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Frauenhäuser: Warum in Thüringen jetzt das Land zuständig ist

Thüringen hat die Finanzierung und Organisation von Frauenhäusern neu geregelt. Seit Jahresbeginn liegt die Zuständigkeit nicht mehr bei den Kommunen. Welche Vorteile das hat und wie es nun weitergeht, erklärt Katharina Schenk (SPD) Thüringer Ministerin für Soziales, Gesundheit, Arbeit und Familie.

von Carl-Friedrich Höck · 3. Februar 2025
Porträt Katharina Schenk

Katharina Schenk (SPD) ist seit Dezember 2024 Thüringer Ministerin für Soziales, Gesundheit, Arbeit und Familie. Zuvor arbeitet sie als Staatssekretärin für Kommunales im Thüringer Innenministerium.

DEMO: Fehlende Frauenhausplätze sind ein bundesweites Problem. Wie erklären Sie sich diesen Mangel?

Katharina Schenk: In der Regel hat ein Mangel mit Geld zu tun. Was man vorhalten will, muss auch finanziert werden. Diese Diskussion hatten wir auch in Thüringen. Wenn irgendwo Budget eingespart werden soll, schaut man zuerst auf den Ist-Zustand. Im Fall der Frauenhäuser sind das die Belegungszahlen. Hier kommt man schnell zu dem Ergebnis: Die Häuser sind gar nicht so stark belegt, da kann man etwas einsparen. Das ist eine gefährliche Debatte, weil man damit immer nur das Hellfeld betrachtet. Gerade bei Gewalttaten sagen diese Zahlen nichts über den tatsächlichen Bedarf aus.

Seit Jahresbeginn 2025 ist das Land Thüringen für neue Schutzwohnungen und Frauenhäuser zuständig. Die Anträge werden also nicht mehr bei den Kommunen gestellt. Welche Vorteile hat das?

Zum einen hat es den Vorteil, dass wir die Lücke in der Versorgung schließen. Als wir die Neuregelung auf den Weg gebracht haben, hatten wir noch vier Landkreise und eine kreisfreie Stadt ohne eigenes Frauenhaus. Das wird sich bald ändern. Man muss sich vorstellen, dass man da zum Beispiel über eine Frau spricht, die sich mit zwei oder drei Kindern im Bad versteckt und auf einen günstigen Moment wartet, um die Flucht zu ergreifen. So jemand kann nicht entspannt eine Reise planen und dann ins Auto steigen. Daher sind kurze Wege hier besonders wichtig.

Gleichzeitig hat die bisherige Regelung in einigen Fällen zu Abweisungen geführt. Vor der Gesetzesänderung gab es Leistungsvereinbarungen zwischen den Trägen der Frauenhäuser und den zuständigen Landkreisen, die die Kosten getragen haben. Wenn eine Schutzsuchende auf ihrer Flucht beispielsweise in den „falschen“ Landkreis gekommen ist, etwa von Gotha nach Sömmerda, weil da vielleicht eine Freundin wohnt, konnte es passieren, dass sie dort vom Frauenhaus abgewiesen wurde. Denn sie wohnt ja in einem anderen Landkreis. Das entspricht nicht der Lebensrealität der Betroffenen.

Katharina Schenk

Wir wollen neue Gruppen von Schutzsuchenden erschließen, deren persönliche Lebenssituationen bislang oft nicht berücksichtigt wurden.

Wir wollen außerdem die Qualität in den Einrichtungen hochhalten. Damit meine ich die Personalmenge, die Erreichbarkeit, die Barrierefreiheit. Und wir wollen neue Gruppen von Schutzsuchenden erschließen, deren persönliche Lebenssituationen bislang oft nicht berücksichtigt wurden. Ich denke zum Beispiel an Menschen, die mit einem Haustier kommen, oder an Frauen, die einen Sohn im Teenageralter haben. Ein 16-Jähriger in einem Frauenschutzhaus erzeugt bei den anderen Frauen nicht unbedingt nur positive Emotionen, wenn die gerade aus einer Bedrohungssituation geflohen sind. Dafür wollen wir Lösungen finden.

Das neue Thüringer Chancengleichheitsfördergesetz schreibt vor, dass alle Landkreise und kreisfreien Städte ein Frauenhaus haben müssen. Welche Mehrkosten entstehen dem Land dadurch?

