Ein Neustart für Schwedt
der Standort Schwedt ist Veränderung gewohnt“, sagt der SPD-Politiker Mike Bischoff. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Stadt zu 85 Prozent zerstört. Danach entstand eine sozialistische Reißbrett-Stadt. Nach dem Mauerfall schmolz die Zahl der Einwohner von 50.000 auf 30.000 zusammen, ganze Wohngebiete mussten abgerissen werden. Und nun steht die Stadt schon wieder vor einem gewaltigen Umbruch.
Schock und Chance
Das liegt an der PCK-Raffinerie, der größten Arbeitgeberin der Region. Hier wird Rohöl verarbeitet, das über die Druschba-Pipeline aus Westsibirien quer durch Europa fließt. Noch, muss man sagen. Denn als Reaktion auf Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine will Deutschland ab dem kommenden Jahr darauf verzichten, russisches Erdöl zu importieren. Für die Region war das ein Schock. Mike Bischoff sieht darin aber auch eine Chance, den Standort schneller von fossilem Rohöl unabhängig zu machen.
Bischoff ist Mitglied der SPD-Fraktion im Landtag, gehört aber auch der Stadtverordnetenversammlung in Schwedt und dem Kreistag Uckermark an. Als im Mai bekannt wurde, dass künftig kein russisches Öl mehr in die PCK-Raffinerie fließen werde, beteiligte der Sozialdemokrat sich an der Gründung des „Zukunftsbündnisses Schwedt“. Es fordert unter anderem Jobgarantien, einen modernen Industriepark und einen Transformationsfonds, der von Bund und Land finanziert werden müsse. Der Aufruf wurde von mehr als 10.000 Menschen unterschrieben und von der Stadtverordnetenversammlung unterstützt. Gewerkschaften, Unternehmerverbände und das Theater haben sich hinter den Forderungen versammelt. „Wir haben als Standort kommunal mit einer Stimme gesprochen“, fasst Bischoff zusammen.
Millionenschweres Zukunftspaket
Und die Stimme wurde gehört. Die Bundesregierung hat im September ein umfassendes „Zukunftspaket“ für die ostdeutschen Raffineriestandorte und Häfen angekündigt. Herzstück ist ein Sonderprogramm im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW): Zusammen mit den betroffenen Bundesländern will der Bund 750 Millionen Euro zur Verfügung stellen, verteilt auf 15 Jahre. Die Hälfte soll in die Uckermark fließen. Mit dem Geld sollen gewerbliche Investitionen von Unternehmen gefördert, die wirtschaftsnahe Infrastruktur verbessert und die Standortattraktivität gesteigert werden. Zusammen mit weiteren Förderprogrammen von Bund und Land stehen insgesamt sogar 825 Millionen Euro für den Landkreis Uckermark und den Umbau der PCK-Raffinerie zur Verfügung.
Doch was ist die Vision für Schwedt? „Wasserstoff“, sagt Mike Bischoff. Seit drei Jahren gebe es bereits Pläne, die Raffinerie umzurüsten. Die Voraussetzungen sind vorhanden: In Brandenburg gibt es viele Windräder, mit deren Energie ließe sich grüner Wasserstoff generieren, der wiederum beispielsweise zu synthetischem Kerosin weiterverarbeitet werden kann. Im nur 250 Kilometer entfernten Rostock soll ein „Energiehafen“ entstehen, ein Drehkreuz für Wasserstoff und andere grüne Energieträger aus der Ostsee. Doch bisher habe der russische Mineralölkonzern Rosneft – als größter Anteilseigener der PCK-Raffinerie – den Umbau nicht vorangetrieben, kritisiert Bischoff. Das dürfte sich nun ändern, denn Rosneft wurde unter die Treuhandverwaltung der Bundesnetzagentur gestellt.
Dies ist die langfristige Perspektive – kurzfristig braucht die Raffinerie Rohöl aus anderen Quellen. Der Bund will nun mit 400 Millionen Euro die Pipeline Rostock-Schwedt ertüchtigen, damit sie mehr Öl transportieren kann. Zusätzlich verhandelt die Bundesregierung mit Polen und Kasachstan über Öllieferungen.
Wirtschaft soll sich breiter aufstellen
„Die Uckermark ist nicht allein nur PCK“, merkt Bischoff an. Mit der Firma Leipa sei Schwedt der größte Papierstandort Deutschlands. Und auf dem PCK-Gelände gebe es nachhaltig wirtschaftende Unternehmen wie Verbio, das Biodiesel und Biogas produziert. Damit sich die Region wirtschaftlich breiter aufstellt, soll ein Startup-Labor entstehen. Auch hierfür gibt der Bund Geld. Schwerpunkte der Arbeit sollen alternative Energien sein, aber auch innovative und soziale Dienstleistungen im ländlichen Raum.
All das verlangt der Kommune viel Arbeit ab. Die Stadt müsse enorme Industrieflächen auf dem PCK-Gelände für weitere Ansiedlungen vorbereiten, erklärt Bischoff. Sie zu erschließen, funktioniere nur im Bündnis mit dem Landkreis und dem Land Brandenburg. Außerdem brauche man eine bessere Gleisanbindung zum Hafen in Schwedt und müsse die Anbindung an die Ostsee-Autobahn verbessern, zählt Bischoff auf.
Der Ostbeauftragte der Bundesregierung Carsten Schneider sagte kürzlich: „Ich wage sogar die Prognose, dass es in Schwedt in einigen Jahren deutlich mehr Arbeitsplätze als heute geben wird.“ Mike Bischoff meint: „Die Zukunft wird es zeigen. Wir tun alles dafür.”
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.