Kampf gegen Wohnungslosigkeit: Geywitz hofft auf Kontinuität nach der Wahl
Die Zahl der Menschen ohne eigene Wohnung steigt. Über Gegenmaßnahmen wurde auf einem Kongress in Berlin diskutiert. Bauministerin Geywitz will Wohnungslosigkeit beenden, betont aber: „Wir haben noch eine weite Strecke vor uns.“
IMAGO / Winfried Rothermel
Ein Obdachloser am Berliner Hauptbahnhof: Nicht immer tritt Wohnungslosigkeit so offen sichtbar zutage.
Bei Jens Roggemann begannen die Probleme mit dem Versuch, sich beruflich selbständig zu machen. Das ging schief, dazu kam eine Krankheit und schließlich hatte sich ein Mietrückstand von 2.500 Euro angesammelt. So verlor er seine Wohnung. Mit dem Sozialhilfesystem hatte er bis dahin wenig zu tun gehabt, er kam ja aus dem Arbeitsleben. Nun erlebte er fehlende Empathie. „Man kommt sich vor wie ein Verwaltungsvorgang, der abgehakt werden muss“, erzählte Roggemann am Donnerstag auf dem Zweiten Jahreskongress des Nationalen Forums gegen Wohnungslosigkeit.
Heute lebt er wieder in einer Mietwohnung, doch damals bekam er keine Informationen oder Hilfsangebote, die ihm in seiner Situation geholfen hätten. „Man kommt in eine sehr resignative Stimmung rein.“
530.000 Wohnungslose in Deutschland
Ähnliche Erfahrungen machen jährlich tausende Menschen in Deutschland. Anfang 2024 hatten rund 530.000 Personen in Deutschland keine eigene Wohnung. So steht es im kürzlich veröffentlichten Wohnungslosenbericht des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB). 80 Prozent dieser Menschen „konnten von den Kommunen mit sehr großem Engagement untergebracht werden“, sagte Bauministerin Klara Geywitz (SPD) nun auf dem Kongress. Die anderen seien bei Freunden, Angehörigen oder Bekannten untergekommen, lebten in Behelfsunterkünften oder auf der Straße.
„Es kann jeden treffen“, betonte die Ministerin. Sie hat sich das Ziel gesetzt, Wohnungs- und Obdachlosigkeit bis zum Jahr 2030 zu überwinden. Dazu wurde im vergangenen Jahr ein Nationaler Aktionsplan beschlossen und eine Kompetenzstelle des Bundes beim Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) gegründet. Aktuell arbeite man dort an Empfehlungen für bundesweite Standards in Notunterkünften. Dabei wolle man die Bedürfnisse obdachloser Frauen und Kinder berücksichtigen, erklärte Geywitz. Sie wolle die Zahl der Sozialwohnungen erhöhen sowie Netzwerke, Prävention und Fachberatungen stärken.
„Wir haben noch eine weite Strecke vor uns“, räumte Geywitz ein. In wenigen Wochen wird der Bundestag neu gewählt. Die SPD-Politikerin hofft, dass das Thema auch in der neuen Legislaturperiode auf der Tagesordnung bleibt. Dazu sei es notwendig, dass über Parteigrenzen hinweg kontinuierlich daran gearbeitet werde.
Viele Handlungsfelder und ungeklärte Fragen
Dass manche Antworten erst noch gefunden werden müssen, wurde auf dem Kongress in Berlin deutlich. Zum Beispiel auf die Frage: Wie kann der Verlust der Wohnung verhindert werden? Sabine Bösing (Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe) und Alexander Wiech (Eigentümerverband Haus & Grund) plädierten im Kern für denselben Ansatz: Das Sozialamt müsse rechtzeitig einspringen, wenn ein Mieter seine Miete nicht mehr zahlen kann – noch bevor sich zwei, drei Monate Mietrückstand ansammeln. Doch wie das genau organisiert werden kann, blieb offen.
Auch eine datenschutzrechtliche Frage blieb unbeantwortet: Sollen Vermieter*innen die Behörden informieren, wenn einem Mieter der Verlust der Wohnung droht? Von einem Spannungsfeld sprach Gregor Jekel, Fachbereichsleiter Wohnen, Arbeit und Integration bei der Landeshauptstadt Potsdam. „Das sind sensible Daten über Menschen, von denen wir als Verwaltung möglichst wenig wissen sollten. Je frühzeitiger wir aber von konkreten Fällen erfahren, desto früher können wir unsere Hilfen ansetzen.“
Kontrovers diskutiert wurde die Idee einer Quotenregelung. Damit würde zum Beispiel für Neubauprojekte festgelegt, dass zwei bis drei Prozent der Wohnungen an Langzeitwohnungslose vermietet werden müssen. Markus Leßmann, Abteilungsleiter im nordrhein-westfälischen Arbeitsministerium, sprach sich dagegen aus. Das führe zu Bürokratie und kleinteiligen Regelungen, weil dann auch für andere Bevölkerungsgruppen Quoten festgelegt werden müssten, etwa im Inklusionsbereich. Gregor Jekel aus Potsdam verwies darauf, dass Kommunen ihr Vorschlagsrecht für Wohnungen mit Belegungsbindung (also Sozialwohnungen) nutzen könnten, um dort Wohnungslose unterzubringen. Woraufhin aus dem Publikum der Hinweis kam, dass selbst Sozialwohnungen oft eher an Menschen an der Mittelschicht vermietet würden und Wohnungslose das Nachsehen hätten.
Für bessere Unterkünfte fehlt Kommunen Geld
Frank Kruse, Leiter der Wohnungslosenhilfe in Freistatt, sprach ein weiteres heißes Eisen an: Gemeinschaftsunterkünfte würden Menschen krank machen und als traumatisierend erlebt. Deshalb sei es notwendig, Unterkünfte mit Raum für Privatsphäre zu bauen. Das aber sei „richtig teuer“ für die Kommunen. Der Potsdamer Amtsleiter Jekel bestätigte, dass Kommunen dies finanziell nicht stemmen könnten. Das Problem der fehlenden Standards könne man per Gesetz regeln, aber dann müsse auch entsprechend Geld an die Kommunen fließen.
Im vollbesetzen Saal des Berliner Ernst-Reuter-Hauses war die Sorge spürbar, dass das Thema Wohnungslosigkeit nach der Wahl aus dem Blickfeld der Bundespolitik geraten könnte. Der Nationale Aktionsplan gegen Wohnungslosigkeit werde in den Wahlprogrammen der Parteien gar nicht erwähnt, kritisierte Sabine Bösing, Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe.
Der SPD-Politiker und Parlamentarische Staatssekretär im BMWSB Sören Bartol appellierte an den Saal, die lokalen Bundestagskandidaten der verschiedenen Parteien anzuschreiben. Er selbst erhalte täglich Briefe mit Aufforderungen, um welche politischen Bereiche er sich kümmern solle. Das Thema Wohnungslosigkeit werde darin relativ selten thematisiert, berichtete er.
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.