Rezension

Die Stadt als Schreckensbild und Utopie

Heiles Landleben versus verkommene Stadtgesellschaft? Für eine Dissertation hat Humangeograf Johann Braun untersucht, welche Ängste und Sehnsüchte die Rechten mit der Großstadt verbinden.

von Carl-Friedrich Höck · 30. Oktober 2024
Cover Stadt von rechts

Cover Stadt von rechts

Achtung gebührt Johann Braun schon allein dafür, dass er sich für seine Dissertation durch zahlreiche Artikel aus rechten Zeitschriften der letzten 20 Jahre gearbeitet hat. Das war sicher nicht vernügungssteuerpflichtig. Und mit diesem Wort sind wir schon mittendrin im Thema. Gilt die Großstadt doch unter Rechten gemeinhin als Sündenbabel, wo der Vergnügungssucht und individuellen Entfaltung des Einzelnen mehr Wert zugesprochen wird als Tradition und Nation. Diesem Schreckensbild wird dann gerne der ländliche Raum gegenübergestellt, wo alte Werte und Naturverbundenheit noch gepflegt würden.

So zumindest wird das rechte Schubladendenken bisher meistens dargestellt. Es passt auch zu dem Befund, dass Rechtsaußen-Parteien wie NPD und AfD ihre Wählerbastionen oft in dünn besiedelten Räumen haben. Johann Braun hat aber noch etwas genauer hingesehen. Ihm war aufgefallen, dass sich der rechte Diskurs nicht darauf beschränkt, die Stadt zu verachten. Auch im städtischen Raum wollen die Rechten Fuß fassen, und die mobilisierenden Aktionen von Pegida oder Identitärer Bewegung finden zum großen Teil in städtischen Räumen statt. Es ist also keineswegs so, dass die Rechten sich aus dem Stadtleben gänzlich zurückziehen, um ausschließlich in der vermeintlichen Idylle des Landlebens ihr Heil zu suchen.

Starke Ablehnung

Zutreffend ist aber, dass die Stadt der Gegenwart im rechten Diskurs höchst negativ gezeichnet wird. Sie steht stellvertretend für alles, was in dieser Klientel als verachtenswert gilt: Individualismus, Liberalismus und Moderne, Einwanderung („Überfremdung“) sowie Eliten, die angeblich nur zu ihrem eigenen Vorteil handeln. In dieser Erzählung scheinen die Stadtgesellschaften dem Untergang geweiht.

Neben dieser Gegenwartsbeschreibung existiert aber auch eine rechte Utopie, die darauf abzielt, die Städte zu „reparieren“. Etwa durch Rückbesinnung auf vorindustrielle Architektur und Ästhetik sowie „natürliche Baustoffe“ (wobei zuweilen ein falsches Zerrbild der historischen Realität gezeichnet wird). Politisch müssten die Städte diszipliniert und sozial exklusiv organisiert werden. Mit anderen Worten: im Mittelpunkt des Stadtlebens soll der weiße, heterosexuelle Mann stehen. Dann, so die Hoffnung rechter Autoren, könne die Stadt als Ausdruck und Symbol einer kulturell-zivilisatorischen Leistung angesehen werden.

Ambivalentes Bild

Braun bezeichnet diese Ambivalenz, in Anlehnung an den Historiker Volker Weiß, als Gleichzeitigkeit „von Untergang und Rettung“. Diese habe eine konstitutive Funktion für rechte Vorstellungswelten und Politiken.

Fazit: Für die kommunalpolitische Alltagspraxis hat das Buch nur einen überschaubaren Nutzen. Verdienstvoll ist es dagegen für die akademische Debatte. Als Humangeograf wirbt Braun dafür, einen räumlichen Blick auf das Politische zu werfen und damit die Perspektive auf die moderne Rechte zu erweitern. Letzteres ist ihm gelungen.

Johann Braun:
Stadt von rechts.
Über Brennpunkte und Ordnungsversuche
Verbrecher Verlag 2024, 280 Seiten, 26,00 Euro, ISBN: 9783957325839

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Autor*in
Porträtfoto Mann mit Brille und dunkelblonden Haaren
Carl-Friedrich Höck

ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.

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