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AfD-Hochburg Pforzheim: „Viele Probleme wurden einfach wegignoriert“

Nirgendwo in Baden-Württemberg ist die AfD so stark vertreten wie in Pforzheim. Die Gründe dahinter sind komplex – sie reichen bis in die Zeit des Nationalsozialismus zurück.

von Finn Lyko · 25. Juli 2024
Luftbild von einer Stadt am Fluss

Blick auf Pforzheim: Die 128.000-Einwohner*innen-Stadt in Baden-Württemberg gilt als westdeutsche AfD-Hochburg.

Selbst in Baden-Württemberg, wo der Anteil der AfD im Landtag immerhin noch knapp unter 10 Prozent liegt, rückten bei den Kommunalwahlen im Juni viele Gemeinden nach rechts. Allen voran lag hier Pforzheim, wo die in Teilen rechtsextreme Partei mit 22 Prozent als stärkste Kraft in den Gemeinderat einziehen konnte – nirgendwo sonst im ganzen Bundesland ist sie so stark vertreten.

Diese Zahl mag überraschend wirken, mit Blick auf die politische Geschichte Pforzheims fällt jedoch auf: Die Ergebnisse der Kommunalwahlen reihen sich in eine lange Tradition rechtskonservativer bis rechtsextremer Parteien ein, die die Stadt schon seit jeher prägt. „Wir haben in Pforzheim eine gewisse unrühmliche Tradition, dass rechte Parteien besser abschneiden als andernorts”, meint auch SPD-Gemeinderätin Annkathrin Wulff.

So stimmten 1933 in Pforzheim 57,5 Prozent für Hitlers NSDAP, während der baden-württembergische Landesdurchschnitt bei 43,9 Prozent lag. In den 1960er und 1970er Jahren schnitt die NPD in Pforzheim überdurchschnittlich gut ab, 1992 wiederum stimmten 18,5 Prozent für die rechtskonservativen Republikaner, die es mit knapp elf Prozent in den baden-württembergischen Landtag schafften. Und nun gilt Pforzheim bereits seit längerem als AfD-Hochburg des Bundeslands.

Eine Stadt mit komplexen Konflikten

Die Gründe dafür sind vielfältig, teils reichen sie weit in die Vergangenheit der Stadt zurück. Pforzheim ist eine Stadt mit komplexen Konflikten und vielen Widersprüchen, die weit über eine „rechtsextreme Tradition“, wenn man so möchte, hinausreichen. Viele Menschen würden das übersehen, erklärt Gerhard Baral. Er saß selber lange Zeit im Pforzheimer Gemeinderat, heute engagiert er sich beispielsweise als Co-Sprecher im Bündnis „Zusammenhalten Pforzheim“.

„Pforzheim hat heute die höchste Zuweisungsrate von Geflüchteten in Baden-Württemberg, überproportional zur Bevölkerung – das schafft Konflikte“, sagt er. Die Stadt habe sich schon immer mit Integration schwergetan – sei es in den 1980ern und 1990ern, als viele Russlanddeutsche nach Pforzheim kamen, oder während der Flüchtlingskrise Mitte der 2010er. „Da ist viel nicht gesehen worden und viele Probleme wurden einfach wegignoriert“, erklärt Baral. Zu besorgt sei man um den Ruf der Stadt gewesen.

Insbesondere die Flüchtlingskrise hat bis heute ihre Spuren in Pforzheim hinterlassen. Die Menschen würden sich teilweise in der Stadt nicht mehr sicher fühlen, meint Gerhard Baral, dabei habe Pforzheim die niedrigste Kriminalitätsrate in Baden-Württemberg. Doch die Wahrnehmung der Menschen sei geprägt durch Abstiegsängste – auch wegen der im Landesvergleich überdurchschnittlich hohen Arbeitslosenquote und dem niedrigen Durchschnittseinkommen. „Die Leute fühlen sich in ihrem kleinen Glück, dass sie sich aufgebaut haben, bedroht“, erklärt Baral.

„Denkräume“ sollen Menschen ins Gespräch kommen lassen

Das Grundproblem sei, dass sich viele Menschen nicht mehr richtig zuhören würden und mehr und mehr das Gespräch scheuen würden, findet er. Bei „Zusammenhalten Pforzheim“ wollen sie dem mit sogenannten „Denkräumen“ entgegenwirken. Die „Denkräume“ seien eine Erfindung aus der Coronazeit, erklärt Gerhard Baral – „das sind Gesprächsforen, wo sich Menschen einfach mal zuhören und über Dinge nachdenken können“.

„Wir machen das alles selber, mit den Mitteln, die man als Bürgergruppe eben hat“, so Baral. Drei dieser Räume gibt es in Pforzheim, unter anderem auch in Haidach – ein Viertel, in dem auch heute noch überwiegend Russlanddeutsche leben, und das in den 1990ern mit Gewalt, Vandalismus und Drogenhandel immer wieder als „Problemviertel“ in den Schlagzeilen landete. Zur Hochphase der Flüchtlingskrise in den 2010er Jahren wurde hier eine Unterkunft für Geflüchtete eingerichtet, zeitgleich formierte sich eine selbsternannte „Bürgerwehr“. Bei den Kommunalwahlen im vergangenen Juni kam die AfD hier auf knapp 41 Prozent.

Die „Denkräume“ würden auch hier in Anspruch genommen werden, erzählt Gerhard Baral. „Natürlich sind da nur Menschen, die miteinander reden wollen“, räumt er ein. Aber dennoch: Die Menschen würden überwiegend respektvoll miteinander diskutieren und sich zuhören. Ein notwendiger erster Schritt, findet er. Denn: „Wenn man 40 Jahre nichts macht, muss man eben jetzt wirklich grundsätzlich an die Probleme ran“ – und miteinander reden gehört auch dazu.

AfD im Gemeinderat bisher eher unauffällig

Der Pforzheimer Gemeinderat wird nun einen Weg finden müssen, mit dieser 22 Prozent starken AfD umzugehen. Nach der ersten Sitzung nach den Wahlen zu Beginn dieser Woche blickt SPD-Gemeinderätin Annkathrin Wulff der Legislaturperiode gespannt entgegen. Bisher sei die AfD „nicht durch fleißige Gremienarbeit aufgefallen“, erklärt sie.

Das bedeutet: Die in Teilen rechtsextreme Partei habe in der Vergangenheit trotz ihres hohen Anteils an Sitzen kaum eigene Anträge eingebracht oder Positionen durchgesetzt. „Wir waren zu dritt deutlich produktiver und sichtbarer am Wohl der ganzen Stadt interessiert“, erzählt Wulff über die Pforzheimer SPD-Fraktion.

Doch gemessen an den Wahlergebnissen scheint es nicht so, als ob die Bevölkerung das so wahrgenommen hätte. Daher komme es nun darauf an, Präsenz zu zeigen, sagt Annkathrin Wulff, und noch mehr auf die Menschen zuzugehen. Sie bleibt motiviert: „Wir werden uns weiterhin auf unsere gute Arbeit konzentrieren, weiterhin unsere Anträge schreiben und uns inhaltlich breit aufstellen.“

Dieser Artikel ist zuerst auf vorwaerts.de erschienen.

Autor*in
Finn Lyko

ist Volontärin in der Redaktion des vorwärts.

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