenario mit dem historisch belegten Begriff des D–Days zu überschreiben. Den Austritt aus der Koalition mit der Ankunft der Alliierten in der Normandie zu vergleichen, um den zweiten Weltkrieg zu beenden und Deutschland vom Faschismus zu befreien, ist unentschuldbar.  

Wenn wir auf die Ergebnisse unserer Regierungsarbeit blicken, gehört meines Erachtens an die erste Stelle, dass wir durch Pandemie und den heraufziehenden Krieg, die Energiewende und die Klimakrise, Inflation und weitere wirtschaftliche Veränderungen ziemlich gut geführt worden sind. Das ist alles andere als selbstverständlich. Und ich bin sehr froh, dass dies unter der Führung von Olaf Scholz geschehen ist und der Einfluss von Menschen wie Strack-Zimmermann oder Anton Hofreiter – um zwei Exponaten zu nennen –, sich in Grenzen gehalten hat. Robert Habeck reiht sich mit seiner Forderung der Lieferung von TAURUS ebenfalls in diese Reihe ein.

Treffen in Berlin

Kommunalpolitiker*innen aus der gesamten Bundesrepublik waren am 21. und 22. November 2024 zum DEMO-Kommunalkongress nach Berlin gekommen, um mit Fachleuten und Bundespolitiker*innen über kommunale Themen zu sprechen.

Daldrup mit Zuhörern

Die Liste der Hilfen für die Kommunen begann mit der Übernahme der Ausfälle der Gewerbesteuer mit rund 11 Milliarden Euro und setzt sich weiter fort, ein paar Beispiele will ich benennen: Wir danken allen Kommunen sehr, allen Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern für die Aufnahmebereitschaft, wenn es um geflüchtete Menschen geht. Ich glaube aber auch, dass der Bund größte Anstrengungen unternommen hat, mit jährlich etwa 15 Milliarden Euro diese wichtige Arbeit zu unterstützen. Es ist ein Erfolg der Kommunalen, das der Bund ab 2024 7.500 Euro pro Antragsteller in einem atmenden System finanziert. Die Flüchtlingspauschale von einer Milliarde Euro überwiesen, die Integrationskurse unterstützt und die Kriegsflüchtlinge ins SGB II übernommen hat, um die finanziellen Belastungen der Kommunen zu verringern. Ich wünschte mir manchmal bei den Ländern wie NRW eine solche Offenheit.

„Flucht und Vertreibung bleiben kommunales Thema”

Wir wissen aber auch, dass sich die Stimmung im Land trotz der immensen Anstrengungen verändert, und umso dankbarer sind wir auf der Bundesebene den Kommunalen, in welcher Intensität sie sich um Aufnahme und Integration Geflüchteter kümmern. Wir danken den vielen Ehrenamtlich Tätigen und der Zivilgesellschaft. Es gibt ein anderes Gesicht als das des rechten Mobs in unseren Kommunen! Und dennoch wissen wir, dass es auch hier Grenzen der Belastbarkeit gibt. Und wir in der Zukunft mehr Klarheit und Finanzierung bei der Daueraufgabe zur Integration von Geflüchteten werden entwickeln müssen. Flucht und Vertreibung sind und bleiben auch ein kommunales Thema. Dies sollte aber streng vom Thema der benötigten Fachkräftezuwanderung getrennt werden.

Diese Aufgabe gelingt auch dann umso besser, je mehr die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land merken, dass die Zukunftsaufgaben unserer Gesellschaft in den Städten und Gemeinden auch bearbeitet werden können. Und ich will euch einige Beispiele aus den Bereichen Bildung, Infrastruktur und Klima benennen, bei denen der Bund und die SPD geholfen hat. Mit dem Qualitätsgesetz für Kindertagesstätten (vier Milliarden Euro), dem Investitionsprogramm Ganztagsausbau, dem Digital-Pakt-Schule und nicht zuletzt mit dem Start-Chancen-Programm unterstützen wir die Bildungsgerechtigkeit und Zukunftsfähigkeit unseres Bildungssystems in den Kommunen mit Milliarden Beträgen. Wir haben und wir werden es nicht zulassen, dass die Bildungs-Infrastruktur in den Städten und Gemeinden zu Lasten anderer vermeintliche Zukunftsaufgaben gestrichen oder gekürzt werden, auch wenn wir die rechtliche Zuständigkeit nicht in erster Linie beim Bund sehen.

