Fünf Ideen, wie Kommunalpolitik attraktiver werden kann
Sich ehrenamtlich in einem Stadt- oder Gemeinderat zu engagieren, macht Spaß, ist spannend und sinnstiftend. Schließlich kann man so das Zusammenleben in der eigenen Kommune aktiv mitgestalten. Kommunalpolitik ist aber auch kraft- und zeitraubend. Das schreckt viele ab, die sich neben ihrem Engagement noch Raum für andere Dinge wünschen: Zeit mit den Kindern verbringen, Freunde treffen, Hobbys nachgehen, reisen. Wir stellen fünf Ansätze vor, wie Kommunalpolitik zugänglicher werden könnte.
Die Digitalisierung nutzen
Videokonferenzen haben sich während der Corona-Pandemie etabliert. Auch mit digitalen Rats- und Ausschusssitzungen konnten Erfahrungen gesammelt werden. Sie haben viele Vorteile: Lange Anfahrten ins Rathaus fallen weg. Kinderbetreuung wird erleichtert, weil man sich abends noch in den Ausschuss zuschalten kann, während im Nebenzimmer das Kind schläft. In den Urlaub fahren und trotzdem abends an einer wichtigen Beratung teilnehmen war plötzlich kein Problem mehr. Sprechstunden oder ein informelles Treffen mit dem Vorstand des örtlichen Sportvereins lassen sich ebenfalls digital organisieren. Und weil man mit einem Mausklick schnell von einem Termin in den nächsten springen kann, lässt sich die knappe Zeit effizienter nutzen. Das Gespräch am Bildschirm kann zwar oft ein persönliches Treffen nicht ersetzen. Dennoch spricht vieles dafür, hybride Sitzungen auch in Zukunft durchzuführen. Die Digitalisierung eröffnet außerdem Möglichkeiten, Neues auszuprobieren.
Viel Erfahrungen mit digitalen Sprechstunden hat Carsten Ullrich gesammelt. Er war bis Januar 2023 Bürgermeister von Sinntal und berät jetzt als Mentor andere Kommunalpolitiker. Gemeinsam mit zwei weiteren Bürgermeistern gründete er Anfang 2020 eine „Rathaus-WG“: Mit Live-Videos auf Facebook behandelten sie aktuelle Themen, tauschten sich aus und beantworten Fragen von Bürgerinnen und Bürgern. Online-Sprechstunden hätten sich bewährt, sagt er. Man müsse sich aber weiterentwickeln und immer wieder neue Formate entwickeln. Auch das zunächst große Interesse an der Rathaus-WG ebbte nach einer Weile ab. Deshalb holten sich die Bürgermeister Gäste dazu, um für mehr Abwechslung zu sorgen.
Zeiten begrenzen gibt Freiraum
Oft beginnen Rats- oder Ausschusssitzungen am frühen Abend und dauern, so lange sie eben dauern. Für Ratsmitglieder, die sehr früh aufstehen müssen oder für den Abend verbindliche Absprachen treffen wollen – etwa zur Kinderbetreuung – ist das ein Problem. Abhilfe können Redezeitbegrenzungen schaffen.
Im Leipziger Stadtrat wird das gerade ausprobiert. Hier war das Problem, dass Ratssitzungen immer wieder vertagt und am nächsten Tag fortgesetzt werden mussten. Also wurde testweise ein Zeitbudget eingeführt: Insgesamt vier Stunden Redezeit stehen für Fraktionsanträge sowie Beschluss- und Informationsvorlagen aus der Verwaltung zur Verfügung. Auf jede Fraktion entfällt abhängig von ihrer Größe ein bestimmtes Zeitkontingent. Aus Sicht des SPD-Fraktionsvorsitzenden Christopher Zenker hat sich die Regelung bewährt. Alle Fraktionen würden nun mehr darauf achten, wozu sie wirklich reden müssen. Umstritten ist aber die genaue Ausgestaltung der Regeln. Dass der SPD so viel Redezeit zusteht wie den „Freibeutern“ (FDP und Piraten), obwohl deren Fraktion nur halb so groß ist, finden nicht alle nachvollziehbar.
