Wie grüne Energie zum wirtschaftlichen Standortvorteil wird

Die Heide zieht Innovationen an: Die Reise in die fossilfreie Zukunft hat mitten in Schleswig-­Holstein begonnen. Mehrere Kommunen haben sich zusammengeschlossen, um das „Clean Energy Valley” zu gründen.
von Susanne Dohrn · 8. November 2022
placeholder

Einzeln hätten sie verloren, gemeinsam sind sie stark: eine Stadt, elf Gemeinden mit zusammen 37.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. 2013 haben sie sich auf den Weg gemacht und beschlossen, die Zukunft nach Dithmarschen zu holen. Die Dörfer des „Clean Energy Valley“ heißen Hemmingstedt, Lieth, Lohe-Rickelshof, Neuenkirchen, Norderwöhrden, Nordhastedt, Ostrohe, Stelle-Wittenwurth, Weddingstedt, Wesseln und Wöhrden. Sie liegen mitten in Schleswig-Holstein, und dort leben wenige Hundert bis wenige Tausend Bürgerinnen und Bürger. Wirtschaftliches Zentrum ist die Kreisstadt Heide.

Vorbild Silicon Valley

2012 unterzeichneten die zwölf Kommunen eine Kooperationsvereinbarung für die Region und gründeten eine Entwicklungsagentur als Agentur des öffentlichen Rechts, um mit Innovationen im Themenfeld Erneuerbare Energien – Produktion, Speicherung und Nutzung vor Ort – die Region wirtschaftlich zu profilieren. Sie ist der Motor des Erfolgs. „Inzwischen ist die Region Heide selbst im Silicon Valley ein Begriff“, sagt Dirk Burmeister. Er ist Vorstand der Entwicklungsagentur.

Unternehmen – ob kleine, mittelständische oder große Industrieunternehmen – wollen, dass eine Region sich einig ist, in welche Richtung sie sich entwickeln will. Sie wollen bei Ansiedlungen zeitraubende Abstimmungsprozesse vermeiden. Das ist Burmeisters Erfahrung. Darauf setzt die Entwicklungsagentur. Eng vernetzt mit den Bürgermeistern und der Kommunalpolitik kann sie Entscheidungen schnell vorantreiben.

Ein großes Batteriewerk entsteht hier

Seit ihrer Gründung vor neun Jahren hat die Entwicklungsagentur mehr als 100 Millionen Euro Fördergelder eingeworben. Größter Coup war bisher: Das schwedische Unternehmen Northvolt hat sich für die Region Heide als Standort seines Batteriewerks entschieden. Ab 2025 sollen dort eine Million Batterien für E-Autos pro Jahr mit „dem geringsten ökologischen Fußabdruck in Kontinentaleuropa“ gebaut werden. 3.000 Arbeitsplätze sollen entstehen.

Ausschlaggebend für die Entscheidung sei die Schnelligkeit gewesen, mit der die Region eine geeignete Fläche zur Verfügung stellen konnte, sowie die hohe Verfügbarkeit an echtem grünen Strom, so Northvolt-Chef Peter Carlsson.

Vorreiter für die Energiewende

Von Anfang an haben sich Heide und Umgebung als Energieregion profiliert. Ziel ist die Transformation zu 100 Prozent Erneuerbaren, zusammengefasst unter dem Akronym ENTREE100. Dazu gehört ein Stadtteil, der weitgehend mit regenerativer Wärme und Energie versorgt werden soll. Dazu gehört das Reallabor WESTKÜSTE100, in dem Windenergie genutzt werden soll, um in der Raffinerie Heide durch Elektrolyse grünen Wasserstoff zu erzeugen und diesen für die Herstellung von Kerosin und für die Chemische Industrie zu nutzen.

Der bei der Elektrolyse anfallender Sauerstoff ließe sich für Aquafarming nutzen, die Abwärme zum Heizen oder für „Vertical Farming“, bei dem Gemüse übereinander in Hochhäusern angebaut wird, schwärmt Burmeister.

Entwicklerinnen und Entwickler arbeiten an Programmen, mit denen sich die regenerativen Energien am effektivsten nutzen und verteilen lassen, und die Fachhochschule Westküste in Heide fokussiert sich auf Themen der Energiewende. Burmeister nennt das den ­„ENTREE100-Energiewendebaukasten“. Dieser soll möglichst alle Aspekte der Energiewende abdecken. Die Stadt ­Heide will damit zum bundesweiten ­Vorreiter bei der Energiewende werden.

Grüne Steckdose und günstiger Wohnraum

„Die Unternehmen, die sich hier ansiedeln haben den Anspruch, zu hundert Prozent grün zu sein.“ Größter Standortvorteil der Region Heide wird die sogenannte grüne Steckdose, ein großes Drehkreuz für Strom von den Off-Shore-Windparks in der Nordsee. Die Kompetenz aus den Projekten wird im ENTREE100-Businesspark gebündelt, in dem sich Unternehmen und die Entwicklungsagentur ansiedeln und sich austauschen können.

Wer eine Wohnung oder ein Haus sucht, findet das vor Ort noch ­relativ günstig. Eine gute ärztliche Versorgung ist vorhanden. Wer aus Skandinavien sein Tiny-Haus mitbringt, um beim ­Aufbau der Gigafactory tätig zu sein, ­bekommt dafür einen Stellplatz.

Die Profilierung als Energieregion macht sich in Heide und Umgebung schon jetzt positiv bemerkbar. Die Einwohnerzahlen steigen, Kindergärten und Schulen, die kurz vor der Schließung standen, bekommen eine Zukunft, die Sportvereine neue Mitglieder. Die Heider Innenstadt belebt sich wieder, Ingenieur-Büros und Agenturen siedeln sich an. Im Ökosystem der Region ­Heide, wie Burmeister es nennt, ist an alles ­gedacht.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare