„Bauen im Sparmodus“: Bündnis will Sozialwohnungen günstiger machen
210.000 neue Sozialwohnungen pro Jahr fordert das „Verbändebündnis Soziales Wohnen“, dem Mieterbund, Bauwirtschaft und Caritas angehören. Mit neuen Regelstandards ließen sich die Kosten pro Wohnung um ein Drittel senken.
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Wohnungen in München: Die Zahl der Sozialwohnungen ist in Deutschland zu niedrig, um den tatsächlichen Bedarf zu decken.
Laut dem „Verbändebündnis Soziales Wohnen“ fehlen bundesweit 550.000 Wohnungen. Besonders groß sei der Mangel bei den „bezahlbaren Wohnungen“ (unteres und mittleres Preissegment) sowie bei Sozialwohnungen, erklärte das Bündnis auf einer Pressekonferenz am 5. Februar. Die Ampel-Regierung sei zwar mit guten Zielen gestartet, doch von den angestrebten 100.000 neuen Sozialwohnungen pro Jahr sei Deutschland weit entfernt.
Ziel sind zwei Millionen Sozialwohnungen
Als Reaktion darauf fordert das Bündnis umso stärkere Anstrengungen in den kommenden Jahren. Bis zum Jahr 2030 müssten jährlich mindestens 210.000 Sozialwohnungen neu geschaffen werden. Dies solle hauptsächlich durch Neubau geschehen, aber auch durch den Ankauf und die Verlängerung von Belegungsrechten. Nur so könne die Zahl von zwei Millionen Sozialwohnungen erreicht werden. Diese Zielmarke hatte das Bündnis selbst vor sechs Jahren ausgerufen. Hintergrund: Um alle Menschen, die in Deutschland Anspruch auf eine Sozialwohnung haben, mit einer solchen zu versorgen, wären rechnerisch 5,6 Millionen Sozialwohnungen nötig. Tatsächlich vorhanden sind aktuell aber nur etwas mehr als eine Million.
Dem Verbändebündnis gehören unter anderem der Deutsche Mieterbund, die Industriegewerkschaft IG BAU und die „Caritas Behindertenhilfe und Psychatrie“ an. Weitere Partner sind die Deutsche Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau sowie der Bundesverband Deutscher Baustoff-Fachhandel.
In der Amtszeit von Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) hat der Bund seine Mittel für den Sozialen Wohnungsbau deutlich aufgestockt. Im laufenden Jahr stellt er 3,5 Milliarden Euro bereit. (Zum Vergleich: 2022 waren es zwei Milliarden Euro, im Folgejahr 2,5 und 2024 3,15 Milliarden Euro.) Die Länder sollen die Mittel kofinanzieren. Den Erfolg bewerten Bauministerium und Verbändebündnis unterschiedlich. Das Bauministerium verweist auf seiner Internetseite darauf, dass die Zahl der geförderten Wohneinheiten im Jahr 2023 um mehr als 20 Prozent gestiegen sei (auf 49.430). Das Verbändebündnis dagegen erklärt: Im Jahr 2023 habe der Bund nur gut 23.000 Sozialwohnungen gefördert – und damit sogar noch weniger als in den Jahren zuvor.
Bündnis kritisiert: Sozialwohnungsbau sei zu teuer
Das Paradoxe sei, dass trotz mehr Geld vom Bund weniger Sozialwohnungen herausgekommen seien, kritisierte nun Dietmar Walberg. Er ist Geschäftsführer des Bauforschungsinstitutes ARGE (Kiel) des Landes Schleswig-Holstein. Der Grund dafür liege auf der Hand: Deutschland baue schlichtweg zu teure Sozialwohnungen.
„Es geht in guter Qualität auch deutlich günstiger“, meint Wahlberg. Sein Vorschlag lautet „Gebäudetyp E“. Das E steht für einfach oder experimentell. Gemeint ist, dass von Standards abgewichen werden kann, die zwar nicht gesetzlich vorgeschrieben sind, aber sich als gängige Praxis etabliert haben. (Diese „allgemein anerkannten Regeln der Technik“ können daher auch bei Rechtsstreitigkeiten relevant sein.) Klara Geywitz hat im vergangenen Jahr ein Gesetz auf den Weg gebracht, um die Anwendung des „Gebäudetyps E“ rechtlich zu erleichtern.