Kinderbetreuung einrichten
Ehrenamtliche Kommunalpolitik spielt sich zu großen Teilen in den Abendstunden ab. Kitas und Schulen haben dann schon zu. Besonders für Alleinerziehende wäre eine Kinderbetreuung hilfreich, damit sie ihrem Mandat nachgehen können. In der Praxis scheitert das oft am Geld, teils auch an geeigneten Räumlichkeiten.
Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Marzahn-Hellersdorf in Berlin hat im Februar 2022 auf Initiative der SPD beschlossen, dass sie familienfreundlicher werden will – und dafür pro Jahr 5.000 Euro eingeplant. Das Geld soll unter anderem für die Betreuung von Kindern oder anderen Angehörigen während der Sitzungen eingesetzt werden, aber auch für hybride oder digitale Sitzungen, um eine Teilnahme von zuhause aus zu ermöglichen (siehe Punkt 1). Umgesetzt wurde bisher vor allem letzteres.
Auszeiten ermöglichen
Eine Elternzeit, ein Auslandssemester oder auch eine längere Erkrankung: Es gibt viele Gründe, ein kommunalpolitisches Mandat ruhen zu lassen. Doch es fehlt an Vertretungs-Regelungen. Die Betroffenen müssen sich entscheiden: Behalten sie ihr Mandat und schwächen so ihre Fraktion, weil sie über mehrere Monate mit einem Ratsmitglied weniger auskommen muss? Oder verzichten sie dauerhaft auf ihr Mandat, um den Weg für einen Nachrücker oder eine Nachrückerin freizumachen?
Immer wieder gibt es Vorschläge, eine vorübergehende Vertretung rechtlich zu ermöglichen. Im bayerischen Landtag wurde ein entsprechender Antrag der Grünen vor drei Jahren abgelehnt. Es habe verfassungsrechtliche Bedenken gegeben, erklärt Simone Strohmayr, die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion.
Übrigens: In Bayern arbeitet eine parteiübergreifende Arbeitsgruppe an Vorschlägen, wie Politik familienfreundlicher werden kann. Ein Vorbild könnte Schweden sein. Strohmayr berichtet: Dort gebe es ein Familienzeitfenster: Zwischen 17:30 Uhr und 19:30 Uhr fänden keine Sitzungen statt, damit sich alle um ihre privaten Angelegenheiten kümmern können. Elternzeiten für Politikerinnen und Politiker seien in Schweden auch schon Realität.
Strohmayer verweist noch auf eine andere Möglichkeit, das Elternzeit-Problem zu lösen: Im Rahmen eines „Gentlemen´s Agreement“ könnten sich die anderen politischen Lager verpflichten, bei Abstimmungen auf eine Stimme zu verzichten, um das Gleichgewicht wieder herzustellen.
Höhere Aufwandsentschädigungen
Kommunalpolitik ist mit Kosten verbunden. Hier ein Treffen mit einer Initiative im Café, dort eine längere Anfahrt zur Ratssitzung, vielleicht wird auch ein Babysitter benötigt – da kommt im Laufe des Monats einiges zusammen. Aufwandsentschädigungen sollen das ausgleichen. Manche wenden für ihre ehrenamtliche Tätigkeit so viel Zeit auf, dass sie ihrem eigentlichen Beruf nicht in Vollzeit nachgehen können. Da hilft es, wenn die Aufwandsentschädigung das Gehalt ergänzt und nicht alles für Extra-Ausgaben draufgeht.
Kaum ein Kommunalpolitiker betreibt den Aufwand hauptsächlich des Geldes wegen. Dennoch kann eine höhere Entschädigung die Arbeit attraktiver machen – besonders für Menschen mit geringen Einkünften. Was man bekommt, ist je nach Kommune und Bundesland sehr unterschiedlich. In Potsdam erhält ein Ratsmitglied knapp 300 Euro Grundvergütung, in Leipzig etwa 500 Euro. Dazu kommen Sitzungsgelder. Der Leipziger Stadtrat hat kürzlich beschlossen, dass Ratsmitglieder, die sich um Kinder bis zwölf Jahre oder pflegende Angehörige kümmern müssen, eine höhere Entschädigung erhalten. In Potsdam können sich die Stadtverordneten mandatsbedingte Kinderbetreuungskosten erstatten lassen.
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.