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„Bei den Schultoiletten ist die Situation besonders kritisch”

Pausenhöfe ohne ausreichende Spielmöglichkeiten, Schultoiletten in schlechtem Zustand: Eine Umfrage des Deutschen Kinderhilfswerkes offenbart gravierende Mängel an Schulen. Referent Tim Stegemann erklärt, wie das mit der Finanzlage der Kommunen zusammenhängt.

von Carl-Friedrich Höck · 26. Juli 2024
Klopapier-Rollen

Klopapier auf einer Mädchentoilette: Viele Schultoiletten sind laut einer aktuellen Umfrage in schlechtem Zustand.

DEMO: Das Deutsche Kinderhilfswerk hat eine Umfrage zu Schulhöfen und Pausenbereichen von Schülerinnen und Schülern durchgeführt. Was war der Anlass?

Tim Stegemann: Die Umfrage wurde durchgeführt, um eine bessere Datengrundlage für die Neuauflage des Kinderrechte-Index zu schaffen. Die Studie soll im kommenden Jahr erscheinen. Darin vergleichen wir die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in den Bundesländern. In vielen Fällen können nur Kinder und Jugendliche selbst angeben, ob ihre Rechte vollständig anerkannt und verwirklicht werden.

Was hat das mit dem Zustand von Schulhöfen zu tun?

Laut Artikel 31 der UN-Kinderrechtskonvention gibt es ein Recht auf Ruhe und Freizeit, auf Spiel und altersgemäße aktive Erholung. Damit geht einher, dass Orte wie Schulen, wo Kinder sich aufhalten, auch eine Infrastruktur bieten müssen, welche den passenden Rahmen zur Verwirklichung dieser Rechte bietet. Als Deutsches Kinderhilfswerk haben wir jahrelang die Umgestaltung von Schulhöfen gefördert, und wussten daher, dass es dort häufig Defizite gibt.

Tim Stegemann

ist Referent beim Deutschen Kinderhilfswerk. Sein Arbeitsschwerpunkt liegt auf dem Kinderrechte-Index.

Porträtfoto Tim Stegemann

Was kam bei der Umfrage heraus?

Viele Kinder und Jugendliche haben ausreichend Platz für Bewegung und Spiel. Das gaben 76 Prozent der Befragten an. Auch der Zustand und die Sauberkeit von Schulhöfen wurde häufig, nämlich von 65 Prozent, als gut bewertet.

Die Grundvoraussetzungen sind also da, aber es gibt auch Nachholbedarf. Nur 55 Prozent der Befragten waren zufrieden mit attraktiven und vielfältigen Spiel- und Bewegungsmöglichkeiten. Ähnliche Ergebnisse gab es bei den Fragen nach ausreichend Sitzmöglichkeiten oder einem Ort zum Entspannen.

Sind unsere Schulhöfe zu lieblos gestaltet?

Ja. Natürlich gilt das nicht für alle Schulen. Aber es sind offenkundig viele Pausenbereiche nicht bedarfsgerecht gestaltet oder schlichtweg renovierungsbedürftig, weil vielleicht auch die Spielgeräte in die Jahre gekommen sind.

Wie steht es um die Schultoiletten?

Hier ist die Situation besonders kritisch. 56 Prozent der Kinder und Jugendlichen haben den Zustand der Schultoiletten als schlecht eingestuft. In Großstädten ab 100.000 Einwohnern beklagen sich sogar 62 Prozent über den Zustand der Toiletten. In kleinen Kommunen unter 5.000 Einwohnern liegt der Wert nur bei 46 Prozent, hier bewertet also die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen die Toiletten als gut oder sehr gut.

Wie erklären Sie sich diese Unterschiede?

Eine naheliegende Interpretation dieser Ergebnisse ist, dass es kleinen Kommunen besser gelingt, in den Unterhalt der Schultoiletten zu investieren. Das deckt sich auch mit anderen Erhebungen. Das KfW-Kommunalpanel 2024 hat gezeigt, dass die Unterhaltsinvestitionen in kleineren Kommunen unter 50.000 Einwohnern besser gewährleistet werden können als in größeren. Besonders in Großstädten ist die Situation eklatant.

Manche sagen, dass man die finanzielle Situation einer Kommune am Zustand der Schultoiletten ablesen könne …

Unsere Umfrageergebnisse liefern Indizien dafür, dass das stimmt. Der wahrgenommene Investitionsrückstand der Kommunen im Bereich der Schulinfrastruktur beträgt nach KfW-Kommunalpanel mittlerweile 55 Milliarden Euro. Es wäre auch überraschend gewesen, wenn sich der aktuelle größte Investitionsstau der Kommunen nicht in unserer Umfrage abgebildet hätte.

Konnten Sie auch regionale Besonderheiten feststellen?

Es gibt große Unterschiede zwischen den Bundesländern. Das zeigt die Umfrage deutlich. Zum Beispiel sind in Nordrhein-Westfalen 67 Prozent der Befragten der Meinung, dass die Toiletten in einem schlechten oder sehr schlechten Zustand sind. In Sachsen kommt nur ein knappes Drittel zu diesem Fazit. Auch bei anderen abgefragten Aspekten wie dem Zustand und der Sauberkeit des Schulhof- und Pausenbereichs gibt im Ländervergleich klare Unterschiede.

Der Bundesgeschäftsführer des Kinderhilfswerkes Holger Hofmann hat zu den Umfrageergebnissen gesagt: Für Schulhöfe und Pausenbereiche müsse zwar mehr Geld in die Hand genommen werden, „aber vieles ist auch mit ein bisschen Einfallsreichtum und Kreativität möglich“. Wie ist das gemeint?

Gerade bei maroder Kassenlage kann man zumindest etwas Abhilfe schaffen, wenn man die Schülerinnen und Schüler einer Schule daran beteiligt, ihren Schulhof aktiv zu gestalten. Natürlich brauchen wir dazu auch etwas Geld. Der marode Zustand von Schultoiletten lässt sich ohne Investitionen nicht beheben. Aber darüber hinaus müssen wir auch neue Wege gehen. Die UN-Kinderrechtskonvention sieht vor, dass Kinder und Jugendliche beteiligt werden müssen, wenn ihre Interessen berührt sind. Das gilt auch für Verwaltungshandeln. Am Ende lässt sich so auch Geld sparen. Es ist oft besser, wenn Kinder und Jugendliche ihre Schulhöfe direkt nach ihren Bedürfnissen selbst umgestalten, als wenn das Erwachsene auf dem Reißbrett planen.

Wie bewertet das Deutsche Kinderhilfswerk die Ergebnisse seiner Umfrage?

Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass sich etwas ändern muss. In Deutschland gibt es in vielen Bereichen massive Investitionsbedarfe. Dabei dürfen die Interessen von Kindern und Jugendlichen nicht unter den Tisch fallen. Denn marode Schulgebäude und schlechte Pausenhöfe sind ein Verstoß gegen die Kinderrechte. Bund und Länder sollten den Kommunen finanziell unter die Arme greifen.

Autor*in
Porträtfoto Mann mit Brille und dunkelblonden Haaren
Carl-Friedrich Höck

ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.

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