Sechs Gründe für den SPD-Erfolg in Frankfurt
Foto: Oliver Tamagnini
Was für eine Wendung“, staunte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung”. „Es ist ein Wahlergebnis, das man lange als unwahrscheinlich betrachten konnte.“ In der Stichwahl um das Frankfurter Oberbürgermeisteramt hatte sich der Sozialdemokrat Mike Josef am 26. März 2023 knapp gegen den CDU-Politiker Uwe Becker durchgesetzt. Überraschend war das Ergebnis, weil auch der bisherige Oberbürgermeister Peter Feldmann ein SPD-Parteibuch hatte. Und dieser war gerade erst aus dem Amt gewählt worden. Nach Korruptionsvorwürfen stimmten in einem Bürgerentscheid 95 Prozent der Frankfurter für Feldmanns Abwahl.
Herausragender Wahlkampf
Die Ausgangsbedingungen für einen sozialdemokratischen Wahlerfolg waren also denkbar schlecht. Doch mit einem herausragenden Wahlkampf konnten Josef und sein Team das Ruder herumreißen. Sechs Gründe waren ausschlaggebend.
Die Biografie: Geboren wurde Mike Josef 1983 in Syrien. Als er vier Jahre alt war, kam seine Familie nach Deutschland. Weil sie als Christen in Syrien nicht mehr sicher waren, wurden sie als politische Flüchtlinge anerkannt. Das passt zur Frankfurter Stadtgesellschaft, die sich als weltoffen versteht und in der Menschen aus 180 verschiedenen Nationen leben. Josef personifiziert zudem das sozialdemokratische Aufstiegsversprechen: Mit harter Arbeit schaffte er es vom Hauptschüler zum Diplom-Politologen.
Die geleistete Arbeit: Sogar die konservative „FAZ” räumte ein: „Josef überzeugt als Mensch und durchaus auch durch seine (politische) Leistung in seinen bisherigen Ämtern.“ Als hauptamtlicher Stadtrat war er seit vielen Jahren für Bauen und Wohnen zuständig. Beharrlich setzte er sich für mehr bezahlbare Wohnungen ein, eines der politischen Kernthemen der SPD. Mit der Stabsstelle Mieterschutz schuf er eine Anlaufstelle für von Verdrängung bedrohte Mieter. Und ein geplantes neues Stadtviertel im Frankfurter Norden heißt im Volksmund nur „Josefstadt“. Seine Biografie und seine Erfolge verschafften Mike Josef Glaubwürdigkeit. Dazu kam seine klare Haltung zur Feldmann-Causa: Josef und die Frankfurter SPD gingen frühzeitig auf Abstand zum Oberbürgermeister, nachdem die Staatsanwaltschaft im März 2022 Anklage gegen Feldmann erhoben hatte.
Die richtigen Themen: „Uns war wichtig, im gesamten Wahlkampf immer klare Botschaften zu setzen“, sagt Sebastian Maier. Er war während dieser Zeit Geschäftsführer der Frankfurter SPD. Bespielt wurden klassische sozialdemokratische Großstadt-Themen: „Bezahlbare Wohnungen“, „starke Wirtschaft“, „Investitionen in Bildung“ und „Stärkung des Zusammenhalts“. Als einziger Kandidat nutzte Josef die Wahlplakate, um seine Themen in den Vordergrund zu stellen. Etwa: „Eine starke Wirtschaft für soziale Sicherheit“. Diese beiden Aspekte miteinander zu verknüpfen, habe gefruchtet und auch bei Konservativen Anklang gefunden, erzählt Maier.
Die starke Social-Media-Kampagne: 50.000 Euro hat die SPD im Wahlkampf für soziale Medien ausgegeben – fünfmal so viel wie die CDU. Dieses Geld wurde sehr zielgenau eingesetzt. „Wir haben nicht einfach blauäugig Werbung geschaltet auf Instagram und Facebook“, berichtet der damalige Geschäftsführer Maier: „Wir hatten eine Agentur, die ein sehr detailliertes, ausgeprägtes Targeting gemacht hat.“ Jeder Post wurde einzeln bewertet und hinterfragt: Funktioniert er? Kommt er bei der gewünschten Zielgruppe an? Wenn nicht, wurde nachgesteuert. Eine zeitaufwendige Arbeit, die sich aus Maiers Sicht gelohnt hat. Am Wahltag habe die Social-Media-Kampagne wohl drei bis vier Prozentpunkte ausgemacht, ist er überzeugt. Mike Josefs Ergebnis in der Stichwahl: 51,7 Prozent.
Unterstützung von außen: Vor der Stichwahl sprachen sich auch Mitglieder anderer Parteien für Mike Josef aus – und zwar öffentlichkeitswirksam. Mit dem grünen Urgestein Daniel Cohn-Bendit traf sich der Sozialdemokrat zum Kaffee, begleitet von Journalisten. Hilfreich war auch der Zuspruch vom „Bahnbabo“, dem Straßenbahnfahrer Peter Wirth. Mit lockeren Sprüchen hat er es zu einer lokalen Social-Media-Größe geschafft. In der ersten Runde der OB-Wahl war er noch selbst als Kandidat angetreten. Nachdem er aus dem Rennen ausgeschieden war, rührte der Bahnbabo die Werbetrommel für Josef: „Er weiß, wie Frankfurt stabil bleibt!“ Schon vor dem ersten Wahlgang hatte sich eine Unterstützer-Initiative für Josef gegründet. Dieser gehörten nicht nur Sozialdemokraten an, hier versammelten sich Menschen aus Kultur und Wirtschaft. Mit eigenen Plakaten und einer Veranstaltungsreihe („Happy Hour“) warb die Initiative für den SPD-Kandidaten.
Die Parteibasis: Im Wahlkampfteam waren zwei Leute nur damit beschäftigt, die eigenen Mitglieder zu mobilisieren, erzählt Sebastian Maier. „Also Telefonlisten abarbeiten, Mitglieder anrufen: Willst du helfen? Was kannst du, was ist deine Expertise?“ Auch der Kontakt zur Social-Media-Agentur kam durch interne Netzwerkarbeit zustande. Kärrnerarbeit sei das, sagt Maier. Man müsse die Ortsvereine mitnehmen, schauen, dass die Hausbesuche laufen und Straßenverteilungen funktionieren. Die SPD-Geschäftsstelle wurde zur Kampa umgebaut. „Wir hatten eine super Mannschaft, die im richtigen Moment gut funktioniert hat“, erinnert sich Maier.
Mike Josef selbst sagt über seinen Wahlerfolg: „Bei einer Kommunalwahl, wie es eine OB-Wahl ist, gibt es einige entscheidende Zutaten: Offenheit, Zugänglichkeit, Zuhören, Zugehen auf die Menschen, Kompetenz, Glaubwürdigkeit und Authentizität. Einfach gesagt, man muss Menschen mögen und auf Augenhöhe begegnen.“
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.