Rezension

Auswege aus dem Kita-Chaos

Die Lage der deutschen Kindertageseinrichtungen ist katastrophal, meint Ilse Wehrmann. In ihrem neuen Buch analysiert die Expertin die Gründe und zeigt Lösungsansätze auf.
von Carl-Friedrich Höck · 12. Januar 2024

Ungewöhnlich an diesem Buch ist schon die Anzahl der der Vorworte. Gleich sechs Autor*innen aus Forschung, Politik und Verbänden leiten das neue Buch von Ilse Wehrmann mit eigenen Beiträgen ein. Das siebte Vorwort stammt von der Bundeselternvertretung BEVKi. Sie alle betonen, dass sich in der frühkindlichen Bildung schnell etwas ändern muss.

Zu viele Auflagen?

Von einem „Kita-Kollaps“ spricht Wehrmann. Die Symptome: fehlende Betreuungsplätze, marode Infrastruktur, Fachkräftemangel. Die Mitarbeitenden seien überlastet, die Betreuungsschlüssel nicht kindgerecht. Dazu komme eine überbordende Bürokratie, die viel Zeit des Kita-Personals beanspruche. Auch Neubauten verzögerten sich durch zu viel Regulierung. Wehrmann schreibt: „Wir sind verliebt in Sicherheitsauflagen, die festlegen, ob alle Steckdosen den richtigen Abstand haben (…) – aber kein Mensch interessiert sich dafür, was in den Kitas an pädagogischer Arbeit gemacht wird.“

Wehrmann weiß, wovon sie spricht. Die Diplom-Sozialpädagogin und Erzieherin beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit frühkindlicher Bildung. Sie war Kita-Leiterin, Vorsitzende der Bundesvereinigung Evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder (BETA) und ist heute als freie Beraterin aktiv.

Runde Tische sollen den Informationsfluss verbessern

Ein Kern des Problems ist aus Wehrmanns Sicht der Föderalismus: Die verschiedenen Akteur*innen agierten unkoordiniert aneinander vorbei. Weil eine Reform zu viel Zeit benötigen würde, schlägt die Autorin trägerübergreifende Runde Tische vor. Und zwar sowohl auf Bundes-, Landes- als auch kommunaler bzw. Kreis-Ebene. Die Hoffnung: Träger, Verbände und Politik setzen sich regelmäßig zusammen, tauschen Erfahrungen aus, bringen Theorie und Praxis in Einklang.

Weitere Vorschläge: Auf allen politischen Ebenen sollten Kinder- und Familienbeauftragte eingesetzt werden. Mindeststandards für die Kita-Qualität möchte Wehrmann bundesweit einheitlich festlegen. Sie wünscht sich einen Nationalen Bildungsgipfel als „Chefsache“ des Bundeskanzlers, eine bessere Ausbildung der pädagogischen Fachkräfte auf Hochschulniveau und weniger Dokumentationspflichten. Auch kommunalpolitische Reformen gehören zu ihrer Agenda, als Stichworte seien hier Sanierungsprogramme und Digitalisierung von Verfahren genannt. Wehrmann schreibt aber auch: Die Kommunen seien in ihren finanziellen Möglichkeiten überfordert, Bund und Länder müssten dauerhaft stärker zum Kita-Ausbau beitragen.

Ilse Wehrmann ist ein aufrüttelndes Buch gelungen. Zwischen den Zeilen klingt viel Frust durch, gelegentlich rutscht ihr auch mal ein eher populistischer Satz heraus („Im Kern interessiert sich die Politik nicht wirklich für Kinder und deren Belange“). Und auch sie selbst ist nicht in allen Vorschlägen stringent. So regt sie an, dass Träger sich nach fünf Jahren regelmäßig neu akkreditieren müssen, was ihre Forderung nach Bürokratieabbau zumindest teilweise konterkariert. Es mag in der Natur der Sache liegen: Die Gründe für die Kita-Krise sind komplex, deshalb kann sie auch nicht mit einfachen Antworten beendet werden. Zur notwendigen Debatte um Lösungsansätze hat Wehrmann einen wertvollen Beitrag geleistet.

Ilse Wehrmann
Der Kita-Kollaps.
Warum Deutschland endlich auf frühe Bildung setzen muss!
Verlag Herder 2023, 256 Seiten, 22,00 Euro,
ISBN 978-3-451-60150-7

Autor*in
Porträtfoto Mann mit Brille und dunkelblonden Haaren
Carl-Friedrich Höck

ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.

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