„Die Kohlereviere sind Hotspots des Wandels”

Dr. Anika Noack und Dr. Andreas Otto leiten Abteilungen im neuen „Kompetenz­zentrum Regionalentwicklung” in Cottbus. Im Interview erklären sie, wie der Strukturwandel in von Braunkohle geprägten Kommunen gemeistert werden kann.
von Carl-Friedrich Höck · 8. November 2022
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Wozu wurde das „Kompetenz­zentrum Regionalentwicklung“ in Cottbus gegründet?

Dr. Anika Noack: Im August 2020 ist das „Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen“ in Kraft getreten. Damit hat sich der Bund verpflichtet, sowohl Finanzhilfen zur Verbesserung der Infrastruktur bereitzustellen als auch die Ansiedelung von bundeseigenen Einrichtungen und Behörden in den Kohlerevieren zu fördern. Damit will er regionale Beschäftigungs- und Arbeitsmarkteffekte auslösen. Eine dieser Maßnahmen sind wir, das Kompetenzzentrum Regionalentwicklung. Wir gehören zum Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) und sind seit Januar 2022 in Cottbus, im Herzen der Lausitz, präsent.

Was sind die Arbeitsschwerpunkte?

Dr. Noack: Wir haben derzeit rund 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die aus einem interdisziplinären Feld kommen – Stadt- und Regionalplanung, Geografie, Soziologie, Kulturwissenschaften, Politikwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften. Von diesem breiten Spektrum aus schauen wir auf den Transformations­prozess in den drei deutschen Braunkohle­revieren – der Lausitz, dem Mitteldeutschen und dem Rheinischen Revier. Wir blicken auch zu unseren europäischen Nachbarn in Polen, Tschechien oder Frankreich, um von erfolgreichen Strukturwandel-Prozessen zu lernen, die dort schon gelaufen sind. Und wir wollen darstellen, inwiefern unsere Reviere Modellcharakter für andere Länder haben können. Bis Ende 2023 werden im Kompetenzzentrum Regionalentwicklung insgesamt 56 Beschäftigte ihre Tätigkeit aufnehmen.

Wir sind auf der einen Seite eine Ressortforschungseinrichtung des Bundes­ministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB), wir forschen also im Auftrag des Ministeriums und beraten die Bundesregierung. Auf der anderen Seite leisten wir ganz konkrete Hands-on-Begleitung für die Kommunen, für regionale Akteure und für die Landkreise. Wir vernetzen uns mit ihnen und ermöglichen wechselseitiges Lernen. Leitend ist für uns das Prinzip, dass wir nicht über die Menschen in den Revieren, sondern mit ihnen über die Perspektiven ihrer Region sprechen.

Vor welchen Aufgaben stehen die drei deutschen Braunkohlereviere?

Dr. Andreas Otto: Die deutschen Kohlereviere stehen vor großen Herausforderungen. Sie waren die Zentren der konventionellen Energieerzeugung in Deutschland und sind von der Braunkohleindustrie geprägt. Die Energiewende findet zwar nicht nur hier statt, aber es handelt sich um Hotspots des Wandels. Die Reviere haben die Chance, sich nachhaltig weiterzuentwickeln: von altindustriellen Regionen hin zu attraktiven und zukunftsfähigen Lebensräumen. Ob das gelingt, hängt auch davon ab, ob die Akteure vor Ort in den Prozess gut eingebunden werden. Damit meine ich die Kommunen, die Unternehmen und auch die Bevölkerung. Sie müssen den Strukturwandel als Aufbruch begreifen.

Was spricht dafür, dass das gelingt?

Dr. Otto: In diese Reviere fließen viele Fördermittel. Die Industrie und andere Branchen verändern sich bereits. Schon jetzt ist die Anzahl der Jobs in der Kohlewirtschaft oder auch in den begleitenden Gewerbezweigen in den drei Revieren relativ gering. Auch für die Wertschöpfung spielt die Braunkohle gar nicht mehr so eine große Rolle. In einzelnen Kommunen ist das anders, dort hat der Sektor noch immer eine große Bedeutung. Aber wenn man die Regionen als Ganzes betrachtet, droht keine Massenarbeitslosigkeit oder ein Strukturbruch, wie man ihn in Ostdeutschland Anfang der 1990er Jahre erlebt hat. Der Bund und die Länder haben den Strukturwandel-Prozess langfristig angelegt und nicht erst gewartet, bis die Industrien weg sind, um dann mit Maßnahmen zu reagieren. Daher gibt es eine Vielzahl an Maßnahmen, die neue Perspektiven für die Region schaffen. Beispiele sind die Entwicklung des „Lausitz Science Parks“ in Cottbus, in Sachsen werden zwei Großforschungszentren vorbereitet und im Rheinischen Revier soll eine Internationale Bau- und Technologieausstellung kommen, die den Strukturwandel unterstützen wird.

Sie sagen, die Bevölkerung muss ­involviert werden. Wie lässt sich das organisieren?

Dr. Noack: Dafür gibt es kein Patent­rezept. Als Kompetenzzentrum versuchen wir, ­jene mit ins Boot zu holen, die dem Strukturwandel mit großer Skepsis begegnen. Dazu arbeiten wir auch mit populärwissenschaftlichen Veranstaltungen. Wir wollen prominente Botschafterinnen und Botschafter finden, die mit möglichst verständlichen Worten deutlich machen können, warum es kein politisches Hirngespinst ist, aus der Kohle auszusteigen, sondern eine Notwendigkeit. Und die aufzeigen, welche Chancen mit dem Transformationsprozess verbunden sind.

Dr. Otto: Eine andere Maßnahme ist ein Ideenwettbewerb, den das Bundesbauministerium ausgelobt hat. Er heißt „Mitmachen, gemeinsam machen: Wir gestalten den Strukturwandel in unseren Regionen“. Der Wettbewerb zielt darauf ab, auf der lokalen Ebene kreative und innovative Ideen zu würdigen und ihre Umsetzung zu begleiten. Wir wollen bewusst auch „Graswurzel-Ideen“ von kleineren Kommunen, Verbänden und Vereinen unterstützen, die in der Diskussion zum Strukturwandel-Prozess vielleicht noch nicht so zum Zuge gekommen sind.

Sie haben die Fördermittel erwähnt. Welche sind das und was bewirken sie?

Dr. Noack: Damit die Kohleregionen zu Zukunftsregionen werden, will der Bund bis zum Jahr 2038 bis zu 40 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Damit unternimmt er große Projekte in eigener Verantwortung, etwa Schienen- und Straßenverkehrsvorhaben. Es gibt das Strukturwandel-Förderprogramm STARK. Und die betroffenen Länder – also Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen – erhalten bis zu 14 Milliarden Euro, um eigenen Vorhaben zu fördern. Jenseits der 40 Milliarden gibt es noch weitere große Förderprogramme des Bundes, von denen auch ein Teil in die Braunkohlereviere fließt. Zwei Beispiele: Es gibt das Programm „Region gestalten“, mit dem ländliche Räume gestärkt werden. Das Programm „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“ soll verhindern helfen, dass Ortszentren veröden. In ­beiden Programmen werden auch ­Projekte in den Braunkohlerevieren gefördert. Als Kompetenzzentrum unterstützen wir die Akteure und Kommunen, die sich im Verfahren durchsetzen ­konnten, bei der Umsetzung ihrer Projekte – fachlich und administrativ.

Ein anderer Aspekt ist die Ansiedelung von Behörden und Einrichtungen des Bundes: Insgesamt sollen bis Ende 2028 bis zu 5.000 Arbeitsplätze in den Revieren entstehen. Gut die Hälfte dieser Arbeitsplätze wurde schon besetzt. Das kann ökonomische Nachfrage-Effekte auslösen. Das gelingt aber nur, wenn die Menschen auch dort hinziehen, wo die neuen Arbeitsplätze sind, und nicht nur dorthin pendeln. Unser Kompetenzzentrum in Cottbus ist ein gutes Beispiel, weil viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entweder aus anderen Gebieten Deutschlands zurückgekehrt sind oder aufgrund unseres vielfältigen Arbeitsspektrums Lust bekommen haben, sich in der Lausitz niederzulassen. Dazu braucht es mehrere Faktoren: Nicht nur eine gut bezahlte Arbeit, sondern auch Beschäftigungsmöglichkeiten für die Partnerin oder den Partner, eine gute Schulqualität, schnelles Internet, damit man mobil arbeiten kann, und vor allem auch Wohnflächen. Und hier bietet gerade die Lausitz noch große Flächenreserven, was eine Behörden­ansiedlung zum Erfolg werden lässt.

Welche Spielräume und Instrumente haben die Kommunen, um den Strukturwandel in ihrer Region selbst aktiv zu steuern?

Dr. Otto: Das lässt sich nicht pauschal beantworten, jede Kommune hat eine andere Ausgangssituation. Gerade für kleinere Kommunen liegt in der interkommunalen Kooperation eine Chance, im Strukturwandelprozess eine stärkere Stimme zu bekommen und von der Entwicklung zu profitieren. Im Kompetenzzentrum entwickeln wir gerade einen Raumpaten-Ansatz. Das heißt: Mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern suchen wir den Kontakt zu Kommunen und interkommunalen Verbünden, die nicht die eigene Kraft haben, Strukturwandel-Managerinnen und -Manager einzustellen. Gemeinsam mit den ­Akteuren vor Ort wollen wir schauen: Was sind die ­Herausforderungen, was sind die Bedarfe im Prozess, wie können wir da unterstützen und auf die Fördermöglichkeiten des Bundes ­aufmerksam machen?

Wo sehen Sie die Grenzen des ­Strukturwandels? Ist es eine Illusion, jeden Arbeitsplatz in jeder Region retten oder ersetzen zu wollen?

Dr. Noack: Natürlich ist es sehr wichtig, gut bezahlte Arbeitsplätze in den Revieren zu schaffen. Allein 5.000 Arbeitsplätze werden in den neuen Behörden des Bundes entstehen, der „Lausitz Science Park“ plant mit mehreren Tausend Stellen, das neue Instandhaltungswerk der Deutschen Bahn in Cottbus schafft mehr als 1.000 neue Arbeitsplätze – und dort werden auch Versuche unternommen, die Beschäftigten der Braunkohle­industrie umzuschulen. Eine große ­Herausforderung wird es sein, Fachkräfte in die ­Reviere zu bringen.

Autor*in
Porträtfoto Mann mit Brille und dunkelblonden Haaren
Carl-Friedrich Höck

ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.

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