Angesichts eines Investitions-Rückstandes von 180 Milliarden Euro bei den Kommunen in Deutschland brauchen wir deutlich mehr und stärkere Investitionen. Wenn es um unsere Wirtschaft geht, um Transformation und Zukunft, dann gehört die Zukunft der Kommunen mit in die Debatte um die Reform der Schuldenbremse. Unklarheit gibt es nicht bei uns, sondern der Union! Deshalb weise ich auch darauf hin, dass sich die SPD bei dem Thema nicht wegduckt: Seit vielen Jahren befindet sich die Städtebauförderung mit 790 Millionen Euro im Jahr auf einem Höchststand. Zu diesen Mitteln kommen die Maßnahmen zur Stärkung der Innenstädte (250 Millionen Euro) oder auch die nationalen Projekte des Städtebaus, die wir seit vielen Jahren unterstützen. Wir finanzieren zusätzliche Programme zur Sanierung von Schulen, Schwimmbädern, Kultureinrichtungen, die eigentlich von den Ländern finanziert werden müssten. Und ich will in diesem Zusammenhang auch selbstverständlich das Deutschland-Ticket, dass auch in der Zukunft finanziert werden muss und wohl auch nur dann finanziert wird, wenn die SPD in Regierungsverantwortung bleibt, nennen.

„Tanker Wohnungsbau in neue Richtung gebracht”

Foto: Dirk Bleicker
Foto: Dirk Bleicker

Wir haben uns seinerzeit sehr stark für ein neues Bauministerium eingesetzt und die mutige Zielsetzung für 400.000 Wohnungen im Jahr abgegeben. Viele messen uns jetzt an dieser Zielmarke und der Bedarf ist sicherlich auch vorhanden. Ich will aber auch darauf hinweisen, dass wir in den letzten drei Jahren fast jährlich 300.000 Wohnungen gebaut haben, gegenwärtig 390.000 Wohnungen im Bau sind und immer noch über 800.000 so genannter „Bau-Überhänge“ existieren. Beim Thema Bauen und Wohnen ist es unsere Zielsetzung zu mehr bezahlbaren Wohnen zu kommen, daher fördern wir Genossenschaften, Familien, Azubi-Wohnen etc. mit vielen Programmen, die auch angenommen werden. 

Wir haben den großen Tanker „Wohnungsbau“ in eine neue Richtung gebracht und mit weitem Abstand den sozialen Wohnungsbau an die Spitze gestellt. Und das mit Erfolg: Denn bereits im letzten Jahr ist die Zahl der neu geförderten Wohneinheiten auf fast 50.000 angewachsen. Immer noch zu wenig, ich weiß, aber ohne die SPD würde die Talfahrt des sozialen Wohnungsbaus ungebremst weitergehen. Die angestrebte Verlängerung der Mietpreisbremse und weiterer Schutz von Mietern war mit der FDP leider nicht möglich, dafür setzten wir uns nun umso stärker dafür ein!

Den letzten Punkt, den ich in der Bilanz benennen will, betrifft ein Thema, dass vor keiner Ebene im föderalen System Halt macht; nämlich den Klimawandel. Mit dem Gesetz zur kommunalen Wärmeplanung haben wir die richtige Reihenfolge gesetzt, um den Gebäudesektor insgesamt emissionsärmer und im besten Fall bis 2045 klimaneutral zu machen. Weg vom missionarischen grünen Weg hin zu einer CO²-Bilanz-Reduktion samt Lebenszyklusbetrachtung. Wir stellen nicht nur für den Neubau, sondern auch für die Sanierung des Bestandes erhebliche Mittel zur Verfügung, allein über 18 Milliarden Euro sind für die Sanierung im KTF vorhanden. Und auch unsere Städte müssen unterstützt werden, wenn es um die Folgen des Klimawandels geht. Mit einem Sonderprogramm von 330 Millionen Euro fördern wir Klimaanpassungsmaßnahmen, das Programm ist wahrscheinlich vielen bekannt, weil es unzählige Maßnahmen kleine und große unterstützt.