Bisher hatte das Land gar keine direkten Kosten, weil die Landkreise dafür zuständig waren. Um das neue Gesetz umzusetzen, hat die Vorgängerregierung in Thüringen gut acht Millionen Euro in den Haushalt eingestellt. Das schätzen wir als ausreichend ein, um den flächendeckenden Ausbau der Frauenhäuser zu finanzieren. Jetzt müssen wir mit Trägern ins Gespräch kommen, die die fehlenden Frauenhäuser betreiben wollen und dafür auch passende Konzepte vorlegen. Das Chancengleichheitsfördergesetz ist mit zwei Verordnungen unterfüttert. Die eine regelt die Finanzierung und die andere die sogenannte Trägeranerkennung. Da sitzen wir gerade. Und wichtig ist natürlich auch, dass der neu gewählte Landtag den Haushalt beschließt, damit das Geld fließen kann.

Abgesehen vom Geld: Wo liegen aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen für den zügigen Ausbau der Infrastruktur?

Wir haben an die Träger hohe Ansprüche formuliert. Nehmen wir das Stichwort Barrierefreiheit: So ein Objekt muss man im ländlichen Raum erst einmal finden, das ist gar nicht so einfach. Und dann sollte es auch ein Objekt sein, bei dem nicht alle Nachbarn plötzlich die Adresse kennen und das entsprechend verbreiten. Der Wert einer Schutzeinrichtung liegt darin, dass sie gut erreichbar und gleichzeitig nicht bekannt ist. Die nächste Herausforderung ist es, Fachpersonal zu finden. Der Fachkräftemangel hat alle Bereiche erfasst, auch diesen. Unser Gesetz schreibt eine Mindestanzahl an Personal vor. Ich hoffe, dass diese Regelung den Beschäftigten signalisiert: Ihr macht hier eine wichtige Arbeit und wir wissen, dass dafür Personal gebraucht wird.

Will die neue Landesregierung auch mehr unternehmen, um präventiv gegen häusliche Gewalt vorzugehen? Und falls ja, welche Rolle kommt dabei den Kommunen zu?

Den Kommunen kommt immer eine zentrale Rolle zu, denn letztlich werden alle politischen Entscheidungen dort umgesetzt oder zumindest gelebt. Gewaltprävention ist für uns ein großes und vielschichtiges Thema. Im Regierungsvertrag haben wir uns auf die Fahne geschrieben, dass wir bestehende Sensibilisierungsprojekte fortsetzen wollen. Wir kümmern uns um auch Täterarbeit. Personen, die eine Straftat begangen und ihre Strafe verbüßt haben, benötigen häufig auch darüber hinaus therapeutische Maßnahmen. Auch das muss finanziell untersetzt werden. Und natürlich gibt es auch repressive Maßnahmen, die von den Kolleginnen und Kollegen im Innenressort bearbeitet werden müssen: Stichwort Fußfessel. Mit meinen Amtskolleginnen und -kollegen teile ich die Ansicht, dass wir in Prävention investieren müssen, auch wenn es kein Thema ist, mit dem man politisch schnell Früchte ernten kann. Denn bisher findet viel im Dunkelfeld statt. Und wenn wir dieses angehen, werden die offiziellen Zahlen der Gewaltbetroffenen erst einmal steigen.

Bundestag hat noch vor der Wahl ein Gewalthilfegesetz beschlossen. SPD, Grüne und Union sind sich einig geworden. Was bringt das Gesetz dem Land Thüringen?

Es ist sehr gut, dass der Bund dieses wichtige Thema jetzt auch anpackt! Das beschlossene Gewalthilfegesetz des Bundes zielt darauf ab, einen bundesweiten Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung für Betroffene häuslicher Gewalt zu etablieren. Diesen Rechtsanspruch haben wir mit unserem Chancengleichheitsfördergesetz in Thüringen bereits im letzten Jahr verankert. Mit der Umsetzung eines bundesweiten Gesetzes können unsere geplanten Maßnahmen aber perspektivisch unterstützt und ergänzt werden – beispielsweise finanziell.

Autor*in
Porträtfoto Mann mit Brille und dunkelblonden Haaren
Carl-Friedrich Höck

ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.

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