Neues Gas in alten Leitungen
„Wir brauchen wir keine Energie mehr vom Scheich und nennen sie Energie vom Deich.“ Reinhard Christiansen ist Vorsitzender des Landesverbands Erneuerbare Energien in Schleswig-Holstein und Geschäftsführer des Windparks Ellhöft an der dänischen Grenze. Dort entsteht mit dem „Grenzland Energieprojekt“ gerade eine komplett „grüne“ Wasserstoff-Wertschöpfungskette. Die Energieversorgung des Energieparks verzichtet gänzlich auf das öffentliche Versorgungsnetz. So lässt sich garantieren, dass der Wasserstoff wirklich zu 100 Prozent „grün“ ist.
Der Windpark als Tankstelle
Alles begann mit einem Bürgerwindpark. Seine sechs 1,3-Megawattanlagen ging im Jahr 2000 ans Netz. 20 Jahre später lief die garantierte Einspeisevergütung aus. Ab Januar 2021 schrumpften die Erlöse gen Null. „Ich habe den Gesellschaftern vorschlagen, dass wir den Strom selbst nutzen. Wir wandeln ihn mit einem Elektrolyseur in Wasserstoff um, bauen eine Wasserstofftankstelle und verkaufen ihn“, erzählt Christiansen.
Dem Vorschlag sind die Teilhaber gefolgt. Die Tankstelle liegt nicht weit von der dänischen Grenze an einem Autobahnzubringer. Christiansen: „Es gibt in der Umgebung Logistikunternehmen, die 2023 ihre ersten mit Wasserstoff betriebenen LKW geliefert bekommen. Die wollen grünen Wasserstoff tanken.“ Im März 2020 beschloss die Einwohnerversammlung von Ellhöft zudem mit großer Mehrheit, eine Bürger-Freiflächensolaranlage zu errichten und den Windpark zu erweitern. Langfristiges Ziel: Mit weiteren Elektrolyseuren grünen Wasserstoff in die Pipeline einzuspeisen, die die Stadtwerke Flensburg mit Gas versorgt.
Wasserstoff kann Speicherprobleme lösen
Speichertechnologien gehören zu den größten Herausforderungen der Energiewende, denn die Stromproduktion aus Wind und Sonne schwankt. Immer wieder werden Anlagen abgeschaltet, weil der Strom vom Netz nicht aufgenommen werden kann. Hier kommt der Wasserstoff ins Spiel. Wenn Wasser (H2O) mit Wind- und Sonnenstrom in Wasserstoff (H2) und Sauerstoff (O) umgewandelt wird, entsteht grüner Wasserstoff. Der lässt sich speichern und vielfältig nutzen. Mit ihm lassen sich Fahrzeuge betanken oder Heizanlagen betreiben. Zwar ist auch Wasserstoff, wenn er in die Atmosphäre entweicht, ein Klimagas. Eine britische Studie aus diesem Jahr hat jedoch gezeigt, dass selbst beim schlimmsten Leckage-Szenario von zehn Prozent die Klimabilanz von grünem Wasserstoff um Längen besser ist als die Nutzung fossiler Energieträger.
In Schopsdorf in Sachsen-Anhalt wird gerade in einem gemeinsamen Pilotprojekt mit dem Deutschen Verein des Gas- und Wasserfaches e.V. getestet, mit wieviel Beimischung von Wasserstoff sich Gasheizungen betreiben lassen. „Wir haben in der Region eine Grünstromquote von 200 Prozent und müssen deshalb viel Windstrom abriegeln“, sagt Angela Brandes von der Avacon Netz GmbH, dem dortigen Gasnetzbetreiber. Deshalb sei es perspektivisch volkswirtschaftlich sinnvoll, diesen Grünstrom zu speichern und nutzbar zu machen.
Dem Gas werden 20 Prozent Wasserstoff beigemischt
Die 15-Prozent-Beimischphase wurde im ersten Quartal 2022 erfolgreich erreicht. In einem vierwöchigen Testlauf wurde die Beimischung erfolgreich auf 20 Prozent erhöht. Zuvor war viel Überzeugungsarbeit notwendig, damit alle Haushalte, die an dem Gasstrang angeschlossen sind, mitmachen. In einem ersten Schritt wurden Handwerker, Schornsteinfeger, die politischen Gremien und die Ortsbürgermeister eingebunden, dann das Projekt auf Einwohnerversammlungen und Info-Abenden erklärt. 20 Prozent der Gaskunden waren auf diesem Weg nicht zu erreichen und wurden in persönlichen Gesprächen überzeugt, so Ex-Bürgermeister Frank von Holly.
Der Test hat gezeigt: Nur 6 der 352 Geräte, die von 30 verschiedenen Herstellern stammten, mussten getauscht werden. Diese Geräte waren überwiegend sehr alt und lange nicht gewartet worden. Sie wurden von den Geräteherstellern gesponsert. Den Einbau finanzierte Avacon.
Die geheimnisvolle Insel
Das Projekt in Sachsen-Anhalt hatte einen Vorläufer, wiederum in Nordfriesland. „Wir sind hier Fans von erneuerbaren Energien“, sagt Friedhelm Bahnsen. Er ist Bürgermeister von Klanxbüll, einer von Wiesen, Weiden und Windanlagen geprägten Landschaft. Im Rahmen eines dreijährigen Pilotversuchs hat der regionale Gasversorger, die Schleswig-Holstein Netz AG, dort erst 2 Prozent, dann, 4, 6, 8 und 10 Prozent Wasserstoff bei 176 Kunden eingespeist. Nur bei zwei Gräten kam es zu Störgeräuschen, die einfach zu beheben waren, so Sönke Nissen von der Schleswig-Holstein Netz AG.
In Hamburg Othmarschen testete der Energieversorger HanseWerk erfolgreich den Betreib eines Blockheizkraftwerkes mit bis zu 100 Prozent grünem Wasserstoff. „Wasser wird die Kohle der Zukunft sein“, schrieb Jules Verne 1874 in seinem Roman „Die Geheimnisvolle Insel“. Er könnte Recht gehabt haben.