Das ARGE-Institut hat mehrere Bauprojekte begleitet, die diesen Ansatz bereits umsetzen. Walberg kam zu dem Schluss: „Die reinen Baukosten bei Sozialwohnungen lassen sich um bis zu einem Drittel senken.“ Bisher zahle der Staat eine Fördersumme von 3.200 Euro pro Quadratmeter. Mit den vereinfachten Standards reichten 1.840 Euro pro Quadratmeter Fördergeld, denn die Baukosten ließen sich so auf unter 3.000 Euro drücken. Dazu kämen allerdings noch die Grundstückskosten. Hier seien die Kommunen gefordert, mehr günstiges Bauland für sozialen Wohnungsbau bereitzustellen.
Konkret schlug Walberg vor, die Wand- und Deckenstärken zu reduzieren und auf dreifach verglaste Fenster, Keller oder Tiefgaragenplätze zu verzichten. Damit verbunden wären auch Abstriche beim Klima- und Lärmschutz. Die Klimaziele könnten dennoch eingehalten werden, zeigte sich der ARGE-Geschäftsführer überzeugt. Und er versprach: „Sie werden Ihren Nachbarn nicht hören“, außer wenn dieser seine Stereoanlage voll aufdrehe.
Sozialwohnungsregister gefordert
Das Verbändebündnis sprach sich dafür aus, bundesweit in allen Regionen Regelstandards für den Neubau von Sozialwohnungen zu etablieren. Ziel sei ein Wohnungsbau „im Sparmodus“. Trotz der mutmaßlichen Einparpotenziale fordert das Bündnis von der künftigen Bundesregierung noch mehr finanzielles Engagement. „Für den Neubau von 100.000 Sozialwohnungen müssen Bund und Länder elf Milliarden Euro in die Förderung investieren“, erklärte Matthias Günther, Chef-Ökonom des Pestel-Instituts. Dieses wurde vom Verbändebündnis mit einer Studie zum Thema beauftragt.
Das Bündnis stellte zudem weitere Forderungen auf. Dazu gehört die Einführung eines bundesweiten Sozialwohnungsregisters, damit die verschiedenen staatlichen Ebenen ihre Aktivitäten besser planen und koordinieren können. Im Grundgesetz möchte das Bündnis eine Garantie verankern, dass der Bau von Sozialwohnungen kontinuierlich gefördert wird – unabhängig von der aktuellen Haushaltslage. Die Mehrwertsteuer für Bauleistungen in Zusammenhang mit Sozialwohnungen soll von 19 auf 7 Prozent gesenkt werden.
Darüber hinaus fordert das Bündnis eine Zehn-Prozent-Quote für Sozialwohnungen. Das heißt: Jede zehnte Wohnung soll in ein Kontingent einfließen, über dessen Vergabe kommunale Härtefallkommissionen entscheiden. Mit diesen Maßnahmen sollen benachteiligte Menschen – insbesondere solche mit Behinderung – bessere Chancen auf eine Sozialwohnung erhalten. „Sie werden auf dem Wohnungsmarkt diskriminiert“, erklärte Janina Bessenich, Geschäftsführerin bei der „Caritas Behindertenhilfe und Psychatrie“.
SPD-Politiker Daldrup reagiert
Der bau- und wohnungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Bernhard Daldrup kommentierte die Studie des Verbändebündnisses: „Anders als in den vergangenen Jahren wird jetzt auch durch das Gutachten bestätigt, dass deutlich preiswerter gebaut werden könnte, als die Bau- und Wohnungswirtschaft über Jahre hinweg behauptet hat. Das zeigt: Es reicht nicht aus, für den Mangel an Wohnraum nur mit dem Finger auf die Politik zu zeigen.”
Die Anstrengungen zur Vereinfachung des Baurechts und Beschleunigung der Genehmigungsverfahren seien leider durch das Ende der Ampel-Koalition ins Stocken geraten, würden aber von der SPD zielgerichtet fortgesetzt, versprach Daldrup.
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.