Stadtplanung als Kunstprojekt
Jovis-Verlag
Die Gemeinde Tribsees in Vorpommern hat eine kleine historische Innenstadt mit einer Stadtmauer und zwei schönen Türmen. Doch von 250 Häusern in der Innenstadt sind 70 marode, teils abrissreif. Zwar ist nach 1990 Geld aus der Städtebauförderung geflossen, doch das allein reichte nicht – und für manches Gebäude lässt sich auch schlicht kein Eigentümer ermitteln.
Bewusste Entschleunigung
Hier startete Professor Ton Matton von der Kunstuniversität Linz im Jahr 2020 ein ungewöhnliches Projekt. Mit Studierenden und Künstlern kam er nach Tribsees, um gemeinsam mit den Bewohnern über die Zukunft nachzudenken. Die Aktivitäten dokumentiert nun das reich bebilderte Buch „Slow Urban Planning“. Den Begriff übersetzt Matton auch als „träge Stadtplanung“. In der Entschleunigung sieht er eine Chance, abseits ausgetretener Pfade und vermeintlicher Zwänge zu denken – und ortsspezifische, individuell maßgeschneiderte Lösungen zu finden.
Was die Studierenden in Tribsees auf die Beine gestellt haben, hat mit klassischer Stadtplanung nur bedingt zu tun. Sie wollten mit künstlerischen Mitteln den Gemeinsinn stärken und Möglichkeiten aufzeigen, wie Tribsees sein könnte. Ein Ziel war es, die Gemeinde in den Improvisationsmodus zu versetzen.
Dazu wurden brachliegende Räume bespielt. Ein leerstehendes Haus wurde besetzt und als Co-Working-Space genutzt. Eine blanke Hauswand verwandelte sich mit etwas Farbe zum Freilichtkino. Platz für einen Graffiti-Workshop bot eine unscheinbare Freifläche. Vor einem stillgelegten Kaufhaus wurde Essen serviert – die Stadt somit quasi in ein Restaurant umfunktioniert. Zu diesem Zweck töpferten Anwohnende eigens Geschirr aus Ziegelsteinen der zerfallenden Häuser. Immer wieder bekamen die Bewohner Gelegenheit sich auszutauschen: Was fehlt ihnen, was wünschen sie sich für ihre Gemeinde? Die Antworten wurden dann beispielsweise zu Leuchtreklame verarbeitet, die in der ganzen Innenstadt zu sehen war.
Spielerisches Nachdenken über die eigenen Potenziale
Probleme und Lücken wurden so in Chancen und Freiräume umgedeutet. Was das bringt? Die Zukunft wird es zeigen. Im besten Fall hat das Projekt neue Energien in der Stadtgesellschaft freigesetzt, um die Gestaltung ihrer Gemeinde gemeinsam voranzutreiben.
Die Dokumentation in Buchform jedenfalls ist eine unterhaltsame Lektüre. Ein bisschen verrückt wirken die Aktionen zuweilen, die sich Mattons Team und die Tribseeser gemeinsam erdacht haben. Aber vielleicht ist es genau dieses Spielerische, was im kommunalpolitischen Alltag manchmal fehlt.
Ton Matton:
Slow Urban Planning
Jovis-Verlag 2023, 160 Seiten,
34,00 Euro, ISBN 978-3-86859-874-2
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.