Buch „Gute Politik“: Was Mannheims Ex-OB Kurz über unser Land denkt
Bildung, Bürokratie, Migration, Klimawandel: All das treibt Mannheims ehemaligen Oberbürgermeister Peter Kurz um. Seine Gedanken dazu hat er nun in einem Buch veröffentlicht.
Cover „Gute Politik”
16 Jahre lang war Peter Kurz Oberbürgermeister von Mannheim (2007 bis 2023). Nun hat er ein Buch veröffentlicht mit dem Titel „Gute Politik – was wir dafür brauchen“. Das weckt hohe Erwartungen, schließlich haben schon die Philosophen der Antike ausgiebig darüber gegrübelt, was gute Politik ausmacht. Um es vorwegzunehmen: Diese Erwartungen kann das Buch nicht erfüllen. Als Beitrag zum Zustand unserer Demokratie ist es dennoch lesenswert.
Von guter Governance bis Migration
Auf etwas mehr als 100 Seiten reißt Kurz eine Fülle an Themen an, die er entsprechend oft nur oberflächlich streift. Einige Beispiele: Im Kapitel „Wie sich der Staat ändern muss“ fordert er neue Dialogformate zwischen den politischen Ebenen und eine „Multi-Level-Governance“. Diese bedeute institutionenübergreifendes, institutionelles Lernen. Im nächsten Kapitel kritisiert Kurz eine überbordende Bürokratie. „Wir müssen aufhören, unseren Ressourceneinsatz durch Standards zu bestimmen, anstatt durch Ziele und Ergebnisse.“ Praxisbeispiel: In Mannheim seien über die Jahre hinweg 25 bis 35 Prozent aller Investitionen im Bildungsbereich in den Brandschutz gegangen.
Wenige Seiten später widmet sich Kurz dem Bildungssystem. Das Gymnasium sei längst zur neuen Hauptschule geworden, hält er fest. Gesellschaftliche Integration funktioniere so nicht. Stattdessen brauche das Gymnasium „eine echte Orientierung an Leistung“ bei der Aufnahme und „eine Limitierung auf einen begrenzten Teil eines Jahrgangs“.
Weiter geht es mit dem Themenkomplex Migration und Identität. „Wer hier ist, muss auch gesellschaftlich integriert werden können und dürfen“, meint der SPD-Politiker. Dann macht er sich Gedanken zum Zustand von Demokratie und Medien. Bei einem Teil der Bevölkerung wachse die Distanz zur repräsentativen Demokratie, erklärt Kurz. Direkte Bürgerbeteiligung immer mehr auszuweiten hält er nicht für die richtige Lösung. Diese verstärke die gesellschaftliche Spaltung oft nur.
Demokratie braucht Auseinandersetzung
Kurz warnt davor, dass die Politik sich zur Dienstleistung degradiert, indem sie nur vorhandene Befindlichkeiten widerspiegelt. „Nicht Rückzug und Anpassung, sondern mehr Dialog, Auseinandersetzung mit Argumenten und Erklärung der eigenen Position sind anspruchsvolle Leistungen, die Politik erbringen muss“, schreibt Kurz. Wichtig sei eine Agora, ein lokaler Raum für Diskussionen. Doch die klassischen Medien verlören Reichweite, im Online-Geschäft präge die Jagd nach Klickzahlen die Maßstäbe. Das Ziel, das kommunale Geschehen in seiner ganzen Breite mit journalistischer Kompetenz abzubilden, werde unter diesen Zwängen aufgegeben.
Schließlich kommt Kurz auf die Transformation zu sprechen. Zusammengefasst: Nötig sei eine echte Kreislaufwirtschaft, die mit großen Anstrengungen verbunden wäre. Weil die Politik die damit verbundenen Zumutungen nicht aussprechen wolle, flüchte sie sich in irreführende Erzählungen: Man sei auf dem richtigen Weg und müsse nur etwas schneller werden, oder künftige Technologien würden unsere Probleme lösen. Auch fokussierten sich viele Politiker*innen zu stark auf Dekarbonisierung, meint Kurz. Dabei habe die Pandemie gezeigt, dass die Bürger*innen sich eine ehrliche Beschreibung der Probleme wünschen und mehr Zumutungen aushalten, als manche denken. Gleichzeitig plädiert Kurz für Pragmatismus. Statt kommunale Gebäude mit großen Ressourcenaufwand energetisch zu sanieren, empfiehlt er „ein auf Jahresscheiben bezogenes, verpflichtendes Einsparziel mit lokal erstellten Maßnahmeplänen.“
Verfassungspatriotismus statt Nationalismus
Zum Schluss geht Kurz auf die AfD ein. Die Erzählung, hohe AfD-Zustimmungswerte seien damit zu erklären, dass Stadtteile abgehängt und vergessen wurden, widerlegt er an einem Beispiel aus Mannheim. Ein Gegenmittel könne Verfassungspatriotismus sein, regt er an. „Humanität, Respekt, Anstand müssen die Maßstäbe unserer Beteiligung am öffentlichen Diskurs sein“, betont Kurz und adressiert damit nicht nur die extremen politischen Ränder unserer Gesellschaft.
Das ist viel Stoff für ein schmales Büchlein – zu viel. Manch spannende These wird nicht tiefer erklärt, während der Autor an andere Stelle nicht über Gemeinplätze hinauskommt. Trotzdem kann die Lektüre empfohlen werden, weil das Buch Denkanstöße liefert.
Peter Kurz:
Gute Politik.
Was wir dafür brauchen
S. Fischer, 2024, 112 Seiten, 20,00 Euro,
ISBN: 978-3-10-397663-2
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.