Wie Kinder den Bildungsrückstand aufholen
„Wenn man mutig ist, kann man alles.“ Sagt eine Schülerin. „Selten haben meine Schülerinnen und Schüler so begeistert von ihren Ferien erzählt!“ Sagt eine Lehrerin. Nach Lockdowns und Lernen zu Hause, nach Quarantäne und Angst vor Ansteckung haben sie in den Oster- bzw. Frühjahrsferien nicht nur Lernrückstände aufgeholt, sondern wieder Tritt gefasst im Schulalltag und im Leben mit Gleichaltrigen. Die Kinder haben von „Aufholen nach Corona“ profitiert, einem Zwei-Milliarden-Euro-Programm der Bundesregierung. Ziel ist nicht nur die „Bewältigung pandemiebedingter Lernrückstände in Kernfächern“, sondern auch die „soziale Kompetenzentwicklung“, damit sich „bestehende Ungleichheiten“ nicht verstärken. So steht es in der Vereinbarung zwischen Bund und Ländern zur Umsetzung.
Ein besonderer Fokus liegt auf Klassenstufen, in denen Entscheidungen anstehen, zum Beispiel über den Besuch weiterführender Schulen, und auf Schulen in Brennpunkt-Stadtteilen. Mathe, Deutsch oder Englisch sind dabei nur ein Teil des Programms, denn um lernen zu können muss der Kopf frei sein von Sorgen und Ängsten. Deshalb finanziert Aufholen nach Corona vor allem soziales Lernen, Erholungsangebote, Schulsozialarbeit, außerschulische Jugendarbeit oder Ferien- und Wochenendfreizeiten.
Zukunftskompetenzen in den Mittelpunkt gerückt
Dazu arbeiten Städte wie Kiel und Hamburg eng mit freien Trägern zusammen. Einer davon heißt „climb“. Das Akronym steht für „clever lernen, immer motiviert bleiben“. Die von Jennifer Busch und zwei Mitstreiterinnen im Sommer 2012 in Hamburg ins Leben gerufene gemeinnützige GmbH will Kinder aus sozial benachteiligten Familien stark machen für die Schule und für das Leben – in diesem Frühjahr in der Fritz-Reuter-Gemeinschaftsschule Kiel, der Grundschule Auf der Veddel und der Grundschule in Neuwiedenthal in Hamburg sowie vielen weiteren Grundschulen in ganz Deutschland. Jennifer Busch: „Die Kinder sind von 9 bis 16 Uhr bei uns. An den Vormittagen machen wir zwei Lernzeiten in den Kernfächern Mathe und Deutsch und am Nachmittag Projekte.“ Dabei gehe es vor allem darum, „Zukunftskompetenzen“ zu erwerben: „Wie finde ich raus, was ich richtig gut kann“ oder „Ich mache mir einen Plan und gucke, wie ich ihn umsetzen kann“. Die Zuwendung ist individuell. Jeweils ein Betreuer oder eine Betreuerin ist für fünf Kinder zuständig.
Corona schwinge bei den Gesprächen mit den Kindern häufig mit, so Busch. Sie wollen wissen: Was ist das? Wo kommt es her? Vor allem: Was macht das mit mir? „Einsamkeit und Trauer sind bei ihnen sehr präsent“. Das behindere das Lernen. „Wenn ein Kind mit seinen Ängsten oder Erlebnissen beschäftigt ist, kann die Lehrerin noch so gut erklären, wie Addition funktioniert. Das Kind ist dafür nicht bereit.“
Die Tätigkeit bei „climb“ ist ehrenamtlich. Sie wird mit einem Zertifikat, einer Aufwandsentschädigung und vielen neuen Erfahrungen belohnt. Die Betreuerinnen und Betreuer sind oft Studierende des Lehramts oder der Psychologie und bekommen erfahrene Mentoren zur Seite gestellt. Manche können sich die Zeit als Praktikum im Studium anrechnen lassen. Inzwischen ist „climb“ in andere Bundesländer expandiert und wurde mehrfach für den Deutschen Nachhaltigkeitspreis nominiert.
Schulsozialarbeit gestärkt
„Corona war für viele Kinder unheimlich stressbeladen“, bestätigt Beate Stuchtey, Leiterin der Abteilung Jugendsozialarbeit der Stadt Kiel. Dort sei, wie in vielen großen Städten, das Mietniveau hoch, Familien leben beengt, mehrere Kinder teilen sich ein Zimmer. Wenn dann die Eltern noch im Homeoffice arbeiten, sei Stress programmiert. Kiel hat, wie viele Kommunen, aus Mitteln des Aufholprogramms die Schulsozialarbeit aufgestockt. Der Schwerpunkt liege auf Grundschulen und weiterführenden Schulen in Brennpunkt-Stadtteilen, so Stuchtey. Für die Schulen sei das ein großes Plus. Außerdem wurden die Schulräte gefragt, welche Schulen besonderen Bedarf an zusätzlichen Angeboten haben, zum Beispiel an Nachhilfe-, Freizeit und Ferienprogrammen. Im Fokus steht auch hier die Förderung von emotionalen und sozialen Kompetenzen und die Stärkung der Persönlichkeit.
Aufholen nach Corona ist bis Ende 2023 befristet. Beate Stuchtey bedauert das. „Die Auswirkungen von Corona werden wir noch lange spüren. Es wäre schön, wenn das Programm verlängert würde.“