Darüber hinaus gilt es die Beteilung der Kommunen an der Gewerbesteuer zu verbessern und die Gewerbesteuerumlage angegangen werden. Mit diesen Mitteln kann dann mehr in Schwimmbäder oder Bushaltestellen vor Ort investiert werden.

Fünf Punkte für den Wahlkampf

Liebe Genossinnen und Genossen, in wenigen Wochen werden wir mit der Bundestagswahl auch ein Stück weit über die Handlungs- und Lebensqualität der Menschen in den Städten und Gemeinden entscheiden. Deshalb will ich zum Abschluss fünf Punkte benennen, die wir im Wahlkampf ansprechen könnten:

Erstens, wir brauchen einen funktionierenden Staat und eine funktionierende Stadt. D.h. die Infrastruktur muss in Ordnung sein, und sie muss auch funktionieren. Das wird nur gelingen durch ein massives Investitionsprogramm, das nicht nur den Investitionsstau beseitigt, sondern eine klimagerechte Infrastruktur ermöglicht. Den Laden am Laufen zu halten ohne Reform der Schuldenbremse, ohne Altschuldenlösung ist dabei schier unmöglich!

Zweitens, wir brauchen die lebenswerte Stadt mit bezahlbaren Wohnungen, einer familienfreundlichen Infrastruktur, einer Patientenorientierten Gesundheitsversorgung vor Ort, guter Mobilität, moderner Digitalisierung und klimagerechter Infrastruktur. Zukunfts- und nicht rückwärtsorientiert ist unsere Stadt der Zukunft und dies mit Hilfe von Bund und Ländern.

Drittens wir brauchen die handlungsfähige Stadt, damit kommunale Selbstverwaltung auch ermöglicht Entscheidungen zu treffen. Und dies gelingt nur mit einer Finanzreform, die nicht nur das Altschulden-Problem regelt, sondern neue dezentrale Handlungsmöglichkeiten, beispielsweise durch Regionalbudgets eröffnet.

Viertens wir brauchen wieder eine Kultur des Vertrauens der staatlichen Ebenen, wenn Bürokratieabbau gelingen soll. Mit Mut zur Einfachheit und Bereitschaft zur Dezentralität von Entscheidungen.

Fünftens wir brauchen die demokratische Stadt, die Stadt, der Teilnahme und Teilhabe von Parteien, gesellschaftlichen Gruppen und Zivilgesellschaft, die wir nicht den Rechten und Faschisten überlassen dürfen. Weil die zukunftsfähige lebenswerte Stadt immer auch eine demokratische und soziale Stadt von Vielfalt und Toleranz sein muss. Dafür zu kämpfen, sich einzusetzen muss uns alle motivieren!

 

Das Skript wurde uns nach dem Kongress von Bernhard Daldrup zur Verfügung gestellt. Aufgrund vieler positiver Reaktionen auf seine Rede hat sich die DEMO-Redaktion entschieden, es an dieser Stelle öffentlich zu dokumentieren.

 

Bildergalerie zum DEMO-Kommunalkongress:

Autor*in
Porträtfoto Bernhard Daldrup
Bernhard Daldrup

ist Mitglied des Deutschen Bundestages und ist Sprecher der AG Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen der SPD-Bundestagsfraktion. Er außerdem seit 2003 Landesgeschäftsführer der Sozialdemokratischen Gemeinschaft für Kommunalpolitik in NRW (SGK) mit Sitz in Düsseldorf.

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